Revolution im Alltag

Konferenz über neue Medien in der arabischen Welt

Radikaler als etwa in Europa erschüttern Technologien wie Satelliten-TV, Mobiltelefon und Internet tradierte Lebensformen die arabische Welt. Welche Folgen der Eintritt ins digitale Zeitalter hat, darüber diskutierten Ende Juni in Berlin Wissenschaftler und Journalisten auf einer zweitägigen Konferenz unter dem Titel „Neue Kommunikationsmedien in der arabischen Welt – eine Revolution im Alltag“.

Fatima Mernissi gab sich polemisch: Die Satelliten hätten die arabische Welt längst demokratisiert, sagte die marokkanische Soziologin in ihrem einleitenden Vortrag. Der einzige, der das noch nicht begriffen habe, sei George W. Bush. Das Satelliten-Fernsehen, so Mernissi, habe die Macht vom Informationsproduzenten zum Bürger verlagert. Einem Bürger, der als „diabolisch wählerischer und unvorhersehbar mobiler Konsument“ auftrete, der über das Privileg verfüge, zwischen mehr als 140 arabischen TV-Kanälen hin- und her zu zappen.

Diese Sender erreichen ein Publikum von mehr als 300 Millionen Zuschauern, darunter einen beträchtlichen Anteil von Frauen und Jugendlichen, viele von ihnen Analphabeten. Damit werde tendenziell die gesellschaftliche Spaltung in Gebildete und Nichtgebildete aufgehoben. „Die Elite hat nicht länger ein Monopol über das, was gesagt und geschrieben wird.“

Nicht alle teilten den Optimismus Mernissis. Für Salameh Nematt, Leiter des Washingtoner Büros der Tageszeitung „Al Hayat“, ist auch mit der Satellitentechnologie nicht das Reich der Freiheit angebrochen. Die Medien, so sein kühles Urteil, seien ein Produkt der arabischen Gesellschaft, die als solche nicht demokratisch sei. „Die arabischen Medien befinden sich überwiegend in staatlichem Besitz, oder sie werden staatlich kontrolliert. Sie werden von den Regierungen eingeschüchtert.“

Unter den arabischen Satellitenkanälen hat im Westen vor allem Al Dschasira – nicht zuletzt wegen seiner Rolle als Transporteur subversiver Botschaften radikaler Islamisten – einen hohen Bekanntheitsgrad erzielt. Dass Al Dschasira nach wie vor polarisiert, belegte ein Streitgespräch zwischen Salameh Nematt und Jian Alyaqoubi, einer irakischen Journalistin des umstrittenen TV-Senders. Al Dschasira habe als „verlängerter Arm des Außenministeriums von Katar“ zu gelten, sagte Nematt. In seinem Bemühen, alle negativen Nachrichten über arabische Länder zu vermeiden, sei der Sender ein „Werkzeug zur Aufrechterhaltung von Diktaturen in der arabischen Welt“. Auch die Irak-Berichterstattung von Al Dschasira sei „nicht gewichtet“. Jeder vom US-Militär getötete Iraker werde zum Märtyrer stilisiert, jeder von Al Qaida getötete irakische Polizist dagegen schlicht zum „toten Mann“ verharmlost. „Wir machen die Nachrichten nicht, wir berichten sie“, widersprach Alyaqoubi. Westliche Sender hätten weitaus weniger ausgewogen berichtet als Al Dschasira. Die BBC etwa habe nicht über das „Massaker Israels in Dschenin“ berichtet. Anders als das US-Militär, dessen Pressekonferenzen Al Dschasira übertrage, hätten Vertreter der Palästinenser wohl kaum die Möglichkeit, ihre Position im US-Fernsehen zu präsentieren. „Wenn die USA im Irak ein schlechtes Bild abgeben, liegt das an ihren Handlungen, nicht an uns“, sagte Alyaqoubi.

So viel scheint klar: Mit der ihnen gelegentlich zugeordneten Rolle einer Demokratisierung der arabischen Welt sind die „neuen Medien“ schlicht überfordert. Ihre Hauptwirkungen entfalten sie eher in der privaten Sphäre. Internet-Cafés und Mobiltelefone heben die bisher starren Klassen- und Geschlechterschranken auf, setzen die traditionelle familiäre Kontrolle außer Kraft. Jamila Hassoune, Buchhändlerin aus Marrakesch, bestätigte diesen Ansatz einer „Revolution im Alltag“ im Kontext einer eigenen Untersuchung der Internet-Nutzung von Jugendlichen in Südmarokko. Nach traditioneller islamischer Moral dürften unverheiratete Männer und Frauen sich nicht zusammen in einem Raum aufhalten. Das Cyber-Cafe als sozialer Raum unterlaufe diese Moral, da sein Besuch nicht von vornherein unter dem Verdacht unkeuscher Absichten stehe. Die direkte persönliche Kommunikation zwischen jungen Männern und Frauen sei dadurch wesentlich einfacher geworden.

In Berlin fehlte es nicht an Stimmen, die schon jetzt mit Melancholie die wachsende Konvergenz von arabischer und westlicher Kultur beobachten. Spielshows, Seifenopern und Call-In-Programme dominieren bereits heute die Programme vieler arabischer Kanäle. Wie werde ich Millionär? Superstar-Casting? Im Zeichen der Globalisierung auch im Orient längst erprobte Formate. Gregor Meiering, Nahost-Berater in Amman, fürchtet daher um die Unverwechselbarkeit der arabischen Kultur, so könnten „die zunächst so viel versprechenden Veränderungen auf dem Mediensektor in eine Situation münden, in der ein arabischer Neil Postman vor dem Amüsement bis zum Tode warnt“.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Eine Stimme für afghanische Mädchen

Die iranische Filmemacherin Sarvnaz Alambeigi begleitet in ihrem Dokumentarfilm „Maydegol“ über viele Jahre eine junge Muay-Thai-Boxerin aus Afghanistan, die im Iran unter schwierigen Umständen für ein selbstbestimmtes Leben kämpft. Im Interview erzählt Alambeigi, welche Rolle das Kopftuch für den Film spielt, was sie von der jungen Generation gelernt hat und warum der Film endet, bevor Maydegol endlich gelingt, was sie sich wünscht.
mehr »

Klimaprotest erreicht Abendprogramm

Am 20. August 2018, setzte sich die damals 15jährige Greta Thunberg mit dem Schild “Skolstrejk för Klimatet“ vor das Parlament in Stockholm. Das war die Geburtsstunde von Fridays for Future (FFF) – einer Bewegung, die nach ersten Medienberichten international schnell anwuchs. Drei Jahre zuvor hatte sich die Staatengemeinschaft auf der Pariser Klimakonferenz (COP 21) völkerrechtlich verbindlich darauf geeinigt, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.
mehr »

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »