Rückzug ins Internet

Foto: Danilo Höpfner

In Tschechien sind viele deutschsprachige Titel vom Markt verschwunden

In kaum einem anderen Land, jenseits der deutschsprachigen Staaten, gab und gibt es eine so große deutschsprachige Medien­szene wie im relativ kleinen Tschechien. Die Hoffnungen der Wochen- und Monatsblätter auf einen kommerziellen Markt waren nach der „Samtenen Revolution“ groß, doch erfüllt haben sie sich nicht. Bewegung gibt es jetzt online.

Prager Zeitung, Landeszeitung, Prager Volkszeitung, eský-Bömen Expres, Karlsbader Zeitung und Prager Wochenblatt. Der umworbene Tourist konnte in den 90ern und Anfang der 2000er Jahre an einem der vielen Zeitschriftenkioske der tschechischen Hauptstadt noch auswählen. Václav Havels mahnende Worte ans eigene Volk, Konzertrezensionen aus dem Rudolfinum, Nachrichten aus der turbulent frischen Marktwirtschaft und Reportagen über betrügerische Prager Taxifahrer. Alles auch auf Deutsch. Alles jetzt verschwunden.

Die Wurzeln der deutschsprachigen Presse reichen in die österreichisch-ungarische k.u.k.-Zeit zurück, als sich Prag zu einem bedeutenden Kommunikationszentrum der Monarchie entwickelte. Namen wie Bohemia und Prager Tagblatt stehen mit Autoren wie Egon Erwin Kisch und Max Brod für einst bedeutsamen deutschsprachigen Journalismus jener Tage, der erst mit dem Überfall Nazi-Deutschlands auf die Tschechoslowakei enden sollte. Der Vielvölkerstaat ĈSR zählte zum Zeitpunkt seiner Gründung im Jahre 1918 etwa 3,5 Millionen deutschsprachige Bürger. Mit der „Samtenen Revolution“ 1989 änderte sich die Funktion dieser Medien erneut. Neue politische Richtlinien und die soeben eingeführte Marktwirtschaft wirkten sich zunächst positiv auf die Entwicklung der deutschsprachigen Medien aus. Im Zuge der Marktöffnung entstanden zu Beginn der neunziger Jahre zahlreiche neue Titel, auch altbekannte Namen kehrten zurück, die Bohemia als zweisprachige Zeitung, das Prager Tageblatt als Beilage der Prager Zeitung.

Vor allem Heimatvertriebene als Leser

Heute sind fast alle Titel vom Markt verschwunden. Im Dezember 2016 erwischte es auch das mit Abstand größte und bekannteste Blatt. Die inzwischen bayrischen Gesellschafter zogen nach Jahren der Verluste, aber ohne Vorankündigung, bei der Prager Zeitung (PZ) den Stecker. Um die Jahrtausendwende zählte die PZ noch eine Auflage von 15.000 Exemplaren. Doch vor allem Heimatvertriebene aus dem Sudentenland waren Abonnenten des Wochenblatts. Der Absatz auf dem tschechischen Markt gestaltete sich schwierig. „Aus der Verbundenheit zur alten Heimat allein erwächst auf Dauer ein ernsthaftes Problem“, so Marcus Hundt, ehem. Chefredakteur der PZ. Man habe kein Prophet sein müssen, um zu erkennen, dass eine Zeitung, der früher oder später die Leser_innen weg­sterben, selbst schnell begraben würde. Am Ende war noch eine Auflage von 5.000 übriggeblieben. Tschechien als beliebtes Reiseziel bei Touristen aus den deutschsprachigen Ländern und das hohe Interesse deutscher Unternehmen brachten der Wochenzeitung, die sich in ihrer Entwicklung auf das Thema „Mitteleuropa“ ausweitete, keinen Erfolg von Dauer. Auch die zwischenzeit­lichen Versuche, das Blatt mit regionalen Ablegern wie der Karlsbader Zeitung zu diversifizieren, wurden schnell wieder beendet. Allein das Landes-Echo, vormals Landeszeitung, existiert noch, als Organ der verbliebenen, kleinen deutschsprachigen Minderheit im Lande. Grund des Über­lebens in der Nische Print ist die finanzielle Unterstützung durch den tschechi­schen Staat, der im Rahmen des Minderheitenschutzes entsprechende Mittel zur Verfügung stellt.

Radio Prag ins Netz abgewandert

Ohne Förderung geht nichts mehr. Das weiß auch der staatlich finanzierte Auslandsender „Radio Prag“, einer der ältesten Auslandsdienste der Welt. Erste Sendungen begannen 1936, vor allem, um der damaligen Propaganda des Reichsfunks eine Stimme der demokratischen Tschechoslowakei entgegen zu setzen. In der sozialistischen ĈSSR wurde zeitweise in 20 Sprachen gesendet, übrig geblieben sind heute sieben. Inzwischen, so heißt es von den Programmverantwortlichen, zeigt der Staat zwar wieder Interesse am lange vernachlässigten Auslandsrundfunk, doch von langfristiger Sicherheit sei man weit entfernt. Die Höhe der Subvention des Senders durch den Staat wird jedes Jahr neu verhandelt, auch die Verträge mit den Mitarbeitern laufen seit Jahrzehnten nur von Jahr zu Jahr.

„Radio Prag“ sendet neben Englisch, Tschechisch, Russisch, Spanisch und Französisch täglich eine halbe Stunde auf Deutsch. Das Pendant der „Deutschen Welle“ hat seine terrestrische Verbreitung in Europa inzwischen eingestellt. Budgetkürzungen des Außenministeriums in den letzten Jahren haben den Sender zum reinen Webchannel degradiert. Auch seine halbstündige UKW-Präsenz auf einem öffentlich-recht­lichen Inlandsprogramm in Prag und zu nachtschlafender Zeit auf einer kleinen Splittfrequenz in Berlin hat „Radio Prag“ für das deutsche Programm verloren.

Der Rückzug ins Internet blieb nicht ohne Folgen. Auch bei „Radio Prag“ ist ein Großteil der treuen, aber überalterten Kurzwellenhörer verloren gegangen. „Speziell für die deutschsprachigen Hörer war das Ende der Kurzwellensendungen ein herber Verlust, doch manche ehemalige Hörer_innen bleiben mit uns verbunden“ so die Programmchefin Klára Stejskalová. Ein Großteil der ca. 200 Briefe jährlich wird diesen zugeordnet. Konkrete Hörerzahlen konnte „Radio Prag“, wie alle Auslandsdienste, nie nachweisen. Das Internet ist da weit auskunftsfreudiger. 124.000 Besucher erreichte „Radio Prag“ mit seinen deutschsprachigen Seiten allein im Februar dieses Jahres. Damit steht die deutsche Redaktion hinter den Sendungen auf Russisch und Englisch auf Platz drei. Vor 15 Jahren machte die deutsche Redaktion noch das meistgehörte Programm.

Neustart im Netz

„Radio Prag“ ist inzwischen Onlinemedium mit Streams und Audios auf Abruf. Dort, im Netz, sind mit „Tschechien online“; „Prag aktuell“ und „Powidl“ aber auch neue, kommerzielle Angebote entstanden. Sie werben inzwischen mit einer Mischung aus Nachrichten, Veranstaltungstipps und Medienclippings um deutschsprachige Leser. Nach ihrer Einstellung vor anderthalb Jahren versucht auch die „Prager Zeitung“ diesen Weg zu gehen. Das Onlineportal „PragerZeitung.cz“ wird derzeit wiederbelebt. Vorerst sporadisch, dort allerdings mit recherchierten Reportagen und Berichten, die auf anderen kommerziellen Portalen inzwischen eher selten sind. Die Suche nach neuen Investoren läuft.

Mit einem gesellschaftlichen Bedeutungsverlust der deutschen Sprache zugunsten des Englischen lässt sich der Niedergang der deutschsprachigen Medien in Tschechien allein nicht erklären. In Zeiten, in denen auch die klassischen traditionellen Tages- und Wochenzeitungen im Land ums Überleben kämpfen, sind auch tschechischsprachige Zielgruppenmedien verschwunden oder ins Netz abgewandert. Übrigens: das englischsprachige Magazin Prague Tribune hat sich schon 2005 vom Markt verabschiedet, Webseite inklusive. Der einzige Mitbewerber, das Wochenblatt The Prague Post, stellte den Betrieb 2016 ein.

 

 

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Eine Stimme für afghanische Mädchen

Die iranische Filmemacherin Sarvnaz Alambeigi begleitet in ihrem Dokumentarfilm „Maydegol“ über viele Jahre eine junge Muay-Thai-Boxerin aus Afghanistan, die im Iran unter schwierigen Umständen für ein selbstbestimmtes Leben kämpft. Im Interview erzählt Alambeigi, welche Rolle das Kopftuch für den Film spielt, was sie von der jungen Generation gelernt hat und warum der Film endet, bevor Maydegol endlich gelingt, was sie sich wünscht.
mehr »

Klimaprotest erreicht Abendprogramm

Am 20. August 2018, setzte sich die damals 15jährige Greta Thunberg mit dem Schild “Skolstrejk för Klimatet“ vor das Parlament in Stockholm. Das war die Geburtsstunde von Fridays for Future (FFF) – einer Bewegung, die nach ersten Medienberichten international schnell anwuchs. Drei Jahre zuvor hatte sich die Staatengemeinschaft auf der Pariser Klimakonferenz (COP 21) völkerrechtlich verbindlich darauf geeinigt, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.
mehr »

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »