Sie wurde Sprachrohr russischer Propaganda

Alina Lipp hat sich als Verbreiterin von Desinformation über den Russland-Ukraine-Krieg etabliert (Collage: Ivo Mayr / CORRECTIV; Vorlage: Instagram / Alina Lipp & iStock)

Der Russland-Ukraine-Krieg brachte ihr den Aufstieg, auf den sie schon seit Jahren hingearbeitet hat. Die 28-jährige Alina Lipp inszeniert sich als deutsche Journalistin, verbreitet aber Putins Propaganda. Für ihr Publikum in Russland wiederum malt sie das Bild eines düsteren Deutschlands.

„Es ist der 24. Februar 2022, Krieg ist ausgebrochen. Russland hat damit begonnen, die Militärbasen, Waffenlager und so weiter in der Ukraine auszubomben“. So beginnt das Video einer Frau, deren Falschbehauptungen uns seither immer wieder begegnen. Ihr Name: Alina Lipp. Seit einigen Wochen ist die 28-Jährige der Popstar russischer Propaganda in Deutschland. Ihre Thesen verbreitet sie vor allem auf Telegram – mal mit Videos aus der Ukraine, mal aus Moskau.

„Ich höre, wie in den westlichen Medien jetzt über das Geschehen berichtet wird. Das böse Russland attackiert die Ukraine. Es ist alles schwer zu erklären, wenn man nicht im Thema ist“, sagt Lipp weiter. Sie, das sollen ihre Worte deutlich machen, ist im Thema. Den Zuschauenden erklärt sie, die Ukraine sei im Jahr 2014 von Faschisten übernommen worden, die im Donbass angeblich auf Zivilisten schießen würden. Russland hingegen habe auf die Einhaltung des Minsker Abkommens gedrängt, das seit 2014 einen Friedensprozess zwischen den Ländern einleiten sollte. Die Ukraine habe sich aber nicht daran gehalten.

Diese Narrative dürften vielen bekannt vorkommen. Russlands Präsident Wladimir Putin nutzte sie, um seinen Angriffskrieg auf die Ukraine zu rechtfertigen. „Das Ziel der russischen Spezialoperationen ist es, die Menschen zu schützen, die acht Jahre lang vom Kiewer Regime misshandelt und ermordet wurden. Zu diesem Zweck werden wir versuchen, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren“, sagte Putin in einer Fernsehansprache.

Berichten aus dem Donbass – Bilder wie dieses veröffentlicht Lipp auf Telegram (Quelle: Telegram; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Dass Lipp diese Narrative ungefiltert übernahm und einem deutschen Publikum als Wahrheiten verkaufte, war der Beginn ihres Aufstiegs. Ein Aufstieg, auf den sie schon lange hingearbeitet hat. Jetzt, fünf Wochen nach Kriegsbeginn, gehört Lipp zu den bekanntesten Verbreitern von Desinformation über den Russland-Ukraine-Krieg in Deutschland.

Lipps Telegram-Kanal: Ein Dauerfeuer aus Falschbehauptungen 

Lipp fiel bereits einen Tag nach Kriegsbeginn mit der Behauptung auf, die Bilder eines Angriffs auf einen Kindergarten in Luhansk seien gefälscht. Es war eine der ersten großen Desinformations-Geschichten zu Beginn des Kriegs, Lipp brachte sie ans deutsche Publikum. Wir fanden keine Belege für diese Behauptung. Am Tag darauf teilte sie die Falschbehauptung, bei einem gefangengenommenen russischen Offizier handele es sich in Wirklichkeit um einen ukrainischen Nazi.

Weitere Desinformation folgte. Eine Geschichte, die bundesweit für Aufregung sorgte: In Euskirchen bei Köln sei ein Jugendlicher verprügelt worden, weil er Russisch sprach. In einem Krankenhaus sei er an seinen Verletzungen gestorben. Wir konnten zeigen, dass die Geschichte frei erfunden war. Eine weitere: Ein Video zeige einen Mann, der in einem Regensburger Supermarkt mit russischen Waren randaliere. Offenbar soll das Video beweisen, dass in Deutschland eine anti-russische Stimmung herrsche. Doch das Video zeigt einen Vorfall in Russland aus dem Jahr 2019. Mittlerweile hat Lipp den Beitrag aus ihrem Telegram-Kanal entfernt. Die anderen Behauptungen sind bis heute dort zu sehen (Stand: 8. April 2022).

Telegram ist der zentrale Schauplatz für Lipps Propaganda-Erzählungen. Sie nutzt aber auch andere Soziale Netzwerke, darunter YouTube, Instagram oder das russische Netzwerk VK. Ob sie die Kanäle von Deutschland, Russland oder der Ukraine aus betreibt, lässt sich nicht eindeutig sagen.

Ihren Telegram-Kanal „Neues aus Russland“ hat sie Anfang November 2021 erstellt. Bis Kriegsbeginn war die Anzahl ihrer Abonnenten überschaubar. Noch am 14. Februar folgten ihr dort laut dem Telegram-Analysetools telemetr.io rund 2.000 Follower. Fünf Tage nach Russlands Angriff auf die Ukraine, am 1. März 2022, hatte der Kanal schon fast 50.000 Follower, mittlerweile sind es 121.000 (Stand 8. April). Damit kann es der Kanal mit großen Verbreitern von Desinformation im deutschsprachigen Raum aufnehmen.

Für Deutsche rechtfertigt Lipp den Krieg, für Russen malt sie das Bild eines düsteren Deutschlands

In ihrem Telegram-Kanal schreibt Lipp mal auf Russisch, mal auf Deutsch, mal nutzt sie beide Sprachen. Wer sich mit ihren anderen Kanälen und Inhalten beschäftigt, merkt schnell: Das ist kein Zufall, Lipp hat eine Doppelrolle. Einerseits bringt sie einem vorwiegend deutschen Publikum pro-russische Kriegspropaganda näher. Auf der anderen Seite malt sie für ihr russisch- und englischsprachiges Publikum das Bild eines düsteren Deutschlands, in dem Meinungsfreiheit nicht existiert.

Auf ihrem russischsprachigen YouTube-Kanal „Nemka v Rossii“ („Deutsche in Russland“) etwa, beschäftigt sie sich mit der Frage, warum die Deutschen „massenhaft“ das Land verlassen. Die Liste mit Gründen, die Lipp liefert, ist lang. So lang, dass sie gleich zwei Videos zum Thema macht. Ein Auszug: Demonstrationen seien verboten, in der Schule lerne man „LGBTI-Dinge“, viele Deutsche hätten mehr als einen Job, weil einer zum Leben nicht reiche. Die deutsche Politik mache vor allem das, was die USA wollten.

Deutschland erinnere sie mittlerweile an ein Konzentrationslager, weil Ungeimpfte keine Geschäfte mehr betreten oder Schuhe kaufen könnten. Sie sei deshalb froh, nicht mehr dort zu sein, sagt sie im Januar in einem Interview.

Lipp: „Die Deutschen wurden gehirngewaschen“

Für ihre Doppelrolle gibt es Vorbilder – zum Beispiel Tim Kirby. Das „Wall Street Journal“ nannte ihn 2013 den „Amerikaner, der Russen sagt, wie schlimm die Dinge in Amerika sind”. Kirby ist wie Lipp nach Russland ausgewandert, er arbeitete unter anderem mit dem Staatssender Russia Today zusammen. Eine von ihm moderierte Sendung hieß „Doppelagent“.

Auch Kirby hat in Lipp eine Gleichgesinnte erkannt, Ende Februar lud er auf YouTube ein Videointerview mit ihr hoch. Er stellt sie so vor: „Sie ist ein Fenster oder eine Brücke zwischen der deutschen und der russischen Kultur”. So wie er das für die USA oder England sei. In diesem Interview bringt Lipp ihre Botschaft für das nicht-deutsche Publikum auf den Punkt: „Die Deutschen haben sich verändert, weil die Medien und die Politik sich verändert haben. Manche Leute würden sagen: Sie wurden gehirngewaschen.”

Solche Ansichten verbreitet sie auch im russischen Fernsehen. Dort zeigen vom Staat abhängige Medien gern die Deutsche, die auf ihrer Seite steht. So trat Lipp am 15. März und am 17. März beim Fernsehsender Zvezda auf, der dem russischen Verteidigungsministerium gehört. Themen der Sendungen: der wieder aufkeimende Nazismus in Europa, der sich gegen Russen richte, und die „Befreiung“ der ukrainischen Hafenstadt Cherson durch die russische Armee. Auch bei RIA FAN, einer angeblichen Nachrichtenagentur, die von Experten einer russischen Trollfabrik zugeordnet wird, war Lipp bereits zu Gast.

Sie kommt nicht nur in russischen Medien gut an, sondern auch in der russischen Politik. Mindestens zweimal hat sie sich bereits mit Maria Sacharowa getroffen, der Sprecherin des russischen Außenministeriums – einmal im September 2021 und am 16. März 2022. Anlass war eine Pressekonferenz, bei der ein Buch des Außenministeriums über die Krim vorgestellt wurde – mit dabei neben Sacharowa auch russische Militärs und Georgy Muradov, der russische Vertreter der Krim.

Noch vor wenigen Jahren engagierte sich Lipp in Deutschland politisch bei den Grünen. Auf ihrer Webseite gibt sie an, dass sie im Rahmen der Krise in der Ukraine immer wieder in Interessenkonflikte mit der Partei geraten sei. In einem YouTube-Video schildert sie, dass sie nach ihrem ersten Aufenthalt auf der Krim im Jahr 2016 gedacht habe: Das ist nicht mehr meine Partei.

Nach unseren Recherchen passt diese Erzählung jedoch nicht mit der Wirklichkeit zusammen. Denn Lipp wurde nach Angaben der Grünen erst nach der Annexion der Krim im Jahr 2014 Mitglied in der Partei – und blieb das auch fünf Jahre lang. „Alina Lipp war von 2015 bis zu ihrem Austritt zum 31.12.2020 Mitglied unserer Partei“, schreibt die Pressestelle der Grünen auf unsere Anfrage.

Lipps Netzwerk in Deutschland: Querdenker und Verschwörungstheoretiker

Lipp ist also keineswegs einfach nur eine Journalistin, die „eine andere Sichtweise“ präsentiert. Sie ist eine gute vernetze, pro-russische Medienaktivistin. Das zeigt auch ihr Netzwerk in Deutschland, das sie seit Jahren aufbaut. Über ihren Telegram-Kanal sammelt Lipp auch Spenden: Am 1. April teilte sie die Kontodaten einer russischen Bankverbindung, da die Plattform PayPal ihr Konto offenbar gesperrt hatte.

Bereits seit 2019 hat sie Kontakt zum Verein Druschba, der seit 2016 sogenannte Friedensfahrten nach Russland organisiert. Auf seiner Homepage wirbt der Verein mit Medienpartnerschaften zu rechtsalternativen Medien wie „KenFM“ oder „eingeschenkt.tv“, der Querdenkeninitiative „Mutigmacher“ und dem Historiker Daniele Ganser. Ganser verbreitet in Vorträgen Verschwörungstheorien zu dem Anschlag auf das World Trade Center im Jahr 2001, wie das Schweizer Magazin Republik berichtet. Ein Interview mit Ganser führte Lipp im November 2020.

Öffentliche Gesichter des Vereins Druschba sind Rainer Rothfuß und Owe Schattauer. Rothfuß ist seit dem Jahr 2018 Mitglied der AfD. Schattauer wurde im Jahr 2015 als „Stimme des Zorns“ bekannt, als er in Videos über die „verlogene Mainstreampresse“ schimpfte. Als Musiker nahm er unter dem Künstlernamen „C-Rebell-Um“ Videos mit dem Rapper Kilez More auf, der in seinen Songs Verschwörungserzählungen verbreitet und regelmäßig bei Veranstaltungen der Querdenken-Szene auftrat.

Das NDR–Magazin Zapp zeigte 2017, wie der Verein Druschba unter dem Deckmantel der Friedensfahrten in russischen Medien anti-westliche Propaganda verbreitete und Rainer Rothfuß die Annexion der Krim durch Russland verharmloste. Narrative, die auch Lipp gern übernimmt. Bei einer ihrer Fahrten posierten Rothfuß und Schattauer mit Mitgliedern des Motorradclubs „Nachtwölfe“. Der Spiegel nannte den Club 2015 in einem Artikel „Putins Rudel“, weil Mitglieder laut des Magazins für prorussische Separatisten in der Ukraine kämpften.

Im August 2020 zeigte sich Lipp bei einer der größten Demonstrationen der Querdenken-Bewegung in Berlin. Von der Veranstaltung verbreitet sie Fotos von sich und dem international bekannten Impfgegner Robert Kennedy Jr. Zudem teilte sie zwei Fotos und ein Video mit Ralph Niemeyer, dem Ex-Mann von Sahra Wagenknecht, der sich laut Medienberichten mittlerweile in der Querdenker-Partei „Die Basis“ engagiert. In seiner Rede fordert Niemeyer unter anderem mehr soziale Sicherheit und „Frieden mit der Russischen Föderation“.

Auf dem YouTube-Kanal „DruschbaFM“, den Lipp gemeinsam mit Sergej Filbert betreibt, ist Niemeyer mehrfach zu Gast. Dort verbreitet er unter anderem die in der Reichsbürger-Szene gängige Behauptung, Deutschland habe nach dem Zweiten Weltkrieg keine Verfassung bekommen und auch einen Friedensvertrag mit den ehemaligen Kriegsparteien gebe es nicht.

Den Kanal starteten Filbert und Lipp im November 2020, Fotos auf Lipps Facebook-Profil zeigen beide im Oktober 2020 bei den Jazztagen Dresden. Dort produzierten sie offenbar eines ihrer ersten Videos, das bereits erwähnte Interview mit Daniele Ganser.

Filbert betreibt seit September 2013 auf YouTube auch den Kanal „Golos Germanii“ („Die deutsche Stimme“), der über 500.000 Abonnenten hat. Dort übersetzt er deutschsprachige Inhalte ins Russische und wendet sich, so wie Lipp, bewusst an ein Publikum außerhalb Deutschlands. Scrollt man durch die Videos, fallen einige Namen auf: Aussagen von Sahra Wagenknecht, Owe Schattauer, Daniele Ganser und Ken Jebsen werden dort regelmäßig übersetzt.

Der Krieg als Sprungbrett für eine Propaganda-Karriere 

Jebsens Berichterstattung scheint für Alina Lipp eine besondere Rolle gespielt zu haben. Im Jahr 2014, als Russland die Krim annektierte, sei ihr und ihrem Vater aufgefallen, wie unterschiedlich deutsche und russische Medien über den Konflikt berichteten. Ihr Vater habe zu der Zeit KenFM geschaut und ihr die Sendung gezeigt. Er selbst sei schon vor einigen Jahren auf die Krim gezogen. Wann genau, ist unklar – mal schreibt Lipp 2017, mal 2018. Für seine Auswanderung habe es viele Gründe gegeben, sagt Lipps Vater in einem YouTube-Video. „Das schlechte Wetter, die Politik Merkels, viele Flüchtlinge, Wirtschaftskrise.“

2016 fuhr die heute 28-Jährige nach eigenen Angaben zum ersten Mal auf die von Russland annektierte Krim. Vier Jahre später habe sie dauerhaft dorthin umziehen wollen, doch die Corona-Pandemie habe das verhindert.

2021 war es dann scheinbar so weit, im Sommer veröffentlicht Lipp bei Telegram mehrere Fotos und Videos von der Krim. Etwa ein Jahr später gelingt ihr der Durchbruch. Wie auch immer der Krieg endet, Lipp zählt vorerst zu den Gewinnern.

Stand vom 08.04.2022. Mögliche Änderungen oder Aktualisierungen finden Sie hier im Originalartikel: Wie Alina Lipp zum Sprachrohr russischer Propaganda wurde (correctiv.org)


Dies ist eine Recherche des gemeinnützigen Recherchezentrums CORRECTIV, das sich durch Spenden von Bürgern und Stiftungen finanziert. Das Redaktionsteam steht für investigativen Journalismus und recherchiert zu strukturellen Missständen in der Gesellschaft. Mehr unter: CORRECTIV – Recherchen für die Gesellschaft

 

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