„La Cuerda“ – eine Stimme für Frauenrechte

Graffiti in Guatemala City: „Revolution im Land, im Haus und im Bett“ Foto: Markus Dorfmüller

In Lateinamerika nehmen die Proteste gegen gewaltsame Angriffe auf Frauen zu. „La Cuerda“ (Die Saite) ist in Guatemala seit 1998 eine Stimme für die Frauenrechte – die einzige Monatszeitung in Mittelamerika, die von Frauen für Frauen gemacht wird. M sprach mit den Redakteurinnen Rosalinda Hernández Alarcón und Anemaría Cofiño über den wachsenden Widerstand gegen die Gewalt gegen Frauen, die gesellschaftlichen Verhältnisse in Guatemala und die Herausforderung eine feministische Zeitung zu machen. 

Warum ist „La Cuerda“ die einzige Zeitung von Frauen für Frauen in Zentralamerika?

Anamaría Cofiño | Das hat historische Gründe, denn als in der Region in den 1970er Jahren Frauenzeitungen gegründet wurden, befand sich Guatemala im Bürgerkrieg und angesichts der Militärdiktatur war an die Gründung einer feministischen Zeitung schlicht nicht zu denken. Zeitung war damals suspekt. Schon der Anspruch, Menschen etwas zu erklären, Bildung zu vermitteln und so dazu beizutragen die gesellschaftlichen Konstellationen zu verstehen, war damals mehr als verdächtig. Ich komme aber aus einer Familie, die diese Ansprüche hochhält.

Ist das einer der Gründe, weshalb Sie Teil des Redaktionsteams von  „La Cuerda“ sind?

Anamaría Cofiño | Ja, ganz bestimmt, denn ich glaube an die demokratische Funktion der Medien. Darauf beharren wir, daran glauben wir und deshalb sind wir auch umsonst. Das Gros der Frauen in Guatemala hat keinen Zugang zu Medien und noch weniger zu digitalen Medien. Das ist ein Grund, weshalb wir mit sozialen Organisationen und mit Frauenorganisationen den Vertrieb organisieren und mit ihnen zusammenarbeiten.

Wie gelingt es diese Zeitung am Leben zu erhalten, sie zu finanzieren und mit jeder Ausgabe einen neuen Schwerpunkt zu setzen?

Rosalinda Hernández Alarcón | Natürlich fühlen wir uns politisch verpflichtet, diese Zeitung zu machen und sie weiterzuentwickeln. Das ist, ich spreche jetzt eher für die Älteren, unser Baby. Für uns geht es darum, das Schweigen zu brechen, denn Verbrechen gegenüber Frauen wurden lange unter den Tisch gekehrt, sie wurden von der Justiz ignoriert – das ändert sich mittlerweile.

Klingt als wäre die Existenz von „La Cuerda“ auch ein Stück weit ein Widerspruch?

Rosalinda Hernández Alarcón | Ja, in gewisser Weise ist das richtig. Schließlich geben wir seit 18 Jahren eine feministische Zeitung heraus, die die herrschenden Verhältnisse in Frage stellt. Wir halten nichts von unseren gewählten Regierungen, die von Militärs geprägt sind, die für einen Völkermord mitverantwortlich sind. Daran hat sich mit der seit Januar amtierenden Regierung von Jimmy Morales nichts geändert.

Wie funktioniert Zeitungsmachen unter diesen Verhältnissen in der Praxis?

Anamaría Cofiño | Das ist wie eine Katharsis: wir reinigen uns durch die redaktionelle Arbeit, analysieren, kritisieren. Das hilft uns allen weiter, denn es inspiriert. Grundsätzlich arbeiten wir im Kollektiv und sind Teil eines großen Netzwerks. Das hilft mir persönlich, um als Feministin in diesem Land zu leben.

Wie wichtig sind positive Ereignisse im Land oder in der Region. Ich denke da an die Demonstration Mitte August in Peru, wo 50.000 Menschen gegen Frauengewalt auf die Straße gingen?

Rosalinda Hernández Alarcón |Extrem wichtig, denn sie erweitern unseren Spielraum, sorgen für Druck von unten.

Oder ein Prozess wie Sepur Zarco, wo im Februar erstmals zwei Militärs wegen der Vergewaltigung und Versklavung von 15 indigenen Frauen während des Bürgerkriegs zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden?

Anamaría Cofiño | Sepur Zarco hatte strategische Bedeutung: Es war der erste Fall in der Region, wo sexuelle Gewalt als Kriegsverbrechen geahndet wurde. Von der ersten Aussage der Frauen 2010 bis zum Ende des Prozesses vergingen sechs Jahre und über die ganze Zeit haben wir den Kontakt zu den Opfern, zum Anwaltsteam und den unterstützenden Organisationen gehalten und kontinuierlich berichtet. Das Urteil hat Signalcharakter, denn es hat eine Diskussion über die soziale Situation von Frauen in Guatemala angeschoben und neue Standards für Vergewaltigungsprozesse gesetzt.

Welche Bedeutung hat die Zeitung für die Gesellschaft?

Rosalinda Hernández Alarcón | Wir haben eine Auflage von rund zwanzigtausend, 14.000 verfolgen unsere Web-Seite, rund 8000 Follower sind es in Facebook. Das hat einen Effekt, aber wir wissen auch, dass Guatemala eine Gesellschaft hat, die nicht liest, eine Gesellschaft, in der wenig diskutiert wird und das wollen wir ändern. Wir sind ein Medium mit einer Position, machen Journalismus aus der Perspektive von Frauen für Frauen und es wird keinen Journalisten in Guatemala geben, der „La Cuerda“ nicht schon gelesen hat. Übrigens schreiben auch Männer für uns – das ist für uns eine wichtige demokratische Geste und schon in den ersten Nummern gab es Artikel von Männern. Gleichwohl schreiben das Gros der Artikel die rund zwanzig Mitglieder des Redaktionsrats.


Anamaría Cofiño ist 1955 in Guatemala geboren, Anthropologin und Historikerin, die über kommunistische Widerstandsgemeinden im Guatemala der 1980er Jahre promoviert hat. Sie schreibt eine Kolumne für die linksliberala Tageszeitung „El Periódico“.

Rosalinda Hernández Alarcón ist Mexikanerin, lebt seit über zwanzig Jahren in Guatemala, hat „La Cuerda“ mitgegründet, lange Zeit als Korrepondentin gearbeitet und schreibt heute ebenfalls eine Kolumne für die linksliberala Tageszeitung „El Periódico“.

 

 

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