Rückschritt in Ankara

Die türkische Regierung verschärft das Mediengesetz

Die Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei wird in der Europäischen Union besonders kritisch betrachtet – nicht zu unrecht. Nun hat das Parlament in Ankara das Mediengesetz verschärft. Das Gesetz war im Juni vergangenen Jahres noch an einem Einspruch von Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer gescheitert.

Sezer hat inzwischen das Verfassungsgericht angerufen. In seinen Augen waren ungefähr die Hälfte der Paragrafen nicht mit den demokratischen Traditionen und Verfassungsprinzipien zu vereinbaren. Zudem widerspreche das Gesetz dem Versprechen, das sein Land Brüssel gegeben habe, als demokratische Reformen angekündigt wurden. Trotz Sezers Kritik entschied die Mehrheit in der Nationalversammlung am 15. Mai nach zehnstündiger, kontroverser und von Tumulten begleiteter Debatte, das Gesetz ohne Änderungen erneut zu verabschieden.

Die beschlossenen Maßnahmen dürften nach Auffassung der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ (ROG) zu noch mehr Repressionen führen. Vor allem die neu festgelegten Strafen bei Verstößen gefährden die Pressefreiheit. Denn kleinere Verlage oder Rundfunk- und Fernsehstationen könnten bei Geldbußen von umgerechnet bis zu 200.000 Euro in ihrer Existenz gefährdet werden. Die Strafen sind bis zu tausendfach höher als im alten Gesetz von 1994.

Unter Strafe gestellt werden unter anderem Beiträge, die „falsche und beleidigende Inhalte“ verbreiten, das „Ansehen der Türkei im Ausland beschädigen“, die Person Atatürks beleidigen oder auch „separatistische Propaganda“ verbreiten. Neben Geldstrafen können auch Zensurmaßnahmen bis hin zu Sendeverboten erteilt werden. In der über strittige Fragen waltenden Aufsichtsbehörde RTÜK sollen künftig mehrheitlich Mitglieder der Regierung oder von ihr benannte Personen sitzen. Nicht nur „Reporter ohne Grenzen“ befürchten deshalb eine zunehmende staatliche Kontrolle der RTÜK. Das könne auch nicht dadurch ausgeglichen werden, dass künftig die beiden größten Journalistenvereinigungen im Gremium vertreten sind, unterstrich ROG-Generalsekretär Robert Ménard. Dem Ankara-Kritiker wurde passenderweise am Tag nach der Verabschiedung des Gesetzes die Einreise in die Türkei verweigert. „Reporter ohne Grenzen“ wollten am 17. Mai eine Pressekonferenz in Istanbul abhalten.

Auch ohne Verschärfung der Gesetze ist die Lage nicht einfach. So wurden im vergangenen Jahr gegen 50 türkische Journalisten und Verleger Anklagen erhoben, die meist genau gegen diese Tabus verstoßen hatten. Mindestens sechs Medienschaffende sind laut ROG zurzeit inhaftiert. Es könnten noch mehr werden, denn die gleichen Maßstäbe wie für Zeitungen, Zeitschriften, Funk und Fernsehen sollen bald auch für das Internet angesetzt werden. Internet-Provider müssen alle ihnen zur Verfügung gestellten Seiten zur Genehmigung einreichen und sollen sogar für den Inhalt von Chatrooms verantwortlich gemacht werden können.

Gleichzeitig leistet das Gesetz der Bildung von Medienmonopolen Vorschub und begünstigt die einschlägigen Konzerne. Unternehmer dürfen künftig ihre Anteile an Rundfunk- und Fernsehstationen erhöhen. Und das bisher geltende Verbot für Konzerne, sich um öffentliche Aufträge zu bemühen, soll aufgehoben werden. Die „Turkish Daily News“ sprach schon im vergangenen Jahr von der Gefahr eines „neuen Berlusconi“ in der Türkei. Gemeint war Aydin Dogan, der bereits acht Tageszeitungen, zwei TV-Sender und zahlreiche Magazine sein eigen nennt.

 

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