Meinungsfreiheit im Internet verboten

Schweden schränkt bewährte Freiheitsrechte ein

Schweden ist bekannt als das Land der gläsernen Verwaltung. Seit mehr als 200 Jahren haben die Bürger Recht auf Akteneinsicht bei Behörden. Aber die EU-Mitgliedschaft verändert das Land. Die Politiker wollen die Akteneinsicht einschränken – und seit Oktober ist es sogar verboten, im Internet Politiker zu kritisieren.

Stockholmer Landgericht im März. Im Saal Nummer fünf findet der erste Musterprozeß wegen unerlaubter Veröffentlichung von Namen im Internet statt. Der Angeklagte: Ein Unternehmer, der während der schwedischen Wirtschaftskrise Anfang der 90er Jahren sein Unternehmen verloren hat. Auf seiner Homepage hat er u. a verantwortliche Politiker kritisiert.

„Es ist nach dem schwedischen Datenschutzgesetz untersagt, Namen im Internet zu verbreiten“, behauptet die Staatsanwältin Ann-Marie Bergström. „Erstens ist eine Homepage als ein unerlaubtes Personenregister zu betrachten, zweitens dürfen personenbezogene Daten nicht über Internet in Länder außerhalb der Europäischen Gemeinschaft vermittelt werden“.

Sie bezieht sich auf zwei schwedische Datenschutzgesetze. Das alte aus den 70er Jahren, das dem Unternehmer mit einer Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr droht, und das neue Personendatengesetz vom Oktober 1998, genannt PUL. Das neue bezieht sich auf die EU-Richtlinie für Datenschutz, die Deutschland und andere EU-Länder bald in ihre Gesetzgebung aufnehmen müssen. Die EU-Richtlinie macht jedoch eine Ausnahme für Veröffentlichungen von Namen „ausschließlich“ für Zwecke der „Journalistik, Literatur und Kunst“. Wer keinen solchen Zweck nachweisen kann, riskiert gleich eine doppelte Strafe, bis zu zwei Jahren Gefängnis. „Das Verbot steht nicht im Einklang mit dem Grundgesetz und dem Recht auf Meinungsfreiheit“, plädiert dagegen der Stockholmer Rechtsanwalt Percy Bratt im Saal.

Der Anwalt ist nicht der einzige, der über die schwedische Gesetzgebung besorgt ist. Die gleichen Datengesetze treffen auch die Gewerkschaften, Umweltorganisationen oder Vereine mit eigenen Homepages im Netz. Auf einer Gewerkschaftstagung in Oktober erklärten eingeladene Vertreter der schwedischen Datenschutzbehörde, daß es nach der neuen EU-Richtlinie streng untersagt sei, Arbeitgebervertreter ohne deren Einverständnis im Netz zu kritisieren. Nach Aussage der Behörde gelte das auch für jemand wie „Augusto Pinochet“, der nicht hinnehmen müsse, auf der homepage von Amnesty ständig in Kritik zu geraten. „Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll“, meint Inger Ohlsson, die Vorsitzende des Dachverbandes TCO, der alle Einzelgewerkschaften im Angestelltenbereich organisiert, darunter auch Journalisten. Auch der Vorsitzende der Schwedischen Zollbeamten, Karl Gunnheden, mit eigener Homepage auf dem Netz, ist besorgt.

„Die schwedischen Gewerkschaften haben das Internet als ein phantastisches Mittel für Diskussion und Kommunikation aufgebaut. Jetzt machen uns die EU, unsere eigenen Politiker und die Datenschutzbehörde alles kaputt“. Im April letzten Jahres hat der Schwedische Reichstag mit 188 zu 46 Stimmen beschlossen, die Datenschutzbestimmungen nach europäischen Vorbild zu verschärfen. Hinter dem Beschluß standen die beiden größten Parteien – die Sozialdemokraten und die Konservativen. Allerdings hatten die Konservativen noch weitere Pläne, um das uralte Recht auf Akteneinsicht radikal zu verändern.

Akteneinsicht begrenzen

„Die Möglichkeit, Einsicht in Dokumente mit personenbezogenen Daten zu bekommen, sollte auch begrenzt werden“, meinte die konservative Parlamentariern Inger René.

Seit langen haben schwedische Politiker schlechte Erfahrungen mit investigativen Journalisten und kritischen Bürgern. Mit Hilfe des 200 Jahre alten Gesetzes können sie z.B. Kreditkartenrechnungen von den Politikern innerhalb 24 Stunden verlangen. Oftmals hat es sich gezeigt, daß Politiker sich auf Kosten der Steuerzahler private Auslandreisen und Alkohol gönnen. Die Kommune Mölndal bei Göteborg weist schon auf EU-Recht hin, um gewisse Dokumente mit Daten über Politiker und Beamte nicht mehr aushändigen zu müssen. „Die EU-Rechtlinie zum Datenschutz hat höheren Wert als das schwedische Grundgesetz. Deshalb folgen wir die EU-Richtlinie“, meint Jan Persson, Leiter der Juristischen Abteilung.

„Mißbrauch verhindern“

Aber es geht noch weiter. Die Konservativen wollen eine Änderung des Grundgesetzes, um „Mißbrauch des Akteneinsichtsrechts zu verhindern“. So soll verhindert werden, das ausländische Akten anonym an die schwedischen Behörden geschickt werden. Das passierte vor einigen Jahren, als geheime deutsche Dokumente über schwedischen Waffenschmuggel plötzlich bei einer schwedischen Behörde auftauchten. Der Trick dabei: Die deutschen Dokumente wurden somit nach schwedischen Gesetzen im Prinzip öffentlich. „Das Gesetz für Akteneinsicht ist so nicht zu benützen“, meinte der konservative Parlamentarier Anders Björck.

Scientologien machen Lobby

Obwohl die Sozialdemokraten nicht so laut darüber reden wie die Konservativen, planen auch sie, das Grundrecht einzuschränken. Z.B sollen urheberrechtsgeschüzte Dokumente nicht mehr ausgehändigt werden. Hinter dem Gesetzent-wurf steht die Lobby der „Church of Scientology“, deren geheime Schriften durch einen Urheberrechtsstreit im Stockholmer Landgericht im Jahre 1997 öffentlich bekannt wurden.

„Die Gesetzänderung ist sehr schlimm, nicht nur, weil die Sozialdemokraten sich von den Scientologen beeinflussen lassen, sondern auch, weil ein Risiko besteht, daß Behörden mit dem Urheberrechtsschutz als Grund Akteneinsicht verweigern können“, meint die Journalisten Eva Spira bei der Gewerkschaftszeitung der staatlichen Angestellten. „Wer Berufung einlegt, muß dann Monate warten, bis die Verwaltungsgerichte entscheiden. Dann ist eine Story längst tot. Wenn es ganz schlimm kommt, kann das auch bald der Fall sein mit unserer einst weltberühmten gläsernen Verwaltung“.

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