Marokko: Journalistin vom König begnadigt

Aktivisten protestieren gegen die Verhaftung von Hajar Raissouni vor dem Gericht in der marokkanischen Hauptsstadt Rabat i
Foto:REUTERS/Youssef Boudlal

Die marokkanische Journalistin Hajar Raissouni ist begnadigt worden. König Mohammed VI. habe die Freiheitsstrafen gegen Raissouni und deren Verlobten aufgehoben, berichtete die marokkanische Nachrichtenagentur MAP unter Berufung auf das Justizministerium. Der 28-Jährigen, die in Akhbar Al Yaoum, einer der wenigen kritischen Stimmen des nordafrikanischen Königreiches publiziert, wurden nicht etwa ihre Artikel zum Verhängnis, sondern eine angebliche Abtreibung und „außereheliche sexuelle Beziehungen“.

Raissouni und ihr Verlobter waren am 31. August beim Verlassen einer Frauenarztpraxis verhaftet worden. Die Polizei brachte sie in eine Klinik in der Hauptstadt Rabat, wo sie gegen ihren Willen einer gynäkologischen Untersuchung unterzogen wurde. Dabei wurde sie auf einer Liege festgehalten und ihr wurden mit Gewalt die Beine geöffnet. Raissouni bestreitet abgetrieben zu haben. Vielmehr habe sie an Blutungen gelitten, als sie sich in ärztliche Behandlung begab. Das Gericht verhängte eine einjährige Freiheitsstrafe gegen Raissouni. Das Urteil hatte in Marokko und international für Empörung gesorgt.

„Der Sicherheitsdienst hat mich mehr nach meinen politischen Schriften und meinen Onkeln Ahmed und Suleiman gefragt, als nach den erfundenen Anschuldigungen“, schreibt Raissouni in einem Brief aus dem Gefängnis, den ihre Zeitung online stellte (https://www.alyaoum24.com/1295019.html). Die junge Frau stammt aus einer bekannten oppositionellen Familie. Ihre beiden Onkel sind international anerkannte islamische Gelehrte, die immer wieder kritisieren, dass Marokkos König Mohamed VI. nicht nur Staatschef, sondern laut Verfassung auch „Führer aller Gläubigen“ ist. Nach islamischer Rechtslehre steht dieser Titel dem besten unter den Imamen zu und nicht einer weltlichen Führungsfigur. Und Raissounis Cousin Youssef ist der Vorsitzende der Marokkanischen Menschenrechtsvereinigung (AMDH), die größte unabhängige Menschenrechtsorganisation des Landes.

Die Staatsanwaltschaft bestreitet, dass die Verhaftung und das Verfahren „in irgendeiner Weise mit ihrem Beruf in Verbindung“ stehe. Die Ermittler hätten eine Klinik überwacht, gegen die der Verdacht auf illegale Schwangerschaftsabbrüche bestanden habe, und seien durch Zufall auf Raissouni gestoßen.

Für die Kritiker des Urteils gegen die junge Journalistin ist das bei geschätzten täglich 600 bis 800 Abtreibungen in Marokko etwas viel Zufall. „Es handelt sich ganz klar um eine Konspiration gegen diese Kollegin“, erklärt der marokkanische Journalist Ali Lmrabet, der seit Jahren im spanischen Exil lebt. „Die Geheimdienste haben ihr Vorgehen geändert“, ist er sich sicher. Während früher Journalist*innen für ihre Artikel angeklagt und inhaftiert wurden, würden die Behörden jetzt andere Gründe suchen, um ihnen zu schaden. Lmrabet selbst wurde mehrmals wegen seiner Kritik am marokkanische Königshaus zu Haftstrafen verurteilt. „Durch die Veröffentlichung detaillierter Anschuldigungen über ihr sexuelles und reproduktives Leben haben die Behörden das Recht auf Privatsphäre mit Füßen getreten und anscheinend versucht, ihren Ruf zu beschmutzen“, schließt sich Ahmed Benchemsi, Kommunikationsdirektor für den Nahen Osten und Nordafrika bei Human Rights Watch, der Kritik am Urteil an.

Raissouni ist keine Einzelfall. Immer wieder wird Journalist*innen aus allerlei Gründen, die nicht direkt mit ihrem Beruf zu tun haben der Prozess gemacht. So wurde zum Beispiel Hamid Mahdaoui von Badil.info zu drei Jahren verurteilt, weil er eine Demonstration beobachtete, ohne die Behörden umgehend darüber zu informieren. Er habe durch dieses Verhalten die Staatssicherheit gefährdet. Mohamed el Hilali und Abdelouahed Kammouni von der digitalen „Rif Press“ mussten aus ähnlichen Gründen für fünf bzw. zwölf Monate hinter Gitter. Hicham Mansouri, ein bekannter Recherchejournalist, ist seit 10 Monaten wegen „Komplizenschaft beim Ehebruch“ in Haft. Er hatte eine Beziehung mit einer Frau, die zwar von ihrem Mann getrennt, aber noch nicht offiziell geschieden war.

Und der ehemalige Herausgeber von Akhbar Al Youm, dem Blatt in dem Raissouni arbeitete, wurde im November 2018 wegen „Menschenhandel“ und „Machtmissbrauch zu sexuellen Zwecken “ zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Das Verfahren war so voller Widersprüche, dass sowohl Amnesty International als auch die „Arbeitsgruppe gegen willkürliche Inhaftierungen“ der Vereinten Nationen seine Freilassung fordern.

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