Im jüngsten EU-Mitgliedstaat Kroatien ist das Verklagen von Journalistinnen und Journalisten neuerdings zum nationalen Sport geworden. Prozessieren kann jeder, der durch die Berichterstattung erlittene „seelische Qualen“ geltend macht. Allein in den letzten zwei Jahren gab es über 1000 Klagen. Nun organisierte der Journalistenverband HND eine Protestaktion in Zagreb, an der mehrere Hunderte Medienschaffende teilnahmen.
Kaum ein Tag vergeht in Kroatien, ohne dass jemand mit juristischen Mitteln gegen eine Medienorganisation oder gegen die Berichterstattung einzelner Personen vorgeht. Behörden, Beamtinnen und Beamte, Kabinettsmitglieder, Kommunalpolitikerinnen und -politiker gehören zum üblichen Kreis, der oft und gerne prozessiert. Nun protestieren Medienschaffende gegen diese weit verbreitete Praxis: Anfang März organisierte der Journalistenverband HND eine Demonstration in der Hauptstadt und forderte ein Ende dieser und anderer Formen der indirekten Zensur.
Die meisten Klagen gegen Journalistinnen und Journalisten basieren auf einer eigenartigen Bestimmung des Mediengesetzes, die jeder Person erlaubt, hohe Summen als Schadenersatz zu fordern, wenn die Berichterstattung ihr „seelische Qualen“ verursache. Allein die Hanza-Mediengruppe, zu der „Jutarnji list“, eine der am meisten gelesenen, linksliberalen Tageszeitungen gehört, steht aktuell in mehr als 450 solcher Fälle vor Gericht. Die einzelnen Schadenersatzforderungen betragen im Durchschnitt 14.000 Euro. Auch die Justizbehörden selbst klagen gerne: So fühlte sich Richter Neven Cambj beleidigt, weil ein Abgeordneter in einem Interview behauptet hatte, die Aufsichtsgremien der Justiz seien korrupt. Cambj selbst wurde in diesem Interview nicht mit Namen erwähnt, klagte aber auf fast 7.000 Euro.
Auch die staatliche Radio- und Fernsehanstalt HRT empfindet oft „seelische Qualen“ – und prozessiert sogar gegen ihre eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Nachdem der Verband der Medienschaffenden HND mehrmals die Zensur bei HRT kritisiert hatte, zog diese prompt vor Gericht und forderte im vergangenen Jahr rund 70.000 Euro Schadenersatz. Über 30 einheimische Nichtregierungsorganisationen weigern sich seitdem allerdings, HRT Interviews zu geben, und rufen zu einem allgemeinen Boykott des staatlichen Fernsehens auf.
Möglich geworden sei diese Klagewelle durch fragwürdige und zum Teil absurde juristische Bestimmungen des 2013 verabschiedeten Mediengesetztes, sagt der HND-Vorsitzende Hrvoje Zovko. So kriminalisiere ein weiterer sehr problematischer Paragraf etwa auch das „öffentliche Beschämen“ von Personen in den Medien, im Internet oder auf Versammlungen, ohne zu definieren, was damit genau gemeint sei. „In den letzten Jahren fingen staatlich finanzierte Institutionen an, einen Kreuzzug gegen die HND, ihre Mitglieder und andere Journalistinnen und Journalisten zu führen“, kommentiert Zovko. „Die hohen Schadenersatzforderungen sind ein Versuch, Medienschaffende einzuschüchtern. Selbst wenn die Angeklagten letztlich die Prozesse gewinnen, seriöser, kritischer Journalismus im öffentlichen Interesse wird dadurch deutlich erschwert.“
Die rechtskonservative Regierung von Premierminister Andrej Plenković bestreitet, dass es in Kroatien Probleme mit der Medienfreiheit gebe, und verweist darauf, dass internationale Organisationen wie Reporter ohne Grenzen (ROG) von einer leichten Verbesserung der Situation der Pressefreiheit in dem Land ausgehen. Tatsächlich lobt der jüngste ROG-Bericht vor allem die Tätigkeit der Polizei, die in der letzten Zeit in Fällen von physischer Gewalt gegen Medienschaffende mehr mutmaßliche Täter festgenommen habe. Allerdings war Kroatien zum Zeitpunkt des EU-Beitritts 2013 im ROG-Ranking auch von einer relativen abgeschlagenen Position, nämlich Platz 64 von 180, gestartet. Seitdem hat sich das Land zudem insgesamt verschlechtert und befand sich 2018 auf Position 69. Bis auf das autoritär regierte Ungarn stehen alle mitteleuropäischen Länder besser da.
Anlässlich des Protests ruft die HND die Regierung in einem Papier mit der Überschrift „Acht Forderungen gegen Zensur“ unter anderem dazu auf, die problematischen gesetzlichen Bestimmungen zu ändern sowie der politischen Einflussnahme bei den öffentlichen Radio- und Fernsehsendern ein Ende zu setzen und deren Unabhängigkeit sicherzustellen. Bisher lehnte Ministerpräsident Andrej Plenković diese Forderungen ab, denn: es gebe ja keine Probleme mit der Medienfreiheit in Kroatien.