Polen: Medien werden Propagandainstrumente

Kundgebung für Medienfreiheit in Polen in der Straße "Unter den Linden" in Berlin. In vielen deutschen Städten sowie am 13. Januar auch in Brüssel wurde gegen die Politik der polnischen Regierung demonstriert. Die Kundgebung in Berlin wurde vom Komitee zur Verteidigung der Demokratie - Polonia (KOD) organisiert. Foto: Christian von Polentz

Journalist Tomasz Lis im Gespräch mit M

Die Regierung Beata Szydlo (PiS) krempelte nach ihrer Wahl im Oktober im Eiltempo die polnischen gesellschaftlichen Institutionen um. Die öffentlich-rechtlichen Sender sind künftig „nationale Kulturinstitute“, ihre Intendanten werden vom Schatzminister ernannt. Der neue Intendant von TVP, Jacek Kurski, nannte sich selbst einst „der Bullterrier der Kaczynskis“. Einige der bekanntesten TV-Moderatoren wurden abgesetzt. Darunter Tomasz Lis, dessen vielfach ausgezeichnete Talk-Sendung „Tomasz Lis na Zywo“ eingestellt wurde. Lis arbeitet weiterhin als Chefredakteur der Newsweek Polen.

Tomasz Lis Foto: Michał Szlaga
Tomasz Lis Foto: Michał Szlaga

Herr Lis, wann haben Sie erfahren, dass Ihre Sendung eingestellt wird?

Ach, das war mir eigentlich schon am Wahlabend klar. Die haben mich immer als Feind gesehen. Besonders, da ich danach nicht aufgehört habe, laut Kritik zu äußern. Ich habe vor der Wahl gesagt, was ein Wahlsieg der PiS bedeuten würde- und leider habe ich Recht behalten. Sie hassen unabhängige, kritische Journalisten. Also war es für sie nur natürlich, mich abzusetzen. Ich passe nicht in die Art von Partei-Medien, die sie jetzt formen.

Sie sind auch Chefredakteur der Newsweek Polen. Wie kann die Regierung die Arbeit der privaten Medien einschränken? Über die Besteuerung?

Darüber und über hohe Strafen, die gegen die Beleidigung der Regierung ausgesprochen werden. Zudem gehören die kritischen Medien zu ausländischen Verlagen, also soll der ausländische Kapitalanteil begrenzt werden. Aber sie werden noch mehr Wege finden. Die staatlichen Medien sind nur der erste Schritt. Es ist also höchste Zeit, dass die EU die Alarmglocken erklingen lässt.

Sie begrüßen also, dass die EU-Kommission die neuen Gesetze auf Konformität mit dem EU-Wertekanon prüft?

Ja, ich bin sehr zufrieden mit der Entscheidung und denke, es ist der richtige Schritt. Ich bin nicht so naiv, zu glauben, dass das die Richtung der neuen Regierung radikal ändern wird. Aber sie werden zumindest zwei Mal überlegen, bevor sie noch weitere Schritte unternehmen- Schritte, die sie ja bereits planen. Ein neuer Gesetzesvorschlag sieht vor, dass der Justizminister gleichzeitig Generalstaatsanwalt wird, die Staatsanwaltschaft wird dann ein Werkzeug der Regierung. Das Polizeigesetz erlaubt zudem, jedermanns E-Mails und Telefonrechnungen zu lesen und für unbegrenzte Zeit zu speichern. Wenn das durchgeht, wäre Polens liberale Demokratie nur noch ein Witz. Wir sind dem Club (Anm.: Die EU) beigetreten und müssen nun auch nach dessen Regeln und Werten spielen. Aber die Regierung versteht nicht, dass die EU nicht nur aus freiem Geldfluss und Fördermitteln besteht, sondern auch eine Wertegemeinschaft ist.

Wird die polnische Regierung den Bruch mit der EU riskieren?

Nein, solange wir Geld aus Brüssel bekommen, nicht. Dann würden die Proteste auch zu groß werden.

In welchen Punkten verstößt die Regierung gegen das Rechtsverständnis innerhalb der EU?

Von den drei wichtigsten Institutionen einer Demokratie wurde eine lächerlich gemacht, eine abgeschafft und eine lahm gelegt.
1. Das Verfassungsgericht: Wenn es keine Institution mehr gibt, die unabhängig von der Regierung die Verfassungsmäßigkeit überprüfen kann, ist die Verfassung nur noch ein Stück Papier!
2. Das Mediengesetz: Kaczinsky sagte sogar selber mal, es sei ein Witz, wenn die Regierung die Sender-Chefs bestimmt. Jetzt ist sein Hauptpropagandist Jacek Kurski neuer TVP-Boss. Das ist eine klare Ansage: „Wir können machen, was wir wollen und zwar in Vollgeschwindigkeit.“ Es sind keine öffentlichen Medien mehr, sondern Propaganda-Instrumente der Regierung.
3. Die Art, wie das Parlament arbeitet, ist eine Verhöhnung der parlamentarischen Demokratie. Die Regeln wurden geändert, die Redezeiten der Opposition beschnitten, das Parlament ist Teil der Regierungsmaschinerie. Unser Präsident und die Ministerpräsidentin Beata Szydlo haben keine wirkliche Macht. Das Sagen hat Jarsolaw Kaczinsky – ein einfacher Abgeordneter.

Das erinnert sehr an Viktor Orban- wer war Vorbild und wer Nachfolger?

Diese Ideen hatte Kaczinsky schon länger, aber Orban hat gezeigt, wie man sie schnell umsetzen kann. Wobei Orban scheinbar wie ein rationaler Politiker vorgeht und es sich nicht mit den EU-Partnern verscherzt. Seine Partei ist immerhin Teil der europäischen Volksparteien (wie CDU/CSU) in Straßburg, er spricht mit ausländischen Medien, bemüht sich um gute Beziehungen zu Deutschland und sogar zu Putin.
Kaczinsky dagegen hat es in zwei Monaten geschafft, Polen vom europäischen Musterknaben zum Buhmann zu machen. Unser wichtigster Freund Deutschland wurde zum Feindbild gemacht. Unsere Regierung beleidigt jeden, der gegen sie ist. Auch ich werde nicht täglich, sondern stündlich beleidigt.

Ist Kaczinsky irrational?

Er geht methodisch und hartnäckig vor, aber der Irrationalitäts-Faktor ist sehr hoch. Eine Mischung aus Panzer, der über alles hinwegrollt, und unfreiwillig komischem Laien.

Was ist Kaczinskys Einstellung zu den Medien? War er nicht mal selber Chefredakteur der Solidarnosc-Zeitung?

Ach nein, das war er nur nominell, er hat niemals als Journalist gearbeitet. Er hat eine totalitäre Haltung zu den Medien. Er glaubt nicht an freie Medien. Sie müssen sein Werkzeug sein, ansonsten will er sie zerquetschen, marginalisieren, bekämpfen.

Einige polnische Medien greifen wieder auf Nazi-Klischees zurück, als Reaktion auf deutsche Kritiker…

Zum Glück macht das nur ein Teil der Medien. Das ist kindisch und klar zu verurteilen! Es sind einerseits PiS-nahe Medien, andererseits Wochenzeitungen, die verzweifelt um Auflage kämpfen und auf Groß-Anzeigen der Regierung hoffen. Die Freundschaft zu Deutschland ist so immens wichtig und wird unnötig und leichtfertig aufs Spiel gesetzt.

Es gibt Polen, die meinen, Deutschland habe nicht das gleiche Recht wie andere, Polen zu kritisieren…

Ich kann nicht mal erkennen, dass Deutschland Polen kritisiert. Der Vize-Kanzler hat seine Bedenken geäußert, aber ich kann nicht sehen, dass „die deutsche Regierung“ die polnische attackiert. Im Gegenteil. Regierungssprecher Seibert etwa, den ich sehr schätze, hat sehr bedachte, diplomatische Worte gefunden.
Es ist anders auf europäischer Ebene. Aber die EU-Kommissare etwa, ob tschechisch, deutsch oder polnisch, haben absolut das Recht dazu, ihre Meinung zu äußern.

Auch die EBU (Europäische Rundfunkunion) und die dju in ver.di als Teil der EJF haben die Mediengesetze kritisiert. Begrüßen Sie die Kritik, wirkt sie?

Ob diese Protestschreiben von internationalen Journalistengewerkschaften, die zahlreichen Demonstranten in polnischen Städten, die Opposition im Parlament oder die Kritik ausländischer Politiker oder Medien: All diese Kritik ist absolut nötig und wichtig und wir brauchen sie! Vielleicht zeigt das nicht sofort Wirkung. Aber ohne die Kritik hätten Herr Kazcinsky und seine Mitstreiter das Gefühl, sie könnten einfach machen, was auch immer sie wollen, alle demokratischen Barrieren einreißen.

Besteht die Gefahr eines Bruchs zwischen Ost-Mittel- und West-Europa?

Ich fürchte, der Bruch vollzieht sich bereits. Denn die Brücke zwischen Ost-Mittel- und Westeuropa- ist die deutsch-polnische Freundschaft. Und die wird täglich von der polnischen Regierung beschädigt. Die Międzymorze (Anm.: zwischen den Meeren)- Initiative unserer Regierung (Anm.: ein Verbund der Visegrád-Staaten, der baltischen Staaten, Rumäniens, Bulgariens und der Ukraine) soll ein Gegengewicht zu Deutschland sein. Ich habe nichts dagegen, dass wir uns in verschiedenen diplomatischen Plattformen engagieren. Aber die Vorstellung, damit die deutsch-polnische Freundschaft zu ersetzen, ist einfach nur dumm. Es wird uns aus dem Zentrum Europas in die Peripherie Europas versetzen.

Das Gespräch führte Florian Maaß

Wie am 13. Januar bekannt wurde, untersucht nun erstmals in ihrer Geschichte auch die EU-Kommission die Vereinbarkeit der polnischen Gesetzesänderungen mit den Werten und Rechten innerhalb der EU und hat im Zuge dieses Verfahrens einen „strukturierten Dialog“ mit der polnischen Regierung eingeleitet.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Gemeinsame Standards für Medienfreiheit

In Brüssel wird der European Media Freedom Act (EMFA) bereits als "Beginn einer neuen Ära" zelebriert. Ziel der Verordnung ist es, die Unabhängigkeit und Vielfalt journalistischer Medien in der EU in vielfacher Hinsicht zu stärken. Doch wie er von den Mitgliedsstaaten  - vor allem dort, wo etwa die Pressefreiheit gefährdet ist wie Ungarn und der Slowakei - umgesetzt wird, zeigt sich erst im kommenden Sommer.
mehr »

Lokaljournalismus: Die Wüste droht

Noch sei es nicht so weit, aber von einer "Steppe" könne man durchaus schon sprechen, sagt Christian Wellbrock von der Hamburg Media School. Wellbrock ist Leiter von "Wüstenradar", einer Studie, die zum ersten Mal die bundesweite Verbreitung und zahlenmäßige Entwicklung von Lokalzeitungen in den letzten 30 Jahren unter die Lupe genommen hat. Sie erhebt, wie stark der Rückgang lokaler Medien inzwischen tatsächlich ist und warnt: In etlichen Regionen droht tatsächlich die Verbreitung von "Nachrichtenwüsten".
mehr »

Eine Stimme für afghanische Mädchen

Die iranische Filmemacherin Sarvnaz Alambeigi begleitet in ihrem Dokumentarfilm „Maydegol“ über viele Jahre eine junge Muay-Thai-Boxerin aus Afghanistan, die im Iran unter schwierigen Umständen für ein selbstbestimmtes Leben kämpft. Im Interview erzählt Alambeigi, welche Rolle das Kopftuch für den Film spielt, was sie von der jungen Generation gelernt hat und warum der Film endet, bevor Maydegol endlich gelingt, was sie sich wünscht.
mehr »

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »