Résistance geht weiter

Belegschaft des France soir wehrt sich mit Streik gegen die Übernahme durch Investorenduo

Es gibt Zeitungen, die spiegeln Geschichte wieder. Zu ihnen gehört France soir. Als Nachfolger des Untergrundblattes „Défense de la France“ wurde die Gazette im November 1944 gegründet, unmittelbar nach der Befreiung von Paris von den deutschen Besatzern. Lange war es die größte Zeitung des Landes, als einziges Printmedium durchbrach die Auflage der France soir in den sechziger Jahren die Millionengrenze. Doch diese Zeiten sind vorbei.

Seit Ende Oktober vergangenen Jahres stehen Verlag und Redaktion unter Konkursverwaltung. Am 12. April wurde der Verkauf an ein französisches Investorenduo beschlossen. Die Redaktion trat daraufhin in Ausstand und brachte am 14. April die vorerst letzte Nummer heraus. Titel: „Résistance“. Widerstand.
Dabei war das Ende abzusehen. Seit den siebziger Jahren hatte die boulevardesk aufgemachte Zeitung ständig Leser verloren. Zuletzt war die Auflage auf unter 60.000 Exemplare pro Tag eingebrochen. Der Schuldenberg hingegen wuchs auf rund 15 Millionen Euro, jeden Monat kamen 700.000 Euro hinzu. Seit geraumer Zeit hatte sich der franko-ägyptische Alteigner Raymond Lakah daher nach einem Käufer umgesehen. Doch der Deal gestaltete sich schwieriger als erwartet. Zwar wäre der erste Bewerber Arkadi Gajdamak liquide gewesen. Auch bot der russische Geschäftsmann an, die Zeitung in seine Mediengruppe Moscow News einzugliedern und – zumindest im ersten Jahr – niemanden zu entlassen. Doch die französische Staatsanwaltschaft legte ihr Veto ein. Gegen Gajdamak bestünde in Frankreich ein Haftbefehl. Ihm wird vorgeworfen, in einen illegalen Waffendeal in Angola verstrickt zu sein.

Jobstreichungen angekündigt

An dieser Stelle kam der französische Immobilienspekulant Jean-Pierre Brunois ins Spiel. Zusammen mit dem Sportjournalisten Olivier Rey bot er an, den bankrotten Betrieb für 700.000 Euro zu übernehmen – und setzte sich damit am 12. April vor einem Handelsgericht im nordfranzösischen Lille durch. Rey soll nun als Chefredakteur eingesetzt werden und France soir zu einem reinen Boulevardblatt nach dem Vorbild der britischen Tabloids The Daily Mirror oder The Sun machen. Die Seiten mit Politik, Wirtschaft und Kultur will Rey ersatzlos streichen. „Mich interessiert nicht, ob der Fußballer Juninho einen Elfmeter verwandelt“, wird Rey in der Protestausgabe von 14. April zitiert: „Mich interessiert, ob und in welcher Disco in Lyon er eine Nutte aufgerissen hat.“ Nach dieser „Schockformel“, so Rey, könnten neuen Leser angezogen werden. Die neue France soir soll sich auf diese Weise deutlich von den Gratiszeitungen wie 20 minutes oder Metro abheben, deren massenhaftes Erscheinen den Verfall des französischen Zeitungsmarktes in den vergangenen Jahren weiter beschleunigt hat. Der Konflikt zwischen den neuen Eignern und der seither streikenden Belegschaft dreht sich aber nicht nur um die künftige Blattlinie. Offen erklärten Brunois und Rey von Beginn an, nur 51 der knapp 120 Journalisten und Angestellten weiter beschäftigen zu wollen.
Seither hält die „Résistance“ der Belegschaft an. In einem Internettagebuch informieren sie täglich über das Geschehen aus der Redaktion, eine Webcam bietet einen Einblick in die besetzte Redaktion. Die Käufer hingegen spielen auf Zeit. Seit dem Gerichtsbeschluss vom 12. April werden schließlich keine Gehälter mehr gezahlt. Verlagsangestellte und Redakteure stehen mit dem Rücken zur Wand und hoffen weiterhin verzweifelt auf den russischen Unternehmer. Einzig der (noch) amtierende Chefredakteur Serge Faubert lehnte die Übernahme durch Gaijdamak ab. Ausgerechnet er hatte vor zehn Jahren die Korruptionsaffäre um dessen Waffengeschäfte in Angola aufgedeckt, wegen der Gajdamak nun zur Fahndung ausgeschrieben ist. „Ich achte die Entscheidung der Mitarbeiter, ihre Jobs sichern zu wollen. Doch als Journalist werde ich nie mit Gajdamak zusammen arbeiten“, sagte Faubert gegenüber der dpa. Er steht mit dieser Meinung isoliert da.
Inzwischen haben sich Stars wie Mireille Mathieu und Alain Delon offen mit der alten Belegschaft solidarisiert, die durch den andauernden Streik versucht, den Gerichtsentscheid doch noch zu kippen. Dafür wird sie aber mehr Unterstützung brauchen, etwa von der Regierung. Doch die hält sich bewusst zurück. Kultusminister Renaud Donnedieu de Vabres jedenfalls mied das direkte Gespräch mit den Streikenden bislang. Seine Zurückhaltung dürfte auf die allgemeine Krise des französischen Zeitungsmarktes zurückzuführen sein. Der Minister weiß, dass, wenn er heute France soir unter die Arme greift, morgen die nächsten Bittsteller vor seiner Tür stehen werden. Zum Beispiel die 1973 von Jean-Paul Satre mitgegründete Libération, deren Auflage allein im letzten Jahr um fast zehn Prozent sank.

Ringen um Qualität

Die Redaktion des France soir hält Besetzung und Streik daher aufrecht. „Natürlich sind wir von einem Mann wie Gajdamak nicht begeistert“, sagt einer der Chefredakteure, Christophe Driancourt. Aber es wäre die einzige Möglichkeit, die Qualität des Blattes aufrecht zu erhalten. „Und schließlich“, so Driancourt zu den Vorwürfen gegen den russischen Bewerber, „befinden sich drei Viertel der französischen Medien in der Hand von Rüstungsindustriellen“. Der konservative Figaro etwa gehört dem Waffenhändler Serge Dassault.

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