Der lange Kampf der Journalisten vom öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehen
„Was ist schon ein Monat, wenn es um die Freiheit des Wortes geht“, sagt Adam Komers auf die Frage, wie lange die tschechischen Fernsehjournalisten noch in ihrem Streik durchhalten wollen. Der 35-jährige Chef der Regionalberichterstattung sieht dennoch müde aus. Jeden Tag Beratung des Krisenstabes, Entwicklung neuer Strategien, Interviews, Pressekonferenzen.
Gern würde er zu seiner normalen Arbeit zurückkehren. Doch der Kampf scheint noch längst nicht ausgestanden. Seit Weihnachten harrt er schon zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen aus der Nachrichtenredaktion im Ringen um die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehens (CT) aus. Dabei waren sie zeitweise einem harten Druck von der Gegenseite, dem umstrittenen Intendanten Jiri Hodac und dessen neuer Leitungs-Crew, ausgesetzt. Fast eine Woche waren die Redakteure in ihrem Newsroom faktisch eingeschlossen. Sie hätten ihn zwar verlassen können, doch wären sie von den Wachmännern dann nicht mehr hineingelassen worden. Mit dieser Schikane sollten sie zum Aufgeben gezwungen werden. Denn nach Meinung von Hodac hielten sie sich „illegal“ im Sender auf. Schließlich war er der neue Intendant, doch die Redaktion hatte ihm geschlossen die Gefolgschaft versagt. Aber Hodac hatte die Rechnung ohne die Prager Bevölkerung gemacht. Zu Tausenden kamen die Menschen vor das Funkhaus und versorgten „ihre“ Moderatoren und Reporter mit Lebensmitteln, Getränken, Kaffee und Zigaretten. Selbst Campingtoiletten wurden gebracht. Mehr als 100.000 Menschen gingen in Prag und anderen tschechischen Städten auf die Straße, um in Revolutionsstimmung für eine ausgewogene, unzensierte Berichterstattung zu demonstrieren. „Diese Erlebnisse werde ich bis an mein Lebensende nicht vergessen“, sagt Komers sichtlich gerührt. Spätestens die starke Solidarität machte deutlich: Was als scheinbar innerbetrieblicher Konflikt begann, wurde schnell zu einem Ereignis von gesamtgesellschaftlicher und politischer Tragweite.
Der neue Intendant stieß auf den Wiederstand der Nachrichtenredaktion
Angefangen hatte alles am 12. Dezember letzten Jahres, als der Fernsehrat einmal wieder einen Intendanten feuerte: Dusan Chmelicek (33), der nicht mal ein Jahr im Amt war. In nur 18 Stunden wählte der Rat am 20. Dezember aus 33 Bewerbern den neuen Intendanten Hodac. Schon die Schnelligkeit des Verfahrens weckt Zweifel an einer seriösen Prüfung aller Kandidaten. War schon alles abgemachte Sache?
„Wir können mit Ihnen nicht verhandeln, weil wir die Art und Weise, wie der Fernsehrat den Intendanten wählt, nicht akzeptieren.“ Mit diesen Worten kündigte Komers damals dem gerade ernannten Hodac den geschlossenen Widerstand der Nachrichtenredaktion an. Der Protest sei dabei nicht in erster Linie gegen Hodac persönlich gerichtet gewesen, sondern „gegen den Missbrauch des Fernsehgesetzes durch den Gesetzgeber“, erläutert der Journalist. Nach dem bisherigen Gesetz wurden die Mitglieder des Fernsehrates nur von den politischen Parteien bestimmt, so dass der Rat die Mehrheitsverhältnisse im Parlament widerspiegelte. Für den letzten Fernsehrat hieß das: Sieben der neun Sitze gehörten entweder Vertretern der regierenden Sozialdemokraten oder der bürgerlichen ODS, die miteinander mit einem sogenannten Oppositionsvertrag verbunden sind. Danach stützt die ODS von Vaclav Klaus als zweitstärkste Partei im Parlament die sozialdemokratische Minderheitsregierung von Milos Zeman.
Dem 53-jährigen Hodac, dem es nach Aussagen seiner früheren Kollegen schwerfällt, mit Menschen umzugehen, wird eine große Nähe zur ODS nachgesagt. In der Nachrichtenredaktion des Senders, in der Hodac schon einmal als Chef tätig war, erinnert man sich, wie er in den Konferenzen die Behandlung bestimmter Themen einforderte, nachdem er am Vortag „bei einer Tasse Tee mit Vaclav Klaus zusammengesessen“ hatte. Und Hodacs neue Nachrichtenchefin Jana Bobosikova hat sogar einst dem Beraterteam von ODS-Chef Klaus angehört. Für die Fernseh-Rebellen war damit klar: Mit der Ernennung von Hodac wurde eine Person durchgesetzt, auf die sich die beiden großen Parteien geeinigt hatten. „Wir empfanden dies als eine Gefahr für die Freiheit des Wortes in unserem Land, denn wenn das Fernsehen politisch beeinflusst wird, ist es nicht mehr unabhängig“, sagt Komers. „Ein neues Gesetz muss her“, fügt die rebellierende Nachrichtenmoderatorin Jolana Voldanova (32) hinzu. „Ein Gesetz, wie es in westlichen Demokratien üblich ist, wo der Fernsehrat von Vertretern gesellschaftlicher Gruppen und nicht den Parteien besetzt wird.“
„Wir empfanden das als Gefahr für die Freiheit des Wortes“
Das Gebaren von Hodac und Co. gab indes durchaus Grund zu der Annahme, dass der öffentlich-rechtliche Sender CT bewusst geschädigt und zum Verkauf vorbereitet werden sollte. ODS-Chef Klaus hatte sich in letzter Zeit mehrfach für die Privatisierung „wenigstens eines der beiden Kanäle“ ausgesprochen. So unterband Hodac die Ausstrahlung der Nachrichtensendungen, die die Rebellen in dem besetzten Newsroom produzierten. Nur über Satellit und im Kabelnetz waren sie noch zu empfangen. Immer wieder gab es Sendepausen, auf dem Bildschirm erschien dann nur eine Schrifttafel mit dem Hinweis, dass „unautorisierte Personen“ gerade auf Sendung seien. Zwischen Weihnachten und Neujahr hatte Hodac es sogar fertiggebracht, für fast 24 Stunden beide Kanäle abzuschalten. Dies fügte dem Sender Verluste in Millionenhöhe zu, Werbekunden und Zuschauer wanderten zu den Privaten ab.
Erste Erfolge und neue Gefahren
Doch die Rebellen hielten durch und haben inzwischen schon einiges erreicht: Der umstrittene Intendant Hodac ist zurückgetreten, und das Parlament hat den Fernsehrat abberufen. Die erste Parlamentskammer verabschiedete auch ein neues Mediengesetz. Doch dieses scheint, obwohl danach die Mitglieder des Fernsehrates künftig nicht mehr von den Parteien nominiert werden sollen, den Einfluss der Politiker auf den öffentlich-rechtlichen Sender eher noch zu verstärken. So wollen die Abgeordneten beispielsweise die Wahl des künftigen Fernsehrates nur sich allein vorbehalten. Der Senat hat diese Fassung der Gesetzesnovelle allerdings zunächst erst einmal abgelehnt. Eine Ende der Diskussion ist nicht in Sicht.
Botschaft über die Landesgrenzen hinaus
Auch der Streik der Fernsehmitarbeiter, an dem sich inzwischen mehr als 2.000 Kolleginnen und Kollegen beteiligen, geht weiter. Längst sind noch nicht alle Forderungen erfüllt. Hodac habe im Sender noch ein paar leitende Angestellte „vergessen“, so Komers, die er zielgerichtet auf hohe Posten gesetzt habe. Dazu zählen vor allem die umstrittene Nachrichtenchefin Bobosikova und der neue Finanzdirektor Jindrich Beznoska. Zudem wurden die gegen die rebellierenden Mitarbeiter ausgesprochenen Kündigungen noch nicht zurückgenommen.
Erst mit der Ernennung eines Übergangs-Intendanten durch das Parlament wird eine Entspannung der Lage erwartet. „Doch bis wir unsere höheren Ziele, die gesetzliche Garantie eines wirklich unabhängigen Fernsehens, erreicht haben, kann es Jahre dauern“, meint Komers. Dass so etwas aber möglich ist, daran glaubt er zusammen mit den anderen jungen tschechischen Journalisten vom öffentlich-rechtlichen Sender ganz fest. Und das ist es ihnen wert, alles zu riskieren, ihr Einkommen und ihre Karriere. Damit richten sie eine Botschaft auch an ihre Kollegen jenseits der Landesgrenzen.
Heiko Krebs ist freier Korrespondent – u.a. für die „Süddeutsche Zeitung“ und epd – in Prag
Spendenaufruf für die streikenden tschechischen Kolleginnen und Kollegen
Die IG Medien erklärte sich am 6. Januar 2001 mit den streikenden Beschäftigten bei dem öffentlich-rechtlichen tschechischen Sender „Ceská Televize“ (CT) solidarisch und hat alle Beschäftigten im öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk in Deutschland zu Spenden für die Streikenden aufgerufen.
Die putschartige Einsetzung Jiri Hodacs als CT-Chef ist nach den Worten des IG-Medien-Vorsitzenden Detlef Hensche und des Geschäftsführers der IG-Medien-Fachgruppe Rundfunk/Film/AV-Medien „der plumpe Versuch, den demokratischen tschechischen Rundfunk für Parteiinteressen zu instrumentalisieren“. Wer den öffentlich-rechtlichen Rundfunk im eigenen Land derart manipuliere, diskreditiere die Rundfunk- und Pressefreiheit in Europa.
Die Staatsfreiheit des Rundfunks ist nach Auffassung der IG Medien ein Grundrecht auch für eine europäische Verfassung. Wer an ihr rüttele, wie Hodac und seine politischen Hintermänner, bewege sich außerhalb der europäischen demokratischen Werte. Die deutsche Bundesregierung fordert die IG Medien auf, die Einhaltung von Rundfunk- und Pressefreiheit in die Beitrittsverhandlungen zu Europäischen Union einzubeziehen.
Die IG Medien appelliert an die Verantwortlichen in Tschechien, sich ihrer Verantwortung für ein demokratisch verfasstes Europa einzusetzen. Vor dem Hintergrund einer von Konzentration, Einschaltquotendominanz und Gleichmacherei geprägten europäischen Medienlandschaft müsse der öffentlich-rechtliche Rundfunk als Garant für Grundversorgung und Unabhängigkeit als Teil der Zivilgesellschaft geschützt werden. Die IG Medien sichert den Streikenden alle Unterstützung zu und stellt sich hinter deren Kampf um Unabhängigkeit: Hensche und Völker: „Demokratische Werte fallen nicht vom Himmel, sondern müssen in allen Ländern durch mutige Menschen verwirklicht werden. Die Kolleginnen und Kollegen in Prag nehmen mit ihrem Kampf auch massive materielle Nachteile in Kauf.“ Deshalb bitte die IG Medien alle Beschäftigten im öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk in Deutschland und alle Gliederungen der IG Medien um Spenden für die Streikenden auf das Konto Nr. 107 200 2900 bei der BfG-Bank Stuttgart (BLZ 600 101 11) – Stichwort: Streikspende Prag.