„Tödliche Folgen für die Menschenrechte“

IPI-Weltkongreß – 23. bis 26. 3. 1997 Granada diskutierte über Medienkonzentration und Gewalt gegen Journalisten

Medienkonzentration als globales Phänomen und die Zunahme von Gewalt gegen Journalisten waren zwei der Themen, die auf dem 46. Weltkongress des International Press Institute (IPI) in Granada diskutiert wurden. Die etwa 300 teilnehmenden Verleger- und Chefredakteure verabschiedeten eine Resolution, in der allen Zensur- und Regulierungsversuchen im Internet und anderen neuen Kommunikationsmedien eine Absage erteilt wird.

Die anwesenden Experten warnten vor den Gefahren einer fortschreitenden Medienkonzentration, deren herausragende Charakteristika vor allem in vermehrten cross-ownerships und zunehmender Globalisierung gesehen werden. Über mögliche Therapieansätze wurde indes keine Einigkeit erzielt. Für Alan Crosbie, den Vorsitzenden der European Newspaper Publishers Association (ENPA), führt die globale Medienkonzentration zur Ausschaltung von divergierenden Stimmen und Vielfalt. Dies habe „tödliche Folgen für die Menschenrechte, die auf freie und ausgewogene Massenmedien angewiesen sind“. Zur Eindämmung dieser Gefahr setzt Crosbie eher auf die nationalen Gesetzgeber denn auf die Europäische Union oder andere internationale Organe: „Dort, wo die EU sich zu Anti-Konzentrationsmaßnahmen geäußert hat, waren diese häufig inhaltlich zu allgemein und in der Praxis eher kontraproduktiv.“

Instrumente zur Konzentrationskontrolle

In Australien hat die Regierung sich bereits in den achtziger Jahren durch die Verabschiedung von Cross-Media-Regeln und den sogenannten Foreign Takeovers Act wirkungsvolle Instrumente zur Konzentrationskontrolle geschaffen. Zu wirkungsvoll, findet David Flint, Chairman des Australian Press Council, denn „die absolute Kontrolle ausländischer Investoren ist gefährlich“. Eine Kapitalobergrenze für die einzelnen Medienunternehmen sei ein rein ökonomischer Indikator, der nicht unbedingt der realen Nutzung des jeweiligen Medienmarktes gerecht werde. Flint plädierte demgegenüber für mehr Flexibilität, „damit die Gesetze nicht mit jeder neuen Entwicklung veralten und die Konvergenz zwischen den Technologien nicht behindert wird“. Flint hält zudem Cross-Media-Regulationen nicht für alle Medienmärkte brauchbar. Signifikante Teile des Medienmarktes würden regelmäßig ignoriert, „zum Beispiel Videos, Satellitenfernsehen, das Internet und Medien ethnischer Minderheiten“. Der Wettbewerb müsse durch die Zulassung eines „gewissen Grades“ von Auslandsinvestitionen stimuliert werden. Globalisierung könne auch Vorteile bringen. Die durch Eigentumsrechte in verschiedenen Medien erzeugten Synergien könnten das Angebot an Serviceleistungen gegenüber Advertisern beträchtlich erhöhen, etwa durch die Kombination von Print- und On-line-Schaltungen.
Der scheidende IPI-Chairman und Ex-Chefredakteur des „Guardian“, Peter Preston, erinnerte daran, daß auch die vergleichsweise harten britischen Anti-Trust-Gesetze den Vormarsch von Rupert Murdoch nicht haben verhindern können, Murdochs Anteil am Printmarkt übersteige die gesetzlich zulässige Obergrenze von 30 Prozent. Erreicht habe er dies unter trickreicher Ausnutzung der Ausnahmeregel, die für den Fall der Übernahme einer Zeitung in roten Zahlen gelte, Erstaunlicherweise habe die als „Gelddruckmaschine“ angesehene „Sunday Times“ ausgerechnet im Jahr des Kaufs durch Murdoch Verluste gemacht. Unter Ausnutzung einer Gesetzeslücke habe Murdoch auch im Satelliten-Pay-TV mit BSkyB ein kaum mehr entflechtbares Monopol erreicht.

Jorge Flindt Pedersen, Generaldirektor des öffentlich-rechtlichen TV 2 in Dänemark, schilderte die Folgen des Engagements internationaler Media-Player auf einem kleinen nationalen Markt. Eine liberale TV-Gesetzgebung hat es ermöglicht, daß über den Kauf diverser Lokalstationen die US Medienriesen ABC und Walt Disney über ein Network in Dänemark verfügen. Gerüchten zufolge interessiere sich Rupert Murdoch für das in schwedischem Besitz stehende TV3 – Hauptkonkurrent des dänischen Staatsfunks. Da auch die Präsenz von Kirch und Bertelsmann in bezug auf Sportübertragungsrechte bereits spürbar sei, so Flindt Pedersen, „sahen wir plötzlich, wie die Giganten ihre Schlachten auf dänischem Boden austragen“. Die Regierung antwortet auf diese Entwicklung weniger
mit Restriktionen als vielmehr mit großzügiger wirtschaftlicher Unterstützung des dänischen öffentlich-rechtlichen Fernsehens.
Auch Jean-Bernard Münch, Generalsekretär der Europäischen Rundfunkunion, warnte vor der Gefahr einer Monopolisierung des europäischen Rundfunkmarktes infolge verstärkter Allianzen der großen Multi-Media-Gruppen. Er äußerte Zweifel daran, ob die Anwendung der vorhandenen nationalen und internationalen Anti-Trust-Gesetze allein diese Entwicklung stoppen können. Vor allem vermißt er „Instrumente, die eine wirkliche Diversität für den Zuschauer bringen“. Fatal sei auch die in dieser Frage gespaltene Position europäischer Instanzen: Während die EU-Kommission per Richtlinie unter bestimmten Einschränkungen eine Öffnung der TV-Märkte anstrebe, lehne das um Medienvielfalt besorgte Europäische Parlament diese Öffnung ab.

Welch drastische Auswirkungen Medienkonzentration auf den Journalismus haben kann, demonstrierte Victor de la Serna, stellvertretender Chefredakteur von „El Mundo“ am Beispiel des spanischen Marktes: „Wenn in einem relativ großen europäischen Land wie Spanien mit 40 Millionen Einwohnern drei Mediengruppen eine breite Mehrheit der Tageszeitungen, Radio- und Fernsehsender kontrollieren, werden die beruflichen Möglichkeiten der Journalisten ziemlich stark eingeschränkt.“ Diese Entwicklung fördere unter den Betroffenen die „Gefügigkeit, Selbstzensur und die Neigung, den Ruhm des neuen ,großen Bruders‘ zu besingen: der Mediengruppe, die ihnen Arbeit gibt“.

Bilanz der Gewaltanwendung gegen Journalisten

Auf dem IPI-Kongreß wurde auch eine Bilanz der physischen Gewaltanwendung gegenüber Medienvertretern gezogen. Nach dem jüngsten Bericht des New Yorker Komitees zum Schutz von Journalisten (CPJ) wurden allein in den letzten zehn Jahren nachweislich 474 Journalisten bei der Ausübung ihres Berufs ermordet. 1996 kamen allein in Rußland 19 Reporter und Redakteure ums Leben. Die Dunkelziffer dürfte beträchtlich höher sein. Laut Alexej Simonov, dem Vorsitzenden der Moskauer „Glasnost Defence Foundation“ werden in den meisten Staaten der ehemaligen UdSSR Gewaltverbrechen gegen Medienangehörige kaum untersucht.

Neben diesen Staaten führen Algerien und Kolumbien das makabre Ranking an. In Kolumbien fielen in den letzten acht Jahren 65 Journalisten Gewaltakten des Drogenkartells zum Opfer. Erst am 20. März wurde Gerardo Bedoya von „El Pais“ in Cali ermordet. Die Medien, so Enrique Santos Calderón, Vize-Chefredakteur von „El Tiempo“ in Bogotá, werden von der Drogenmafia als Hauptgegner ihrer wirtschaftlichen Interessen angesehen.

In einer Resolution solidarisierte sich der IPI-Kongreß mit dem Familien und Arbeitskollegen der getöteten Journalisten. Des weiteren forderte er die türkische Regierung und das türkische Parlament auf, die Verfolgung der Medien einzustellen und eine Generalamnestie für die zum Stichtag 1. Januar 1997 inhaftierten 78 Journalisten zu erlassen. China wurde ersucht, bei der Übernahme von Hongkong die dort gültige Pressefreiheit nicht einzuschränken. Das IPI appelliert an die nationalen Gesetzgeber, sogenannte „Beleidigungsgesetze“, die Politikern, Würdenträgern und Institutionen besonderen Schutz verleihen, abzuschaffen.

In einer weiteren Resolution äußert es Besorgnis über den „Trend zur Kontrolle und Regulierung des Internet und anderer neuer Kommunikationsmedien“. Selbst begrenzte staatliche Eingriffe, so das IPI, öffne die Tür für „umfassende Zensur“. Das IPI warnt auch vor einem Wiederaufflammen der Debatte um eine „neue Weltinformationsordnung“, wie sie von Politikern einiger blockfreier Staaten in jüngster Zeit gefordert worden sei. Auch gutgemeinte Versuche, die Medien zu regulieren, könnten zu Zensurpraktiken und Restriktionen des „free flow of information“ führen.
Zum neuen Vorsitzenden des IPI wurde Eugene L. Roberts, Managing Editor der „New York Times“, gewählt. Er löst Peter Preston, Verlagsdirektor der britischen „Guardian“-Gruppe ab. Der deutsche Publizist Johannes Gross wurde als einer der drei IPI-Vizevorsitzenden bestätigt. Der nächste IPI-Weltkongress findet vom 24. bis 27. Mai 1998 in Moskau statt.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Italien: Neun Jahre Haft für Recherche?

Drei Reporter*innen der italienischen Tageszeitung Domani müssen mit bis zu neun Jahren Gefängnis rechnen. Die Staatsanwaltschaft Perugia ermittelt gegen sie, weil sie vertrauliche Dokumente von einem Beamten angefordert und erhalten und das Geheimhaltungsprinzip der Ermittlungen verletzt haben sollen. Die dju-Bundesvorsitzende Tina Groll kritisierte, dass „hier investigative Berichterstattung über Mitglieder der italienischen Regierung unterdrückt werden soll."
mehr »

RSF: Vertrauen Sie der freien Presse!

Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung wählt in diesem Jahr ein neues Staatsoberhaupt oder eine neue Regierung, Regional- oder Kommunalpolitiker. Gleichzeitig begeht die deutsche Sektion von Reporter ohne Grenzen (RSF) ihr 30-jähriges Bestehen. Grund genug für die Kampagne „Erste Worte“. Unterschiedliche Menschen hören Auszüge aus den Antrittsreden ihrer Präsidenten: Wladimir Putin aus dem Jahr 2000, Nicolás Maduro aus dem Jahr 2013 und Recep Tayyip Erdogan 2014.
mehr »

Italien plant harte Strafen für Journalisten

Italien plant eine Reform seines Verleumdungsgesetzes. Das Vorhaben wird derzeit vom Justizausschuss des italienischen Senats geprüft und sieht neben höheren Geldstrafen auch ein gefährliches Verbot journalistischer Berufsausübung vor. Verurteilte Reporter*innen könnten ein Arbeitsverbot von bis zu sechs Monaten erhalten. Auch Haftstrafen für Medienschaffende, die eigentlich nicht im Gesetz auftauchen sollten, werden in einem jüngsten Änderungsantrag wieder hinzugefügt.
mehr »

Top Tarifergebnis im Kino

In den Tarifverhandlungen mit der Kino-Kette UCI (United Cinemas International GmbH) wurde am 19. Februar 2024 ein Tarifergebnis erzielt, das an vielen Stellen die ver.di-Forderungen erreicht, so auch den Einstiegslohn von 14 Euro. In der anschließenden Befragung der Mitglieder bis zum 4. März gab es keinerlei Ablehnung. Somit beschloss auch die ver.di-Tarifkommission einstimmig die Annahme des Tarifergebnisses.
mehr »