Bleibt Journalismus Anwalt der Öffentlichkeit oder bestimmt der globalisierte Markt allein die Grenzen?
Skepsis gegenüber den Verheißungen einer neuen Medienlandschaft sei mehr als angebracht, riet IG-Medien-Vorsitzender Detlef Hensche und forderte ungehinderten Zugang der Medien zu allen öffentlichen Ereignissen. Unter dem Motto „Medienmarkt Europa: Journalismus unter Druck“ diskutierten Medienexperten und etwa 100 Interessierte auf dem 12. JournalistInnentag der Fachgruppe Journalismus der IG Medien am 29. November im Stuttgarter Rathaus. Die zunehmende Internationalisierung der Medienindustrie wurde unter dem Aspekt der veränderten arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Rahmenbedingungen beleuchtet, über Möglichkeiten zur Formierung von Gegenkräften wurde debattiert.
12. JournalistInnentag diskutierte in Stuttgart Gestaltungsmöglichkeiten angesichts fortschreitender Medien-Internationalisierung
Wenn es zutrifft, daß die Bedingungen für die journalistische Arbeit „mehr und mehr aus Brüssel bestimmt“ werden, wie Wolfgang Mayer, Sprecher der Fachgruppe Journalismus, in seinen Eröffnungsthesen ausführte, dann ist die Frage nach den Instrumentarien, mit denen sich Entwicklungen der dennoch privatwirtschaftlichen Medienkonzentration künftig gestalten und kontrollieren lassen, nur zu berechtigt. Der IG-Medien-Vorsitzende stellte sie in einem Atemzug mit der Forderung, das „Bürgerrecht des Zugangs zu öffentlichen Ereignissen“ gegen „angemaßte Verwertungsrechte“ privater Eigner zu verteidigen. Die Medienentwicklung in der Bundesrepublik, so führte Horst Röper vom Formatt-Institut Dortmund als erster Referent aus, habe sich vom „verfassungsrechtlichen Auftrag zur Vielfaltsicherung“ weitgehend abgekoppelt. Die Politik sorge zunehmend dafür, daß „Pläne der Industrie“ nicht an normativen Grenzen scheitern, wie das Beispiel Bertelsmann-CLT belege. Auch auf die Bewertung der angestrebten Fusion Kirch, Bertelsmann und Telekom bei Digitalfernsehen und Pay-TV, die noch unter dem Genehmigungsvorbehalt der EU stehe, dürfe man gespannt sein. „Eine Untersagung aus Brüssel wäre zugleich auch die letzte Chance, hierzulande im Pay-TV Wettbewerb zu etablieren“, meinte Röper, der sich kritisch mit der Frage „Europa ohne Schranken – Wachstum ohne Grenzen?“ auseinandersetzte. Nirgendwo scheine der Industrie die Aufteilung von Märkten so leicht gemacht wie in Italien und der Bundesrepublik. Der Staat nehme hierzulande seine Ordnungsfunktion nicht mehr wahr und ziehe sich in eine „Beobachterrolle“ zurück, wie das im Bereich der Printmedien seit jeher gelte.
„Konkurrenzvermeidungsstrategien“ betrieben die Verlage selbst durch Gebietsabsprachen. Die weitere „Ausdünnung“ des Zeitungsmarktes geschähe eher „kleinteilig“. Im Zeitschriftenbereich sei die Internationalisierung besonders weit fortgeschritten, Gruner + Jahr und der Heinrich Bauer Verlag sind längst in Frankreich, Spanien, Großbritannien und den USA, zunehmend aber auch in Osteuropa präsent, wo sie beträchtliche Umsatzanteile erwirtschaften und mit den multinational tätigen Verlagen aus Europa und den USA konkurrieren. Die Diversifikation in immer mehr Medienbranchen gehe dabei mit der fortschreitenden Internationalisierung bei den führenden Konzernen einher.
H.N.
Urheberrechte – verraten und verkauft?
Neben der notwendigen Analyse und Kritik der ökonomischen Situation müßten deshalb Fragen der inneren Pressefreiheit sowie Gestaltungsmöglichkeiten für Journalisten und Gewerkschaften neu betrachtet werden, forderten Diskutanten. Ein Aspekt der zunehmend internationalen Arbeitsbedingungen im Medienbereich, der der Urheber- und Verwertungsrechte, wurde unter dem Motto „Verraten und verkauft“ gesondert debattiert.
Auch Urheberrechtsfragen erforderten in wachsendem Maße „europäisches Denken“. In einigen europäischen Ländern, speziell in Skandinavien, so führte Wolfgang Mayer aus, seien die Verwertungsrechte für journalistische Arbeiten in Wort und Bild durch gesetzliche und tarifvertragliche Regelungen bereits wesentlich besser ausgestaltet als in der Bundesrepublik. Hoffnungen seien auf eine europäische Richtlinie zu Verwertungsrechten zu setzen, über die EU-Kommissare am 3. Dezember entscheiden. Sollte eine erstmalige europäische Regelung nicht zustandekommen, wirke „rechtsfreier Raum“ fort und die Gefahr ungeschützter und unbezahlter Verwertung geistigen Eigentums wachse – angesichts der steigenden Bedeutung von Online-Diensten, Internet, Datenbanken oder CD-Rom ein Freibrief für die Verlage. Schon heute, so Diskussionsteilnehmer, werde etwa von Gruner + Jahr eine Aufgabe von Verwertungsrechten in den Arbeitsverträgen für festangestellte Redakteure verankert. Auch von Freien würden solche Zugeständnisse als Versuch abgefordert, präjudizierend Tatsachen zu schaffen. Das angloamerikanische Copy-Right-Modell stehe dabei Pate. Eine europäische Regelung biete stattdessen die Chance, Persönlichkeitsrechte zu sichern. Diese Idee liege auch einem Entwurf zum „Urheberrecht in der Informationsgesellschaft“ zugrunde, die die Europäische Journalisten-Vereinigung vorgelegt hat. Im nationalen Rahmen könne es zudem hilfreich sein, in Präzedenzfällen Verwertungsrechte und Vergütungsansprüche durch Einzelklagen mit Gewerkschaftshilfe gerichtlich feststellen zu lassen.
Helma Nehrlich
Wie sich Journalistinnen und Journalisten lenken lassen
Ob überhaupt und wenn ja, wie? Darüber läßt sich viel spekulieren. Um zu diesen und anderen Fragen allerdings fundierte Aussagen zu erhalten, wird nach den USA seit einigen Jahren auch in Deutschland auf wissenschaftlich systematische Medienanalysen zur Information der Öffentlichkeit gesetzt. Roland Schatz, Chefredakteur des 1993 als gemeinnütziger Verein für Medieninhaltsanalyse gegründeten Medien Tenor Bonn, analysierte auf dem JournalistInnentag am Beispiel der Einführung des Euro den Wandel seiner Darstellung in der öffentlichen Meinung. Die neun Redakteure und 50 Analysten des Anfang 1997 in eine GmbH überführten und jetzt dem Leipziger Institut für Medienanalyse angegliederten Medien Tenor untersuchen kontinuierlich den Politik- und Wirtschaftsteil der tonangebenden deutschen Medien und des Fernsehens nach Themenschwerpunkten, Argumenten und Bewertungen.
Generell werde, so Schatz, der EU in der Berichterstattung wenig Aufmerksamkeit gewidmet, im I. Quartal 1996 beispielsweise nur zu einem Prozent in den Regionalzeitungen und TV-Nachrichten. Fernsehbilder bestünden immer wieder aus vorfahrenden Limousinen zu Gipfelgesprächen oder zuckenden Kühen während der BSE-Krise. Zu dieser Zeit spielte die Währungsunion in den TV-News keinerlei Rolle. Sie taucht erst zum Jahresende ’96 mit der Diskussion der Konvergenzkriterien auf. Gab es zunächst ein Für und Wider, bei dem die Kritik überwog, ist seit Jahresmitte ’97 ein schlagartiger Wandel zu positiver Berichterstattung zu verzeichnen. „Plötzlich wurde neu gerechnet, wurde eine neue Lösung nach EU-Standard präsentiert. Die Schulden waren keine Schulden mehr, das Gesundheitswesen wurde aus den Berechnungen herausgenommen … Seitdem ist Europa in Ordnung, Deutschland unter 3,0. Und seitdem wird Kritik ausgeblendet.“ Seine Oma als statistische Durchschnittsleserin hätte, so Schatz, die „Financial Times“ oder die „Deutsche Börsenzeitung“ lesen müssen, um über Warnungen der Wirtschaftsweisen im Herbstgutachten zumindest ansatzweise informiert zu werden. „Sind wir gelenkt oder passiert das rein zufällig“ fragt Schatz. „Warum berichten deutsche Journalisten durch die Bank weg nicht mehr darüber, daß Deutschland die Kriterien nicht erfüllt? Wie ist das gelungen? Wer wird zitiert, wer kommt zu Wort?“ Überwiegend äußerten sich Waigel und Kohl zum Euro. Bestimmte Politiker anderer Parteien hätten über Nacht die Meinung gewechselt. Über allen Zeitungen könnte jetzt Deutschland-Journal stehen. Denn wie in diesem CDU-Wirtschaftsblatt werde nun nur noch Positives über den Euro berichtet. Mit Sicherheit, so meinte Schatz in der Diskussion ironisch, lenke das Bundespresseamt niemanden. Ausgehend von den Analyseergebnissen allerdings sei eine Tendenz zur Lenkung auszumachen und sollte jeden Journalisten alarmieren.
B.E.
Viel Angebot, wenig Nachfrage – Europakorrespondenten berichten
Europathemen scheinen am Nachrichtenmarkt vor allem für den Papierkorb gehandelt zu werden. Über das Zerrbild EU in den deutschen Medien diskutierten auf der Tagung Thomas Gack vom Büro Brüssel der „Stuttgarter Zeitung“, Matthias Lauber, VWD Brüssel, und Uwe Roth vom Zeitungsdienst Südwest Stuttgart. Theoretische Politik mache das Thema offensichtlich schwierig, konstatierte Thomas Gack. Redaktionen stürzten sich gern auf Bananen- und Gurkenkrümmung, auf Regelungswut und den Wasserkopf der Eurokratie. Ein Legendenbuch könne über Stereotypen geschrieben werden. Aber niemand setze beispielsweise die Zahl der Beamten in Relation zur gleichgroßen Beamtenzahl in der Kölner Stadtverwaltung. Keine Institution werde wohl so falsch beurteilt wie die EU. Die Kommission sei über- und Parlament und Ministerrat seien unterbewertet. Letztere könnten von sehr vielen Menschen nicht einmal unterschieden werden.
Unter den 28 Diensten, die von VWD täglich herausgegeben werden, ist auch ein Europadienst. Ein großes Problem sei, so Matthias Lauber, den Wust von Themen zu bewältigen. Es falle auf, daß sehr selten in den Medien Strukturen klar genannt würden: Wer ist wofür zuständig? Wo hat das Europaparlament Mitspracherecht? Beim größten EU-Haushaltsposten, der Agrarpolitik, beispielsweise nicht. Das wisse kaum jemand. Bei Vorschlägen zu mehr Umwelt, mehr Verbraucherschutz usw. blockte der Ministerrat ab. Im Endeffekt sei es dann so, daß eher Waigel zitiert werde als ein EU-Minister. Deshalb werde bei EU-Schwerpunkten häufig die deutsche und nicht die europäische Sicht widergespiegelt.
Sich als freier Journalist in Brüssel über Wasser zu halten, sei unheimlich schwer, schätzte Uwe Roth ein. Er habe sich in den letzten Jahren darum gekümmert, Boden für bessere EU-Informationen aufzubereiten. „Wir haben eine schlechte Europaberichterstattung in Deutschland, weil die Allgemeinbildung über Europa in den Redaktionen schlecht ist.“ Verbreitet herrsche die Meinung, das müsse man nicht unbedingt wissen. Es gäbe Ressortleiter, die sich um diese Themen noch nie gekümmert hätten. Korrespondentenberichte würden einerseits mit spitzen Fingern entgegengenommen, andererseits unredigiert gedruckt, weil die Kompetenz der Fachredakteure fehle. Die Ignoranz in den Heimatredaktionen sei beträchtlich, deshalb sei es so gut wie unmöglich, mit Europathemen in die Tageszeitungen hineinzukommen.
Gebraucht wird, darin waren sich die Diskutanten einig, ein Grundwissen über Europa. Das zu vermitteln, wurde als eine aktuelle Forderung an die journalistische Weiterbildung formuliert. Kompetenz und Qualität müssen das verbreitete Nichtwissen in den Redaktionen ablösen. Gutes werde nicht geglaubt oder gehe häufig komplett unter. Zu sehr werde nach dem Grundsatz „Bad news are good news“ ausgewählt. Noch gäbe es, so bedauerte Thomas Gack, keine Sensibilisierung für Europapolitik, noch würde sie in den Medien als Außenpolitik behandelt. Sie weiterhin als fern und unbestimmt, ohne größere Auswirkungen auf unser Leben darzustellen, sei falsch.
Bettina Erdmann
Kein europäischer Arbeitsmarkt für Journalisten
Outsourcing? Kann uns Journalisten doch nicht passieren! Wir arbeiten ja schließlich mit der Sprache und uns kann kein chinesischer Näher und auch keine indische Programmiererin ersetzen. Daß Auslagern aber auch Journalisten betrifft und trifft, verdeutlichte der Medienjournalist Holger Wenk in seinem Vortrag „Outsourcing auf breiter Linie?“ beim JournalistInnentag. Gerade Zeitschriften würden immer „internationaler“ und da sei auch die Redaktion in Polen denkbar, die für den europäischen Markt schreibt und deren Texte dann nur noch in die jeweilige Landessprache übersetzt und mit regionalen Supplements angereichert werden.
Outsourcing gibt es aber auch im Inland und das sieht im Redaktionsbereich so aus: Es wird immer mehr Personal abgebaut, die Redakteure haben kaum noch Zeit zum Recherchieren, sind vor allem „Manager im Umschaufeln von Material“. Dieser Trend sei in allen Ländern Westeuropas mit mehr oder weniger Intensität festzustellen, berichtete Wenk. „Die investigative Kraft des Journalismus geht verloren“, warnte er. Die Redakteure hätten nicht mal die Zeit, die Texte, die die Freien liefern, zu überprüfen. Die Zeitung habe zunehmend Service- und Dienstleistungscharakter.
Das Ziel und die Zukunft dieser Form des Outsourcing: Da gibt es dann ein paar „hochbezahlte Redaktionsmanager“ und einen redaktionellen Kern, den Rest kauft man ein. Zum Beispiel von ehemaligen Redakteuren, die in die Scheinselbständigkeit gedrängt wurden und nun als Freie für weniger Geld Redakteurqualität und -arbeit abliefern. Wenk zeichnete das Bild einer „virtuellen Zeitschriften-Redaktion“: Zehn bis 15 Leute bilden die Verlagsstruktur und machen fünf bis acht Zeitschriften, man heuert über Pauschale einen Chefredakteur an und gibt Aufträge an Freien-Büros.
Im Tageszeitungsbereich sei das natürlich nicht denkbar, „die tägliche Produktion verhindert das“. Aber auch dort sei der Trend zum Auslagern zu spüren bei Themen, die nicht zum Kernbereich gehören. So leiste man sich nicht mehr seinen eigenen Korrespondenten und greife auch im Beilagenbereich gerne auf fremde (und billigere) Beiträge zurück, bevor man einen Redakteur für mehrere Tage auf Reisen schickt. Und: „Online-Journalismus ist international!“
Wenk machte deutlich, daß Outsourcing ein betriebswirtschaftlicher Vorgang ist, der „durchgezogen wird ohne Rücksicht auf Auswirkungen auf journalistische Inhalte“. „Es ist unsere Aufgabe als Gewerkschaft, diese Auswirkungen zu thematisieren!“, betonte er. Dies geschehe noch viel zu wenig. „Wenn wir das nicht tun, macht das niemand!“ In Tarifverhandlungen müsse die IG Medien noch stärker die Qualität journalistischer Arbeit zum Thema machen.
„Wie sieht der journalistische Arbeitsmarkt in Europa aus, wie wird er aussehen“, lautete der Untertitel von Wenks Referat. Doch Wenk stellte klar: „Es gibt keinen einheitlichen journalistischen Arbeitsmarkt in Europa“. Unser Werkzeug ist eben die Sprache, wir schaffen geistige Produkte, die viel mit kultureller Identität zu tun haben. „Es gibt keine Ansätze und auch keine Aussicht, daß ein europäischer journalistischer Arbeitsmarkt entstehen könnte.“ Dennoch versuchen die Journalisten, sich international abzustimmen angesichts immer globaler werdender Verlagsstrukturen. „Unser Hauptproblem ist das unterschiedliche Verständnis von Freien-Arbeit“, berichtete Wenk von der Arbeit der „Europäischen Journalisten-Föderation“ (EJF). Der Gegensatz von Nord zu Süd ist krass: Während in Skandinavien die Freien nach zwei Jahren Probezeit eine Berufserlaubnis erhalten und dann als Profis angesehen und bezahlt werden, gelten sie in Italien und Griechenland gar nichts, „fast als Illegale“ (Wenk). „Da müssen wir auf einen Level kommen, sonst fällt uns das irgendwann ganz bös auf die Füße“.
Sibylle Kemna