Medienausgrenzung in Großbritannien

Screenshot: Homepage "Declassified UK" vom 24.09.2020

Das britische Verteidigungsministerium will nicht mehr mit der regierungskritischen Onlinepublikation „Declassified UK“ reden. Zuvor hatten deren Investigativjournalist*innen zahlreiche Skandale rund um dieses Ministerium aufgedeckt. Die britische Journalist*innengewerkschaft NUJ ist „not amused“ und zeigt sich in einer Stellungnahme gegenüber „Declassified UK“ „sehr besorgt“. Es dürfe keine Liste „verbotener Medien“ seitens britischer Behörden oder Ministerien für eine „selektive Beantwortung“ von Medienanfragen geben, so der stellvertretende NUJ-Generalsekretär Seamus Dooley.

Es begann mit einer Protestaktion vor der Einfahrt zum Amtssitz des britischen Premierministers Boris Johnson in der Nr. 10 Downing Street. Der Soldat Ahmed al Babati führte dort eine ein-Mann-Kundgebung durch um gegen die Beteiligung Großbritanniens am saudi-arabischen Luftkrieg in Jemen zu protestieren. Nach kurzer Zeit wurde der Soldat von Militärpolizisten abgeführt.

Am 25. August fragte ein „Declassified UK“ Journalist beim Verteidigungsministerium um eine Stellungnahme zu dem Fall nach. Was dann passierte ist inzwischen nicht nur auf der Homepage von „Declassified UK“, sondern auch bei zahlreichen Menschenrechtsorganisationen nachzulesen. Zuerst wollte das Verteidigungsministerium wissen, welche Richtung der geplante Artikel nehmen solle. Dann hieß es, man könne an „Declassified UK“ gerade nichts schicken, die Redaktion könne aber gerne einen Antrag auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes stellen. Das ist allein schon eine spannende Reaktion auf die Bitte um eine simple Stellungnahme. Denn die Beantwortung eines solchen Antrags kann Monate dauern und kostet den Antragssteller außerdem eine Bearbeitungsgebühr.

Noch am selben Tag veröffentlichte dagegen die konservative Tageszeitung „Daily Telegraph“ einen Artikel über die Protestaktion, komplett mit Statement aus dem Verteidigungsministerium. Das Blatt zeichnet sich durch eine traditionelle Nähe zum britischen Militär und zum britischen Beamtenapparat aus. Bei „Declassified UK“ fühlte man sich „verarscht“ und rief noch einmal beim Verteidigungsministerium an. Warum kriegen manche Medien ein Statement, andere nicht? Die Antwort: „Wir reden nicht mehr mit Ihrer Publikation.“ Eine Erklärung für diese Entscheidung hat die betroffene Redaktion bislang nicht erhalten.

Warum das so ist? Es könnte mit der Geschichte und Ausrichtung von „Declassified UK“ zu tun haben. Zu deren Vorstandsmitgliedern zählt zum Beispiel Richard Norton-Taylor, der drei Jahrzehnte lang als Korrespondent und Redakteur zu Verteidigungs- und Sicherheitsfragen für die Tageszeitung „Guardian“ gearbeitet hat. Insgesamt sind die Mitarbeiter*innen von „Declassified UK“ alle sehr erfahrene Investigativjournalist*innen.

Im Jahr 2019 gründeten sie ihr Projekt. Es ist bei der Homepage der südafrikanischen Zeitung „Daily Maverick“ angesiedelt. Offenbar ist es für die journalistische Arbeit ganz praktisch, quasi im Ausland zu sitzen. Denn „Declassified UK“ hat in kürzester Zeit zahlreiche Skandale rund um das britische Militär und Verteidigungsministerium aufgedeckt. Dazu gehören unter anderem: Menschenrechtsverletzungen britischer Söldner gegen Tamilen-Rebellen in Sri Lanka, fragwürdige Geheimdienstoperationen an britischen Schulen oder Trainings von ausländischen Polizei- und Armeeeinheiten in autoritären Staaten wie Saudia Arabien, Belarus und Hong Kong.

All dies sind Themen, die in der etablierten britischen Medienlandschaft zunehmend keinen Platz mehr finden. Genau das geben die Macher*innen von „Declassified UK“ in ihrer Selbstdarstellung als einen Hauptgrund für die Gründung ihres Projekts an. Die allermeisten Medien seien „embedded“ im Establishment, Großbritanniens Rolle in der Welt werde keiner kritischen Untersuchung unterzogen. Im Regierungsviertel Whitehall existiere eine tiefe Geheimniskultur, die es zu brechen gelte, heißt es.

„Declassified UK“ hat inzwischen Rechtsanwälte eingeschaltet. Die sehen einen Verstoß gegen Artikel zehn der europäischen Menschenrechtskonvention. Darin heißt es: „Jedermann hat Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen ein.“ Die Anwält*innen fordern nun dringende Klärung vom Verteidigungsministerium. Weitere Schritte werden nicht ausgeschlossen.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Warnstreik bei der Süddeutschen Zeitung

Für die zweite Tarifverhandlungsrunde am 25. Juli 2024 hatten die Verhandler*innen des Zeitungsverlegerverbandes BDZV der dju in ver.di ein Angebot zu Tariferhöhungen angekündigt. Gehalten haben sie das Versprechen nicht. Konkrete Zahlen zur Tariferhöhung blieb der BDZV schuldig. Stattdessen stellte er Gegenforderungen zum Nachteil der Zeitungsredakteur*innen. Heute streikten dagegen über 100 Beschäftigte der Süddeutschen Zeitung. In Nürnberg gab es eine Aktive Mittagspause vor dem Verlag Nürnberger Presse.
mehr »

Süddeutsche ohne Süddeutschland?

Die Süddeutsche Zeitung (SZ) will sich aus der Regionalberichterstattung in den Landkreisen rund um München weitgehend zurückziehen. Am Mittwoch teilte die Chefredaktion der SZ zusammen mit der Ressortleitung den rund 60 Beschäftigten in einer außerordentlichen Konferenz mit, dass die Außenbüros in den Landkreisen aufgegeben werden und die Berichterstattung stark zurückgefahren wird. Dagegen wehrt sich die Gewerkschaft ver.di.
mehr »

Breiter Protest für Rundfunkfinanzierung

Anlässlich der Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten (MPK) in Leipzig fordert ver.di die Fortführung des Reformdiskurses über die Zukunft öffentlich-rechtlicher Medienangebote und über die Strukturen der Rundfunkanstalten. Die notwendige Debatte darf die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten jedoch nicht daran hindern, ihren vom Bundesverfassungsgericht zuletzt im Jahr 2021 klargestellten Auftrag auszuführen: Sie müssen im Konsens die verfassungsmäßige Rundfunkfinanzierung freigeben.
mehr »

Games: Welcome to Planet B

Die Bürgermeisterin muss sich entscheiden: Soll zuerst ein Frühwarnsystem vor Springfluten eingerichtet oder neue Möglichkeiten zum Schutz vor Hitze geplant werden? Und sollen diese neuen Schutzmaßnahmen besonders günstig oder lieber besonders nachhaltig sein? Was wie Realpolitik klingt ist ein Computerspiel. Denn immer mehr Games setzten sich auch mit Umweltthemen auseinander.
mehr »