Schwerpunkt Pressefreiheit: Aufbruchstimmung

Gewerkschaftsvertreter trafen sich in Casablanca

Pressefreiheit? Die Zeit ist reif dafür wie nie zuvor, meinen die Journalistenorganisationen in der arabischen Region. Deshalb brachte die Internationale Journalisten-Föderation (IJF) mit Unterstützung der Friedrich-Ebert-Stiftung Gewerkschaftsvertreter aus über einem Dutzend arabischer Länder in Casablanca zusammen. Unter dem Motto „Wind der Veränderung – lasst uns eine Agenda für die Medien setzen“ kamen sie aus dem Oman und Bahrain ebenso wie aus Tunesien und Marokko, aus Somalia ebenso wie aus dem Sudan, Jordanien und dem Libanon, Kuwait und Mauretanien, den Vereinten Arabischen Emiraten, Palästina und dem Jemen.

Aufbruchstimmung ist überall, getrieben von dem Ziel, sich von staatlichen Fesseln zu befreien.
„Wir befürchten, dass die Pressefreiheit in der Revolution übersehen wird“, meinte der Kollege aus dem Jemen. Im gültigen Pressegesetz räumen nur vier von über 132 Bestimmungen den Journalisten und Journalistinnen im Land Rechte ein. In dem Beruf zu arbeiten, das ist riskant. In nur drei Monaten zählte die Journalistengewerkschaft im Jemen über 200 Angriffe auf Kolleginnen und Kollegen. Es gab etliche Morde, einige Berichterstatter sind verschwunden. Aber Journalistinnen und Journalisten im Land lassen sich nicht einschüchtern. Unbeirrt versuchen sie, ihren Job auszuüben. Jetzt sind die Massen gegen das Regime auf die Straße gegangen. Experten identifizierten rund 200 verschiedene Gruppierungen in der Opposition, meistens von Stammesinteressen getrieben. Alte Köpfe werden auch in manchen arabischen Journalistenorganisationen ersetzt. Ein Damm sei gebrochen, meinte IJF-Präsident Jim Boumelha in Casablanca. Es fiel der Vergleich mit dem Fall der Berliner Mauer. Dabei läuft, unbeachtet in Europa, seit Jahren der Kampf der Journalistenorganisationen in den arabischen Ländern. Wer hörte zuvor schon von Sit-ins von Journalisten in Mauretanien, dem Oman und dem Jemen? Von Tarifverhandlungen in Marokko und Sudan?
Gesetzesreformen laufen so gut wie überall, und die Journalistenorganisationen versuchen, in dem Prozess ihre Vorstellungen von Pressefreiheit zu verankern – in Tunesien ebenso wie in Jordanien. Dort verweigerten Journalisten bei Tageszeitungen in staatlicher Hand die Arbeit. Ganz anders sind die Fronten in Kuwait, wo es nur private Zeitungen gibt.
Doch es fehlt ihnen die Tradition und Erfahrung in den Auseinandersetzungen. Sie brauchen solidarische Unterstützung, Beratung bei der Organisation, um ihren eigenen Weg gehen zu können. Pressekodex und Selbstregulierung durch einen unabhängigen Presserat waren deshalb Themen beim Workshop in Casablanca. Das ausführlich vorgestellte Beispiel des Deutschen Presserats stieß auf großes Interesse. Diskutiert wurde auch über Ausbildungsdefizite. Nebenbei entlarvten sie es als Legende, dass sie von den neuen sozialen Netzwerken, von Bloggern, Facebook und Twitter ersetzt werden könnten. Da sei die Phantasie mit den Europäern und Amerikanern durchgegangen, die nicht wüssten, wie die Araber „tickten“. Geräte für den Zugang zum Internet, ob Computer oder Handy, könnten sich die Massen gar nicht leisten.
So sprachen sie von Qualität im Journalismus als Vision – sogar die Vertreter Somalias, wo die Islamisten inzwischen sieben Medienhäuser besetzten, 23 Journalisten getötet wurden und 90 Kollegen nach Todesdrohungen außer Landes flohen. Probleme an zwei Fronten haben die Journalisten Palästinas: Auf der einen Seite Israel, das weiter ihre Bewegungsfreiheit verhindert, auf der anderen Seite die Hamas, die ihnen keinen Zugang zum Gaza-Streifen gewährt.

 

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