Kolumbien: Indigene erobern mediale Welt

Eingang zur ACIN - der Vereinigung der indigenen Vertretungen im Norden des Cauca - in Santander de Quilichao. Rechts erinnert ein Plakat an José Miller Correa. Foto: Knut Henkel

Moderne Radiostudios, qualifizierte Journalist*innen und innovative Kommunikationsstrategien haben dazu geführt, dass indigene Organisationen in Kolumbien hör- und sichtbarer werden. Die Wiege des Aufbruchs in diese Medienwelt steht im Verwaltungsbezirk Cauca im Südwesten Kolumbiens, wo Koka-Plantagen sprießen, wo Guerilleros und Paramilitärs bis heute um die Kontrolle kämpfen. Dort fand 2010 eine Konferenz zu indigenen Kommunikationskonzepten statt. Seitdem ist die Zahl der Berichterstatter*innen indigener Herkunft deutlich gestiegen. Ein Besuch in Santander de Quilichao.

Das moderne, viergeschossige Gebäude steht im Stadtteil Bolivariano und dort geht es zu wie in einem Bienenkorb. Dutzende von Mopeds und Motorrädern stehen auf dem Parkplatz vor der Zentrale der ACIN in Santander de Quilichao. ACIN heißt die Organisation von Vertretern der 22 Territorien der indigenen Ethnie der Nasa im Norden des Cauca. Der Verwaltungsbezirk südlich von Cali, der drittgrößten Stadt Kolumbiens, ist einer der gefährlichsten des Landes. Davon zeugt das Plakat am Eingang des Gebäudes. Es zeigt das Konterfei von José Miller Correa. „Er war einer unserer wichtigsten Repräsentanten und wurde am 14. März in der Nähe von Popayán erschossen aufgefunden“, erklärt Eldemir Dagua. Der 34-jährige Journalist und arbeitet im dritten Stock der ACIN-Zentrale.

Dort hat die Kommunikations-Abteilung ihren Sitz, die Dagua gemeinsam mit seiner Kollegin Dora Muñoz in den letzten Jahren ausgebaut hat. Drei moderne Aufnahmestudios, Büros und mehrere Schnittplätze zeugen davon. Über das Radionetzwerk des ACIN, aber auch über die Homepage und die Accounts in zahlreichen sozialen Netzen verbreiteten sie die Nachricht vom Mord an Miller. Dagua hat sie gemeinsam mit seinem achtköpfigen Team aus vier Radio-Journalist*innen, zwei Video-Spezialist*innen, einem Graphiker und einer Online-Kollegin erstellt. 

Die Welle der Gewalt gegen indigene Vertreter*innen ist das zentrale Thema im Haus. „15 Morde seit Jahresbeginn zeigen, wie dringend es ist, Alarm zu schlagen“, meint Dagua. Er ist jeden Tag in der Region um Santander de Quilichao unterwegs, begleitet indigene Vertreter der ACIN bei Besuchen in der bergigen, teilweise unzugänglichen Region, berichtet über ökonomische Projekte, die soziale Situation und die anstehenden Präsidentschaftswahlen am 29. Mai. Da kandidiert mit Francia Márquez eine afrokolumbianische Umweltaktivistin an der Seite des linken Präsidentschaftskandidaten Gustavo Petro für den Pacto Histórico, den historischen Pakt, ein linkes Sammelbecken. Deren Wahl hätte Signalcharakter, denn es wäre das erste Mal, dass ein linkes Duo an der Spitze des Staates steht, meint Dagua.

 Bedeutung der Kommunikation erkannt

Die 40-jährige Anwältin Francia Márquez steht dabei für den Aufbruch afrokolumbianischer und indigener Bevölkerungsschichten, die in den letzten Jahren neue Strukturen aufgebaut und Strategien entwickelt haben. Dafür ist die ACIN ein gutes Beispiel. „Unsere Verantwortlichen haben begriffen, dass Kommunikation strategische Bedeutung hat“, sagt Dagua und deutet auf den von Mikrofonen gesäumten Tisch im Aufnahmestudio, das erst im Dezember letzten Jahres eingeweiht wurde. Der Geruch nach Klebstoff, Farbe und Isolationsmaterial hängt noch immer in der Luft. Hier werden Beiträge erstellt, Diskussionsveranstaltungen mitgeschnitten und Interviews aufgenommen, die wenig später in das lokale und regionale Radionetzwerk eingespeist werden. 

Vier Radiostationen, darunter die „Emisora Jambalo“, wo Eldemir Dagua groß geworden ist, gehören zum ACIN-Radionetzwerk. Mehr als zehn indigene Radiosender gibt es im gesamten Cauca und die haben in den letzten Jahren einen immensen Qualitätssprung gemacht. Unterstützt von internationalen Organisationen, darunter die Deutsche Welle, wurde in die Ausbildung der indigenen Berichterstatter*innen investiert, aber auch in die Technik. Eine wichtige Rolle spielte und spielt dabei Dora Muñoz, die 2010 den 1. Kontinentalen Gipfel der indigenen Kommunikation mitinitiierte. Ein Wendepunkt! Seitdem sind indigene Organisationen wie die ACIN oder der Regionale Indigene Rat des Cauca (CRIC) deutlich sichtbarer geworden und verfügen über größere Medienabteilungen, die in den sozialen Netzen überaus aktiv sind.

Hoffnung auf Wechsel

Das wiederum hat dazu beigetragen, dass eine neue Generation von Journalist*innen dafür sorgt, dass Hintergrundreportagen, Interviews und Analysen manchmal auch ihren Weg in die traditionellen Medien sowie kritischen Online-Portalen finden. Auch ein Verdienst von Dora Muñoz. Sie arbeitet als Netzwerkerin im Hintergrund, während Journalist*innen wie Edilma Prada mit ihrer Agentur „Agenda Propia“ oder Diana Jembuel, beide aus dem Cauca, auf nationaler Ebene mit prämierten Reportagen und Analysen präsent sind.

Allerdings arbeiten indigene Berichterstatter*innen nach wie vor unter schwierigen Bedingungen. Eldemir Dagua verweist auf vier ermordete Journalist:innen in den letzten Jahren allein im Cauca. Zuletzt traf es Abelardo Liz vom indigenen Radiosender „Uswai Nasa Yuwe“, der beim Drehen nahe der Kleinstadt Corinto am 20. Februar 2020 von der Kugel eines Soldaten tödlich verletzt wurde. Auch die Stiftung für die Pressefreiheit (FLIP), beklagt, dass die Ermittlungen nicht vorankämen. Wieder drohe der gewaltsame Tod eines Journalisten nicht geahndet zu werden. Das befürchtet auch Eldemir Dagua. Er hat seine Sachen gepackt, denn bei einem Treffen indigener Vertreter soll es genau um diese Sicherheitslage in der Region gehen. Allerdings hat er wenig Hoffnung, dass sich die schnell verbessern wird. Vielleicht passiere es mit der neuen Regierung. 

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