US-Zeitungen in Verlustzonen

Rückgang des Anzeigengeschäfts kostet Journalistenjobs

Die US-Medien sind im Umbruch. Das Internet setzt den Verlagen zu – und tragfähige neue Geschäftsmodelle sind noch nicht in Sicht. Es herrscht Untergangsstimmung: Der amerikanische Medienprofessor Philip Meyer prophezeit, dass die letzte Zeitung im ersten Quartal des Jahres 2043 gedruckt wird. Und die Zeitschrift Economist titelt: „Who killed the newspaper?“


Fast alle Zeitungen in den USA verloren in den letzten Jahren kontinuierlich an Auflage. 2006 büßte die Washington Post 3,3 Prozent ein, die New York Times 3,5 Prozent, der Boston Globe 6,7 Prozent und die Los Angeles Times sogar 8 Prozent. In den letzten zwei Jahrzehnten ist die Auflage aller Zeitungen der USA um rund ein Drittel gesunken.

250 Mitarbeiter weniger

Der Rückgang des Anzeigengeschäfts in den USA ist nicht nur auf Google, sondern auch auf Internet-Anzeigendienste wie Craigslist.com zurückzuführen, die einen guten Teil der Werbung ins Internet abziehen. Die größte Zeitungskette der USA, Gannett, verlor im ersten Quartal diesen Jahres 4,8 Prozent des Anzeigenumsatzes, die Tribune-Company 11 Prozent. Bei der New York Times sanken die Gewinne voriges Jahr um ein Viertel. Erst vor wenigen Wochen zwangen scharfe Einbrüche im Anzeigenmarkt den San Francisco Chronicle über hundert Journalistenstellen zu streichen. Die Verluste hatten zuletzt jede Woche 1 Mio. US-Dollar betragen. Anzeigen aus dem Online-Geschäft der dazu gehörenden Website sfgate.com reichten nicht aus, um die Verluste zu kompensieren. Ähnliches soll nun auch der San Jose Mercury News drohen. Sparmaßnahmen und Kündigungen sind selbst in Qualitätszeitungen wie der New York Times keine Seltenheit mehr. Die New York Times reduzierte ihre Redaktion im letzten Jahr um 250 Mitarbeiter.
Der amerikanische Journalistenausbilder Neil Henry warnt eindringlich vor einer schlechteren Versorgung der Öffentlichkeit mit relevanten Nachrichten. Blogs könnten aufgrund mangelnder journalistischer Professionalität die Lücke nicht schließen. Weil Googles Anzeigengeschäft teilweise für den Niedergang der traditionellen Medien verantwortlich sei, müsse man Google nun in die Pflicht nehmen, sich selbst mehr für den Journalismus einzusetzen.
Dan Gillmore, ein bekannter Befürworter des Bürgerjournalismus, zeigt sich ebenfalls alarmiert: „Wer wird noch investigativen Journalismus betreiben und traditionelle Watchdog-Funktionen übernehmen?“ Er hofft, dass der nicht-kommerzielle Sektor in Zukunft den investigativen Journalismus aktiver unterstützen wird. Gillmore setzt aber auch auf den Bürgerreporter, der künftig eine immer wichtigere Rolle spielen werde. Deshalb müssten journalistische Prinzipien wie Genauigkeit, Gründlichkeit, Fairness, Unabhängigkeit und Transparenz nicht nur Journalisten in Ausbildung, sondern jedermann vermittelt werden. Um die saubere Trennung von Informationen nach Fakten und Werbung sorgt sich Gillmore hingegen weniger. Diese Aufgabe könne auch von neuen Intelligence-Werkzeugen übernommen werden.

Dramatischer Strukturwandel durch das Internet

Wie die Medienbranche in wenigen Jahren aussehen wird, kann heute niemand voraussagen. Sie durchlebt gerade den dramatischsten Strukturwandel ihrer Geschichte – durch das Internet. Ein klares Feindbild gibt es bereits – wie neulich einem Editorial der verkauften L.A. Times zu entnehmen war: „Viele Verleger betrachten das Internet, insbesondere Google, als größere Bedrohung ihres Lebensunterhalts als Osama bin Laden.“ Auch in deutschen Verlagshäusern ist man dem Suchmaschinenkonzern wenig gesonnen. Der Kölner Verleger Christian DuMont Schütte schimpfte kürzlich in der FAZ: „Es kann nicht sein, dass die Medienhäuser in Deutschland grob geschätzt neun Milliarden Euro für Nachrichteninhalte ausgeben, die sie dann kostenlos ins Internet stellen. Wir bezahlen Suchmaschinen sogar dafür, dass sie uns oben listen. Bei uns bröckeln Auflage wie Anzeigen, und Google schöpft mit unserer Hilfe den Werbemarkt ab.“
Tatsächlich kündigte Google erst jüngst die neueste Attacke auf den Anzeigenmarkt an: Google AdWords Print Ads. Damit lassen sich Anzeigen in Zeitschriften und Zeitungen platzieren. Das Programm umfasst in den USA 225 Zeitungen und Verlage, unter anderem Hearst Newspapers, GateHouse Media, Gannett, Tribune Publishing, die New York Times und die Washington Post. Zwar profitieren damit die Verlage direkt von den Google-Anzeigen, doch Google als Anzeigenmakler streicht ebenfalls einen Anteil ein.

Zeitungen mit Videos im Netz

Es ist aber nicht so, dass die amerikanischen Verlage sich nicht auf das Internet eingelassen hätten: Die kürzlich vorgestellte Studie „American Newspapers and the Internet; Threat or Opportunity?“ untersuchte die Websites der hundert am meisten verkauften amerikanischen Zeitungen. Demnach bieten 96 Zeitungen RSS-Feeds an, nur drei jedoch einen Volltext-Feed. Die Feeds nutzen im Vorjahresvergleich 21 Prozent mehr Leser. 92 Prozent der Zeitungen zeigen Videobeiträge auf ihren Websites – im Vorjahr waren es nur 61 Prozent gewesen. Immerhin 39 Zeitungen bieten eigene Inhalte an, 26 nutzten AP-Videostreams, 13 griffen auf Inhalte lokaler Nachrichtenredaktionen zurück. Dabei verwenden mehrere Redaktionen verschiedene Quellen für ihre Videoinhalte. 95 Zeitungen integrieren 2007 mindestens ein Reporter-Blog auf ihrer Website. Ein Drittel der Zeitungen erlaubt den Lesern, die Artikel direkt zu kommentieren. Allerdings fordern sechs Prozent Zeitungen mehr als im Vorjahr eine Registrierung für den Zugriff auf alle Bereiche der Website. Nur drei verlangen dafür eine Abogebühr.
Der amerikanische Verlagsexperte Scott Karp glaubt, dass Leser noch nie für die Inhalte, aber schon immer für die Distribution bezahlt haben, also für den Service, die mit allerlei Zusatzinformationen garnierte Nachricht am richtigen Ort pünktlich zu erhalten. Im Internet seien es heute die Provider und die Geräteindustrie, die den Obolus der Leser entgegennähmen. Dagegen seien es schon immer die Anzeigen gewesen, die die Inhalte finanzierten. Insofern scheint es nur konsequent zu sein, dass in den USA nun auch die letzten Paid-Content-Bastionen fallen: Die New York Times und, wenn man Rupert Murdochs Überlegungen glauben mag, bald auch das Wall Street Journal. Das Kalkül: Mehr Anzeigenkunden durch mehr Besucher.
In seinem Artikel „Who killed the newspaper?“ sieht der „Economist“ die Zeitungen in der Mitte untergehen. Im oberen und unteren Bereich hingegen sieht er noch Perspektiven: Luxusausgaben und Gratiszeitungen – oder wie der Herausgeber des österreichischen „Standard“, Oscar Bronner, formulierte: „In nicht saturierten Märkten werden erstaunlich viele Zeitungen gegründet und vom Markt akzeptiert werden, obwohl es auch dort bereits eine hohe Durchdringung des Internets gibt.“
Für neue Experimente sind jedoch die Verlagserben der dritten oder vierten Generation nicht mehr zu haben. Sie verkauften Dow Jones mit dem „Wall Street Journal“ an Rupert Murdoch. Sie verkauften ihre Pulitzer-Blätter wie die Tribune-Gruppe mit der Los Angeles Times und der Chicago Tribune. Auch Knight Ridder, die zweitgrößte Zeitungsgruppe der USA, wechselte den Eigentümer. Ähnliches ist in Deutschland zu sehen: David Montgomerys Mecom-Finanzgruppe kaufte neben der Berliner Zeitung, den Berliner Kurier und die Hamburger Morgenpost. Und die Eigentümer der Süddeutschen Zeitung wollen jetzt ebenfalls, nach einer kurzen und erfolgreichen Sanierungsphase, ihre Zeitung so schnell wie möglich loswerden – in Zeiten des Umbruchs.

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