Präzedenzfall für die Pressefreiheit

Foto: Christian von Polentz

Der britische High Court wird diese Woche über den letztmöglichen Berufungsantrag des WikiLeaks-Gründers gegen seine Auslieferung an die USA entscheiden. Reporter ohne Grenzen (RSF) wird die Anhörung vor Ort im Gericht beobachten und wiederholt den dringenden Appell an die US-Regierung, das Verfahren gegen Assange einzustellen, damit er umgehend freikommt. Wir sprachen mit Ilja Braun von RSF über die Hintergründe des Verfahrens und die Chancen für eine Berufung.

M: Julien Assange erwartet vor dem Londoner High Court am 20. und 21. 2. die womöglich letzte Anhörung im Rechtsstreit um seine Auslieferung. Worum genau geht es dort?

Ilja Braun: Es geht um die Auslieferung Assanges an die USA, dagegen hat er Berufung eingelegt. Am Dienstag und Mittwoch wird in London darüber entschieden, ob dieser stattgegeben wird. Ihm wird vorgeworfen, Daten gehackt und spioniert zu haben. Insgesamt drohen ihm 175 Jahre Haft. Davon gehen 170 auf Vorwürfe unter dem „Espionageact“ von 1917 zurück. Seine Anwälte haben dagegen argumentiert. Das Gericht kann diesen Argumenten nun folgen, sie ablehnen oder ihnen teilweise folgen. Falls die Berufung nicht zugelassen wird, stünde seiner Auslieferung nichts mehr im Wege. Es gibt dann eine Frist von 28 Tagen. Er könnte aber auch schon am nächsten Tag ausgeliefert werden. Daher ist es ein entscheidender Moment für Assange.

Für ihn und für die Pressefreiheit.

Es ist ein Präzedenzfall, der üble Auswirkungen auf die Pressefreiheit haben kann. Im Grunde genommen handelt es sich um eine Umdeutung von investigativem Journalismus in Spionage. Das Arbeiten mit Quellen und zugespieltem Material gehört aber zum Job von Journalisten. Wenn die USA damit durchkommen, könnte jedes Land der Welt auf die Idee kommen, investigative Journalisten mit der Begründung des Geheimnisverrats anzuklagen. Wir fordern daher, alle Anklagepunkte gegen Assange fallen zu lassen.

Seit April 2019 sitzt Assange im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh. Die Haftbedingungen sind ausgesprochen hart. Wie begründet die Justiz diese Bedingungen?

Assange befindet sich in Isolationshaft. Begründet wird das nicht. Aber insgesamt geht da vieles nicht mit rechtstaatlichen Dingen zu. Ganz lange, während er sich noch in der ecuadorianischen Botschaft aufhielt, gab es nicht einmal eine Anklage gegen ihn. Obwohl wir grundsätzlich Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit Großbritanniens haben, muss man sagen: Dieser Fall scheint eine Ausnahme zu sein, der dieses Vertrauen nicht gerade stärkt.

Die Bundesregierung hat dieses Vertrauen. Zumindest ist das auch die Antwort auf eine kleine Anfrage im vergangenen Jahr gewesen. Vor der Bundestagswahl klang das noch anders. Vor allem die Grünen forderten da noch die Freilassung von Assange. Woher kommt der Sinneswandel?

Das hat natürlich mit der Regierungsbeteiligung zu tun. Gerade Akteurinnen wie Claudia Roth und Annalena Baerbock haben sich sehr für Assange eingesetzt als sie noch in der Opposition waren. Jetzt scheint es da transatlantische Rücksichten zu geben, wie immer das mit dem Anspruch einer wertegeleiteten Außenpolitik zusammenpassen mag. Wir haben sowohl an Scholz als auch an Baerbock appelliert, sich stärker für Assange einzusetzen. Da kam immer die Standardantwort zurück, dass es sich um ein rechtsstaatliches Verfahren handele. Es ducken sich bei dem Thema aber auch alle weg. Niemand will sich dazu exponieren. Lediglich die australische Regierung scheint sich hinter den Kulissen für Assange einzusetzen.

Was könnte dieser Druck bewirken?

Die britische Regierung hat der Auslieferung ja bereits zugestimmt. Nun liegt der Ball bei den Gerichten. Das politische Momentum wäre aber sofort wieder da, wenn die Berufung abgelehnt würde. Es liegt nach wie vor in der Hand der britischen Regierung, dem Auslieferungsersuchen der USA zu entsprechen oder eben nicht. Wir fordern natürlich in erster Linie, dass die USA ihre Anklage fallenlassen, aber auch, dass Großbritannien ihn nicht ausliefert. Allerdings rechnen wir nicht damit, dass die Entscheidung über die Berufung sofort verkündet wird. Und selbst wenn ginge die Inhaftierung in Belmarsh weiter, so lange die Anklage gegen ihn bestehen bleibt. Das ist das eigentlich Bittere an dem Fall: So lange kein politischer Druck auf die USA entsteht, wird Assange in absehbarer Zeit nicht freikommen. Und das ist eigentlich eine Schande für die Rechtsstaatlichkeit in der westlichen Welt.


Reporter ohne Grenzen, Amnesty International und der Verein Digitale Gesellschaft demonstrieren für die Freiheit des in Großbritannien inhaftierten Wikileaks-Gründers Julian Assange vor der US-Botschaft am 20.2.2024 in Berlin.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Quartalsbericht zur Branche liegt vor

Einen detaillierten Blick auf das Geschehen in der Medienbranche wirft der jetzt wieder vorliegende Quartalsbericht. Er speist sich aus den Auswertung von Internetseiten, Zeitungen, Fachzeitschriften, Informationsdiensten, Verbands- und Unternehmenspublikationen. Ein Merkmal des ersten Monate dieses Jahres: Viele Übernahmen und eine Werbekonjunktur. 
mehr »

Buchtipp: Sprache des Kapitalismus

Über gendersensible Sprache läuft schon seit Jahren eine hochemotionale Debatte. In Bayerns Schulen, Hochschulen und Behörden gilt seit dem 1. April sogar ein Genderverbot. Über Begrifflichkeiten wie „steigende Preise“ oder Finanzkrisen, die wie ein „Tsunami“ über uns kommen, wird dagegen weniger gestritten. Sie beherrschen längst unser Denken und Sprechen, sind in unseren Alltag eingedrungen. Wer in diesem Wirtschaftssystem sozialisiert wurde, nutzt sie automatisch, ohne weiter darüber nachzudenken.
mehr »

Von Erbsensuppe und neuen Geschichten

„Vielfalt schützen, Freiheit sichern – 40 Jahre duale Medienordnung im föderalen Deutschland“. Dies war das Thema des Symposiums, das am 23.  April in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften stattfand. Ausrichter war die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM).  Teilnehmer waren Verantwortliche aus Medienpolitik und -wissenschaft, Rundfunkregulierung und Medienunternehmen.
mehr »

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »