Ein Brief sorgt in Österreich für Aufsehen: Das FPÖ-geführte Innenministerium ließ den Polizeidienststellen des Landes letzte Woche eine „Handlungsempfehlung“ für den Umgang mit Medienanfragen zukommen. Danach soll unkritische Berichterstattung belohnt werden, kritische Tageszeitungen wie Der Standard oder Kurier und das Wochenblatt Falter sollten lediglich mit dem Nötigsten versorgt werden. Was bedeutet das für die Mediendemokratie in Österreich? Fragen an Petra Stuiber, stellvertretende Chefredakteurin der Tageszeitung Der Standard.
„1848 wurde die Pressefreiheit erkämpft, und 2018 lassen wir sie uns nicht nehmen“, so die Eröffnungsworte der Österreichischen Medientage, die unmittelbar nach Bekanntwerden des Schreibens stattfanden. Die Diskussion hält an.
Wie sehr hat es Sie überrascht, Frau Stuiber, dass der Name Ihres Blattes auf der Liste des Innenministeriums steht, mit denen „nur das Nötigste“ kommuniziert werden soll?
Wirklich überrascht hat es uns nicht. Wir hatten schon einen gewissen Verdacht, da wir bereits bemerkt haben, dass wir bei Anfragen an das Kabinett des Bundesinnenministers oft gar nicht oder sehr verspätet zurückgerufen werden. Aber das Erstaunen war doch sehr groß, als wir unseren Verdacht nun verschriftlicht bestätigt gesehen haben.
Wofür steht dieser Vorfall? Ist das ein Indiz für eine sich einschleichende „Orbánisierung“, die mit der Regierungsbeteiligung der rechtspopulistischen FPÖ ohnehin befürchtet wurde?
Diesen Vergleich würde ich so nicht ziehen. Was Viktor Orbán in Ungarn gemacht hat, geht weit über eine „Anregung beim Umgang mit Medien“ hinaus. Dort wurden Richter zwangspensioniert, das ist nochmal eine andere Qualität. Aber was jetzt in Wien versucht wurde, grenzt an Medienmanipulation. Medien, die sich „nicht gut benehmen“, werden mit banalen Informationen abgefertigt und damit ausgrenzt, während andere, die sich vermeintlich brav verhalten, mit guten Informationen versorgt werden.
Was bedeutet dieses Schreiben für die öffentliche Debatte jetzt in Österreich?
Es findet eine öffentliche Debatte statt, das ist schon einmal gut so. Es gab eine Entschuldigung des Bundekanzlers Kurz, der zu dem Zeitpunkt bei der UNO-Generalversammlung in New York war und sein Missfallen deutlich gemacht hat – allerdings, ohne den Innenminister beim Namen zu nennen. Ich denke aber, wir benötigen nachhaltigere Konsequenzen. Es muss darüber gesprochen werden, wie man mit Medien und Informationen in diesem Land umgehen will. Der Versuch, die Informationsfreiheit zumindest für einen Teil der Medien zu beschränken, ist ein Eingriff in die Pressefreiheit. Wir haben hier in Österreich noch ein „Amtsgeheimnis“ im Gesetz stehen, das stammt noch aus der Kaiserzeit. Demokraten aller Institutionen dürfen sich darauf berufen, wenn sie nichts sagen wollen. Dieses Amtsgeheimnis gehört abgeschafft, anstelle dessen fordere ich ein Informationsfreiheitsgesetz. Wir erwarten vom Bundeskanzler, dass er sich dafür stark macht. Als er noch Staatssekretär einer rot-schwarzen Regierung war, hat er sich dafür ausgesprochen. Das gilt es nun umzusetzen.
Welche Reaktionen haben Sie von Ihren Mitbewerbern erhalten, vor allem jenen, die nicht auf der Liste auftauchen?
Bis auf die Kronenzeitung und Österreich, das sind die beiden großen Boulevardblätter, haben alle dieses Thema aufgegriffen und auch sehr kritisch kommentiert, dass so etwas in Österreich überhaupt möglich ist.
Das Thema war auch auf den Medientagen Österreich sehr präsent – allerdings hat Wolfgang Fellner, Chef Mediengruppe Österreich, dort darauf hingewiesen, dass es derartiges in der Vergangenheit schon gegeben habe und so neu gar nicht sei…
Natürlich war das auch früher schon der Fall, dass man mitunter bemerkt hat, dass es nach einer kritischen Berichterstattung keine Interviews mehr gab. Allerdings ist es noch nie vorgekommen, dass das schriftlich festgehalten wurde. Was uns grundsätzlich auffällt, ist, dass es mit der Regierung, die ja die „message control“ sehr hoch hält, etwas schwierig ist. Der Standard wurde bei Hintergrundgesprächen, zum Beispiel bei den Themen Reform der Sozialversicherungen oder Pensionserhöhung, gar nicht eingeladen.
Gab es schon ein Gesprächsgesuch oder gar eine Entschuldigung seitens des Innenministers?
Nein, im Gegenteil. Minister Herbert Kickl hat im Nationalrat noch einmal bestätigt, dass er die Aufregung für lächerlich hält. Er hat alles von sich gewiesen und in einer ersten Reaktion sogar die Berichterstattung über den Vorfall bei uns im Standard und im Kurier als Vorwand genommen, den Vorwurf der „Voreingenommenheit“ noch einmal zu untermauern. Das weisen wir von uns, denn die Tatsache, dass wir kritisch darüber berichten, kann nicht als Voreingenommenheit ausgelegt werden.
Das Land diskutiert darüber – funktionieren die demokratischen Reflexe in Österreich also noch sehr gut?
Selbstverständlich. Österreich ist eine demokratische Republik, wir haben eine vitale Demokratie und ich sehe die Demokratie nicht in Gefahr. Allerdings ist Demokratie etwas, auf das man immer und jederzeit aufpassen muss. Und wenn es Versuche gibt, einen Teil der demokratischen Werte, und dazu zählt nun einmal ganz vorne auch die Pressefreiheit, einzuschränken, dann muss man alles tun, um diese Tendenzen zu unterbinden.
In den USA haben die Blätter wie New York Times, die unter Dauerbeschuss des US-Präsidenten stehen, enorm an Lesern zugewinnen können. Erwarten Sie nun auch neue Leser und Abonnenten?
Der Standard ist ohnehin im Aufwind. Wir haben eine sehr gute und steigende Reichweite. Ob der aktuelle Vorfall dazu führt, dass nun noch mehr Menschen unsere Zeitung lesen, weiß ich nicht. Wir sind nach dem Schreiben auch nicht weiter aufgeregt. Wir sind ein liberales und unabhängiges Medium, das werden wir auch in Zukunft sein und fühlen uns weiter unseren Leserinnen und Lesern und Userinnen und Usern verpflichtet.