Unabhängige Medien in Russland, Belarus und der Ukraine im Schatten der Macht

Eine Veranstaltung mit kritischen Kollegen der drei Länder zum Internationalen Tag der Pressefreiheit

Die ständig komplizierter werdenden Arbeitsbedingungen für kritische und unabhängige Journalisten und Medien in den drei osteuropäischen Ländern war Thema einer zweitägigen Veranstaltung anlässlich des Internationalen Tages der Pressefreiheit am 3. und 4. Mai in Berlin.

Eingeladen zu dieser Veranstaltung hatte die Deutsche Welle gemeinsam mit der Friedrich-Naumann-Stiftung und der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde. Die Konzentration der Veranstalter auf Russland, Belarus und die Ukraine war nicht zufällig, stehen doch deren Staatspräsidenten Putin, Lukaschenko und Kutschma ganz oben auf der Liste der größten Feinde der Pressefreiheit bei der Organisation „Reporter ohne Grenzen“. Als die Veranstalter vor einem halben Jahr dieses Vorhaben planten, konnten sie allerdings noch nicht ahnen, wie aktuell und zugespitzt sich die Lage im Frühjahr 2001 darstellen würde.

Im April dieses Jahres hatte der Schlag gegen den privaten Medienkonzern Most des Privatmannes Gussinski mit dem einflussrei-chen, kreml-kritischen Fernsehsender NTW, der Zeitung „Sewodnja“ und dem Nachrichtenmagazin „Itogi“ international Schlagzeilen gemacht. Dabei diktierten Staatsinteressen an einer einheitlichen, vom Kreml kontrollierten Informationslandschaft, wie in einer eigens verfassten Staatssicherheitsdoktrin dargelegt, die Mittel und Methoden. Ist dies der Anfang vom Ende des größten Verdienstes der russischen Reformer – von Glasnost, Medien- und Meinungsfreiheit? In der Ukraine sind die unabhängigen Medien bedroht und zum Teil geschlossen. Missliebige, weil kritische Journalisten werden verfolgt und bedroht. Seit seiner offensichtlichen Verstrickung in den Mord an dem kritischen ukrainischen Journalisten Georgij Gongadse (siehe M 4/01) sieht sich der ukrainische Präsident nun selbst unter massivem Druck. Und in Bjelorussland befinden sich praktisch alle Medien wieder in den Händen des Staates (siehe M 3/01).

Russland: ntw ist nicht mehr das, was es einmal war

Einen Abend und einen Tag lang berichteten und diskutierten Journalisten aus den drei Ländern mit ihren deutschen Kollegen, Experten und einem zahlreichen, fachkundigen Publikum die sich verschärfende, konfliktreiche Situation, wo zwischen neu entstandenen Wirtschaftseliten und einer starken staatlichen Macht sich der professionelle Spielraum der Journalisten immer mehr verengt oder kaum noch existiert.

Aus Moskau war von ntw die Journalistin und Moderatorin Mariana Maksimowskaja angereist. Die Mehrzahl der Kollegen von ntw und ihr Chefredakteur Kisseljow bemüht sich nach ihren Worten, bei einem anderen Moskauer Sender TW 6 einen neues Programm aufzubauen. Dies sei jedoch ein Experiment und ntw nicht mehr das, was es einmal war. „Die Freiheit des Wortes in Russland ist nicht tot, aber schwer krank. Die Zukunft liegt im Nebel. Pläne haben wir, aber ob wir sie realisieren können?“ Sehr kritisch bewertet auch der Leiter des ARD-Studios in Moskau, Thomas Roth, die Lage. Er sieht an seriösem Standard im Journalismus orientierte Kollegen mehr und mehr in die Position von wenig beachteten Dissidenten zurückgedrängt und den neuen Präsidenten Russlands mit keinem leidenschaftlichen Verhältnis zur Pressefreiheit ausgestattet. Der erbitterte Kampf um die Macht über die russischen Fernsehstationen sei vor allem auf die entscheidende Rolle des Mediums in Russland, nicht zuletzt für den Ausgang von Wahlen, zurückzuführen. In den Provinzen gäbe es nur wenige Zeitungen mit geringer Verbreitung und unter großem Druck der Machtorgane. Die Tatsache, dass in Russland die Menschen früher für Meinungs- und Pressefreiheit auf die Straßen gingen, die jüngsten Entwicklungen aber nur wenig öffentlichen Protest hervorriefen, erklärte er mit einer gewissen Apathie und dem harten Überlebenskampf der Menschen.

Belarus: Medien in der Hand der Machthaber

Shanna Litwina, Präsidentin der Belarussischen Vereinigung der Journalisten, beklagte, dass de facto alle Medien in den Händen der Machthaber seien und eine gewaltige propagandistische Maschinerie in Gang gesetzt wurde, die stereotyp alles auf den „Führer“ setze und den Westen als feindliche Macht diskreditiere. 1995 wurde in Minsk die erste private Rundfunkstation gegründet, die 1996 bereits wieder geschlossen wurde. Mittlerweile betreibt Litwina von Polen aus die Station „Radio Razija“, die für Belarus sechs Stunden täglich sendet. Der Journalistenvereinigung gehören mittlerweile 800 Mitglieder an, vor fünf Jahren begründete sie die Vereinigung, die der IFJ angehört, mit 21 Kollegen. Unter anderem bemüht sich der Verband um die juristische Unterstützung von Kollegen. Sie beklagt ebenso wie der DW-Korrespondent Wladimir Dorochow und der Vorsitzende der Allgemeinen Bürgerpartei Minsk, Anatol Lebedko, die ständige Behinderung unabhängiger Journalisten bei der Beschaffung von Informationen und die Kriminalisierung der Journalisten. Was heute mit den Medien in Bjelorussland geschehe, sei ein Vorläufer und ein Beispiel dafür, was sich in der Ukraine und Russland entwickeln könne.

Ukraine: Vier Journalisten im Jahr 2000 ermordet

Die Ukraine befindet sich gegenwärtig in einer innenpolitischen Umbruchsituation, deren Anstoß der bis heute nicht aufgeklärte Mord an dem Journalisten Georgij Gongadse war, bekannt und geschätzt für seine kritische Berichterstattung. Vier ukrainische Journalisten wurden im vergangenen Jahr ermordet, keiner der Fälle wurde aufgeklärt. Sergej Rachmanin, Redakteur der Wochenzeitung „Serkalo nedeli“ und Sergej Kisseljow, ehemaliger Chefredakteur von „Kiewski Wedomosti“, jetzt Korrespondent der Deutschen Welle, bezeichneten die Situation der unabhängigen Medien im Lande als die eines dahinsiechenden Krebskranken. Die Periode der freien Entfaltung der Medien in der Ukraine dauerte nur von 1991 bis 1993, danach, unbemerkt vom Westen, wurde der unabhängige Journalismus im Lande vernichtet, die meisten kritischen Journalisten wurden mundtot gemacht. Einer der wenige mutigen Ausnahmefälle war Gongadse, der dafür mit dem Leben bezahlte. Eine enge Kollegin von Gongadse, Olena Prytulyna sprach auf der Veranstaltung über die noch gemeinsam gegründete Internet-Zeitung „Ukrainska Prawda“ Nach ihren Schätzungen nutzt etwa ein Prozent der Bevölkerung im Lande heute das Internet, das in der Ukraine zum modernen Samisdat geworden sei. Sergej Scholoch, Leiter von Radio Kontinent, droht in diesen Tagen der Lizenzentzug für diesen größten, noch unabhängigen Sender der Ukraine, der Programme der Deutschen Welle, von BBC und Voice of America ausstrahlt.

„Kann man frei sein in der Sklaverei?“

Neben der Moderatorin von ntw waren aus Russland Alexej Simonow vom Fonds zum Schutz der Pressefreiheit, und Raf Schakirow, früher Chefredakteur von „Kommersant“ und Chef der Aktuellen Nachrichten des Fernsehsenders RTR, sowie der Vizepräsident des Nationalen Verbandes der Zeitungsverleger Russlands aus Barnaul, Jurij Purgin, nach Berlin gekommen. Jurij Purgin, der seinen Zeitungsverlag innerhalb von zehn Jahren aufgebaut hat, sieht die Geschehnisse um ntw als Lackmustest für die Freiheit der Medien auch in den Regionen und spürt die Bedrohung. Und Alexej Simonow meint sarkastisch: „Wir, die bjelorussischen und ukrainischen Kollegen, sind alle Teilnehmer an einem Experiment: Kann man frei sein in der Sklaverei?“ Zweifelhaft in diesen Fragen sei die Doppelmoral des Westens, wo in der Theorie alle alles sehr gut wüssten.

Etwas hilflos gerieten Diskussionen, wie westliche Medien und Journalisten die Demokratisierung der Medien in den drei Ländern unterstützen können. Eine Hilfe seien die Übertragungen westlicher Stationen, westliche Journalisten und die bedeutenden Medien des Auslands sollten immer wieder vor Ort sein, um über die aktuelle Situation zu berichten. Drastische Sanktionen europäischer Institutionen gegenüber den Staaten wurden als wenig hilfreich betrachtet.

 

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