Pressefreiheit ist in vielen Ländern eingeschränkt oder existiert nicht. Darüber haben wir mit dem kurdischen Journalisten Nedim Türfent (33) gesprochen, der wegen seiner Arbeit sechseinhalb Jahre im Gefängnis saß. Noch während der Anfrage zu diesem Interview wurden am 25. April, drei Wochen vor den Wahlen in der Türkei, über 150 Oppositionelle festgenommen. Ein Drittel, darunter vier kurdische Journalisten, wurden inhaftiert. Laut der von „Reporter ohne Grenzen“ veröffentlichten Rangliste der Pressefreiheit steht die Türkei jetzt auf Platz 165 (Vorjahr 149) von 180.
Nedim, Du wurdest 2016 festgenommen und 2018 zu acht Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt. Hintergrund war eine Berichterstattung, für die Du 2015 den Journalistenpreis „Musa Anter“ in der Türkei erhalten hast. Erzähl uns, wofür Du bestraft wurdest?
Die Jahre 2015-2016, als es in Kurdistan und vor allem in den Stadtzentren viele Konflikte gab, waren für uns Journalisten in der Region eine große Herausforderung. Es kam zu heftigen Rechtsverletzungen, darunter Verletzungen des Rechts auf Leben. Wenn Sie als Journalist über diese Themen schreiben, fangen die Sicherheitskräfte an, Sie ins Visier zu nehmen. Ich arbeitete im Bezirk Yuksekova, der an der Grenze zwischen Iran und Irak liegt. Hier fanden vielleicht die intensivsten Konflikte und Menschenrechtsverletzungen statt, über die ich berichtete. Der symbolischste Beitrag hat mir einen Preis eingebracht. Es war das Filmmaterial mit dem Titel: „You will see the power of the Turk“.
Spezialeinheiten der Polizei durchsuchten im Morgengrauen eine Baustelle. Alle Arbeiter mussten sich halbnackt und mit dem Gesicht nach unten auf den Boden legen. Der Polizeichef schrie: „Was hat dir dieser Staat angetan? Du wirst die Macht der Türken spüren! Wer uns verrät, wird dafür bezahlen!“ Nachdem diese Bilder in den Nachrichten waren, wurde es zu einem landesweiten Thema. Gegen die beteiligten Polizisten wurden Ermittlungen eingeleitet. Dann erhielt ich Morddrohungen, wurde von den Sicherheitskräften schikaniert. Ich drohte im Gewahrsam zu verschwinden, sie versuchten, mich zu töten und folterten mich. Zeugen der Staatsanwaltschaft sagten, sie kennen mich als Journalisten. Sie berichteten dem Gericht, dass die Polizei sie gefoltert habe, um gegen mich auszusagen, ich sei ein Terrorist. Vergeblich, die Richter betrachteten Journalismus als Straftat und begründete dies im Urteil damit, sie hätten mich bestraft, „weil ich beunruhigende Nachrichten verfasst habe“. Ich wurde eingesperrt, nur weil ich Journalismus gemacht habe. Das ist eine Schande für unser Land.
Hat die Tatsache, dass Du Kurde bist, bei der Inhaftierung und Verurteilung eine Rolle gespielt?
Natürlich werden wir kurdischen Journalisten, wie alle kurdischen Bürger, „anders“ behandelt. Der größte Nachteil kurdischer Journalisten ist, dass es außer ihnen niemanden gibt, der an Recht und Gesetz orientierten Journalismus in Kurdistan betreibt. Das ist für den Staat unbequem. Jeder kennt das. Jedoch wenn Sie unterdrückt werden, weil sie Kurde sind, ist das nicht bedeutsam für die öffentliche Meinung. Auch Journalistenverbände bleiben meist Zuschauer. Während diese Gefühllosigkeit und dieses Schweigen anhalten, werden immer mehr kurdische Journalisten festgenommen. So wie wir jetzt leben, können dich Richter leicht kriminalisieren, nur weil du Kurde bist. Sie verhängen schwere Strafen ohne Beweise.
In welchem Gefängnis warst Du? Gab es dort Mitgefangene, die auch Journalisten sind? Was wurde ihnen vorgeworfen?
Ich war in verschiedenen Gefängnissen. Mehr als fünf Jahre verbrachte ich im Hochsicherheitsgefängnis in Van, einer Stadt in Ostanatolien. In Van war auch der inhaftierte Journalist Ziya Ataman. Ich kannte Ziya bereits, bevor wir beide festgenommen wurden. Er hatte gerade mit der journalistischen Arbeit begonnen, als er verhaftet wurde. Vorwürfe? Er ist Journalist.
Wie hast Du Dich in der Haft gefühlt? Warst Du in Einzelhaft, wurdest Du misshandelt?
Als ich festgenommen wurde, wurde ich von den Polizisten der Spezialeinheiten auf den Boden geworfen und geschlagen. Einige Leute sind auf mich gesprungen. Ich wurde gefoltert. Sie traktierten mich im gepanzerten Fahrzeug mit einem Gewehrkolben. Während dieser ganzen Zeit fesselten sie meine Hände hinten mit Plastik-Handschellen. Die sind wie große Kabelbinder, die ganz fest um die Handgelenke schließen. So fest, dass meine Handgelenke bluteten. Abends setzen sie mich ins Auto und fuhren zum Fuß eines Hügels. Dort zogen sie mir einen schwarzen Sack auf den Kopf. Dann eröffneten sie das Feuer, schossen in die Luft. Sie stritten darüber, ob sie mich töten sollten oder nicht. Dann fuhren wir weiter. Ich erzählte von dieser Folter vor Gericht und erstattete Anzeige bei der Polizei. Die Richter haben das jedoch nicht einmal untersucht. Sie ignorierten meine Aussagen. Am Eingang des Gefängnisses wollte mich Wärter nackt durchsuchen, aber ich weigerte mich. Als ich sagte, ich würde das melden, gaben sie auf. Aber ich war 18 Monate lang in strenger Isolationshaft.
Ende November 2022 wurdest Du nach mehr als sechs Jahren aus der Haft entlassen. Mit 26 eingesperrt, mit 32 freigelassen. Was hat Dir geholfen, diese Zeit seelisch und körperlich zu überstehen? Und wie geht es Dir jetzt?
Meine Anwälte haben hart gearbeitet. Aber sie konnten meine vorzeitige Freilassung nicht erreichen. Das Gericht hatte von der Gesamtstrafe mindestens sechs Jahre und sieben Monate zur Verbüßung festgesetzt. Nach dieser Zeit wurde ich entlassen. Mein Fall ist noch vor dem Verfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig. Noch immer sind so viele Menschen zu Unrecht inhaftiert. Es gab drei Hauptdinge, die mich über Wasser und am Leben hielten. Der erste ist der Glaube, dass wir Recht damit haben, an der Tradition einer freien Presse festzuhalten. Das zweite sind Bücher und Gedichte, die ich schrieb. Eines der Bücher heißt „Über Mauern“ und ist auch in Deutschland veröffentlicht worden. Das Dritte ist nationale und internationale Unterstützung und Solidarität. Jetzt habe ich wieder angefangen, Journalismus zu machen. Das fühlt sich für mich gut an. Es fühlt sich frei an. Aber es besteht immer die Gefahr, verhaftet zu werden. Weil manche Leute Journalismus beharrlich und hartnäckig für ein Verbrechen halten.
Hat Dich die lange Haftzeit verändert? Du hast Englisch auf Lehramt studiert, könntest auch etwas anderes machen, als journalistisch zu arbeiten?
Die lange Haft hat mir viele Erkenntnisse gebracht. Ich habe Hunderte von Büchern gelesen. Das hat mein Leben in jeder Hinsicht verändert. Ich bin Journalist, wo und wann immer ich Unrecht und Rechtswidrigkeit sehe, werde ich das natürlich vermelden. Was auch immer es kostet… Es ist eine berufliche und moralische Pflicht. Ja, ich habe mein Studium als Englischlehrer abgeschlossen. Als ich in meine Heimatstadt ging und die Rechtsverletzungen und den Mangel an Journalisten sah, beschloss ich, Journalist zu werden. Ich könnte andere Dinge tun. Aber dann wird es schwer für mich zu atmen. Denn Journalismus ist mittlerweile ein elementarer Bestandteil meines Lebens. Mein Stift ist wie ein lebenswichtiges Organ. Wenn ich ihn loslasse, verliere ich mich auch.
Was bedeutet Pressefreiheit für Dich?
Es ist die Freiheit, Nachrichten und Gedanken frei zu äußern. Es ist das Recht von Journalisten, zu berichten und zu schreiben, zu veröffentlichen und zu interpretieren. Presse- und Meinungsfreiheit sind miteinander verbunden und dies ist ein grundlegendes Menschenrecht. Die Pressefreiheit ist grundlegend für das Bestehen der Demokratie in einem Land. Was wir in unserem Land nicht haben, ist Pressefreiheit.
Am 14. Mai finden in der Türkei Wahlen statt. Diesmal hat Präsident Erdogan einen sozialdemokratischen Herausforderer, der auch von der prokurdischen Oppositionspartei unterstützt wird. Im Vorfeld der Wahlen wurden am 25. April mehr als 100 Oppositionelle im ganzen Land wegen angeblicher Kontakte zur verbotenen Arbeiterpartei PKK festgenommen, darunter elf Journalisten – so berichteten deutsche Medien. Die Vorwürfe sind nicht neu. Wie wird das Geschehen von der Bevölkerung aufgenommen?
Kurz vor den Wahlen wurden fast 150 Personen, darunter Journalisten, Anwälte und Politiker, in Polizeigewahrsam genommen. 48 Personen wurden inhaftiert, vier davon sind kurdische Journalisten. Zwei weitere kurdische Journalisten sind inzwischen festgenommen worden. Die inhaftierten Anwälte traten für Wahlsicherheit ein und boten Schulungen an. Die Journalisten galten als die wichtigsten Nachrichtenquellen in der Region. Die Operationen gehen weiter und sorgen für öffentliche Empörung. Obwohl versucht wird zu kriminalisieren, wissen die Kurden und die demokratische Opposition, dass dies mit den Wahlen zusammenhängt. Es könnte sein, dass noch weitere Journalisten vor den Wahlen festgenommen werden. Ich hoffe, dass die Wahl in einem demokratischen und friedlichen Umfeld verlaufen wird. Aber leider ist diese große Anzahl von Festnahmen und Inhaftierungen kein gutes Zeichen.
Gespräch: Annette Rose, Mitglied im Bundesvorstand der dju in ver.di
Hier kann das Buch „Über Mauern“ von Nedim Türfent erworben werden. Der Erlös ist derzeit fast seine einzige Einnahmequelle zum Leben.