Der Fall Assange betrifft uns alle

London am 24. Januar 2022: Stella Moris kommentiert vor dem Gerichtsgebäude den Teilerfolg zur Berufung für Julian Assange, rechts hinter ihr Kristinn Hrafnsson von Wikileaks. Foto: Reuters/ Peter Nicholls

Journalist*innen- und Menschenrechtsorganisationen appellieren gemeinsam für die Freilassung des Wikileaks-Gründers

„Es geht nicht nur um Gesundheit und Freiheit eines Einzelnen, es geht um die Glaubwürdigkeit unseres Wertesystems.“ Alle Medienschaffenden und sämtliche Menschen, die sich als Demokraten sehen, seien in der Verantwortung für Julian Assange, mahnte dju-Bundesgeschäftsführerin Monique Hofmann. Führende Journalist*innen- und Pressefreiheitsorganisationen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz forderten am 31. Januar 2022 gemeinsam die sofortige Freilassung des Wikileaks-Gründers und seine Nichtauslieferung an die USA.

Neben der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di hielten Reporter ohne Grenzen (RSF), der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) und Netzwerk Recherche in Berlin eine Solidaritäts-Pressekonferenz „Der Fall Assange betrifft uns alle“ ab, zu der auch Vertreter des Österreichischen Journalist*innen Clubs und des Club Suisse de la Presse/Geneva Press Club per Video zugeschaltet wurden. Alle sprachen sich dafür aus, dass Assange, der seit zehn Jahren nicht frei leben kann und nun bereits über 1000 Tage im Londoner Hochsicherheitsgefängnis aushalten muss, unverzüglich freikommt. Sein einziges „Verbrechen“ sei es, dass er Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen der USA aufgedeckt habe.

„Nutzen Sie die Chance!“

RSF-Geschäftsführer Christian Mihr appellierte an die deutsche Bundesregierung, die Tragweite des Falls endlich anzuerkennen. Bundeskanzler Olaf Scholz müsse sich deshalb bei seinem anstehenden Besuch bei US-Präsident Joe Biden in Washington mit Nachdruck dafür einsetzen, dass die USA die Anklage gegen Assange fallenlassen. „Nutzen Sie diese Chance!“, appellierte er an den Kanzler. „Pressefreiheit ist ein universelles Menschenrecht“, so Mihr. Die „wertebasierte Außenpolitik“, die die Ampel-Koalition erklärtermaßen betreiben wolle, schließe ein, „auch verbündete Regierungen auf Fehler hinzuweisen“. Mihr, der am 24. Januar in London dabei war, als Assanges Antrag auf Zulassung der Berufung durchkam, zeigte sich erschüttert von den Haftbedingungen und Prozessumständen. Er sah “rechtsstaatliche Standards bereits allein bei der Verfahrensberichterstattung eklatant verletzt“, der Prozess sei „nichts als eine politisch motivierte Farce“.

Assange verdiene „keine Strafe, sondern Solidarität, Schutz und Dankbarkeit“, betonte DJV-Vorsitzender Frank Überall. Er nannte den Fall eine “Schande für die Pressefreiheit, für die Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit“. Insofern drohten Großbritannien und die USA „Krisengebiet für Menschenrechte“ zu werden.

Auf dem Podium der Pressekonfrenz (v.l.n.r.): Christian Mihr (RSF), Frank Überall (DJV), Monique Hofmann (dju in ver.di) und Günter Bartsch (NR). Foto: ver.di

Monique Hofmann, Bundesgeschäftsführerin der dju in ver.di, ordnete den Fall Julian Assange in die aktuelle Situation ein, in der Pressefreiheit „weltweit einen schweren Stand“ habe. Strategische Einschüchterungsklagen, sogenannte SLAPPS, bedrohten Medienschaffende zunehmend. Sollte der Wikileaks-Gründer tatsächlich an die USA ausgeliefert werden, sei das ein Angriff auf Journalist*innen weltweit und bilde ein „weiteres Einfallstor, Menschenrechte auszuhöhlen“. Wer sich glaubwürdig für demokratische Werte und Prinzipien einsetzen will, müsse sich auch mit Julian Assange solidarisieren und seine sofortige Freilassung fordern. „Das gilt auch für die neue Bundesregierung“, sagte sie.

Missstände aufzudecken sei eine zentrale Aufgabe der Medienschaffenden, erinnerte Günter Bartsch, Geschäftsführer von Netzwerk Recherche. Die Veröffentlichung von Dokumenten gravierenden staatlichen Fehlverhaltens  – wie im Fall von Julian Assange – als „Spionage“ zu verfolgen, sei mittlerweile „völlig maßlos“ und bedeute eine reale Bedrohung von Pressefreiheit. „Immer häufiger arbeiten Reporter*innen in internationalen Kooperationen, immer häufiger geht es um die Veröffentlichung großer Datenpakete.“

Opfer beispielloser Rufmordkampagne

Fred Turnheim, ehemaliger Präsident des Österreichischen Journalist*innen Club, berichtete per Videoschaltung, dass der Club sich gerade mit einem öffentlichen Appell an Außenminister Schallenberg gewandt habe mit dem Ziel, Julian Assange in Österreich politisches Asyl zu gewähren. Niemandem könne daran gelegen sein, mit Assange einen Märtyrer zu schaffen, der den Verfolgungen physisch und psychisch nicht mehr standhalten könne. Auch der „Karl-Renner-Solidaritätspreis“ 2021 der österreichischen Journalisten sei an Julian Assange verliehen worden und solle in den kommenden Tagen in Wien an Assanges Lebensgefährtin Stella Morris überreicht werden.  Die Journalistenorganisation des Nachbarlandes regte zudem an, sich gemeinsam beim Europarat und dem EU-Parlament für die Organisation von Hearings einzusetzen, um auch dortige Abgeordnete zu sensibilisieren.

Per Video erinnerte Geschäftsführer Pierre Ruetschi daran, dass der Club Suisse de la Presse/Geneva Press Club bereits im vergangen Juni einen Genfer Appell zur Freilassung Assanges initiiert habe. Die Petition könne jeder mitzeichnen, der sich für die Pressefreiheit einsetze und gegen die unmenschliche Behandlung von Julian Assange protestieren wolle. Nur Druck werde die britische Regierung zwingen, Assange freizugeben. Man wolle weiter darauf hinwirken, dass auch die Schweiz als Asylland für den Wikileaks-Gründer bereitstehe.

Dass Assange „schwerste Kriegsverbrechen aufgedeckt habe und deshalb nun Opfer einer beispiellosen Rufmordkampagne“ sei, erklärte Journalist Günter Wallraf in einer Videobotschaft. Er regte an, dass Unterstützer und Menschenrechtsorganisationen Julian Assange und Alexej Nawalny als gemeinsame Kandidaten für den nächsten Friedensnobelpreis vorschlagen mögen. Außerdem appellierte er an namhafte Unterstützer seiner eigenen überparteilichen Aktion zur Freilassung Assanges aus dem Jahr 2021, „die heute teilweise Ministerämter in der Bundesregierung ausüben“, den Journalisten Assange nicht einem „Tod auf Raten“ auszuliefern.

In der anschließenden Fragerunde nahm auch der anwesende Wikileaks-Editor-in-Chief Kristinn Hrafnsson das Wort. Die hinter der dauernden Verfolgung und Festsetzung Julian Assanges liegende Strategie werde „immer offensichtlicher und immer absurder“, sagte er, sie sei eindeutig politisch motiviert. Er bedankte sich für die aktuelle Initiative der deutschsprachigen Journalisten- und Menschenrechtsorganisationen. Er hoffe, dass die Signale bei der politischen Führung der Länder und sogar im Weißen Haus ankämen.

Die USA verfolgen den Wikileaks-Gründer mit unnachgiebiger Härte; laut Anklage nach dem US-Spionagegesetz drohen ihm bis zu 175 Jahre Haft. In Großbritannien harrt er bereits seit mehr als 1000 Tagen ohne Verurteilung in Einzelhaft im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh aus. Dass er für diese Beiträge zu journalistischer Berichterstattung von größtem öffentlichen Interesse verfolgt wird, werteten die Organisatoren der gemeinsamen Veranstaltung als ein gefährliches Vorzeichen für Journalist*innen und Whistleblower*innen überall auf der Welt. Ein Londoner Gericht hat zwar am 24. Januar dem Berufungsantrag von Assanges Anwälten zugestimmt und die Entscheidung darüber, ob eine Auslieferung an die USA rechtmäßig wäre, an den britischen Supreme Court verwiesen. Doch ist davon auszugehen, dass Assange noch Monate, wenn nicht Jahre in Haft zubringen muss.

Ein Mitschnitt des Livestreams der Pressekonferenz ist hier zu sehen:

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