Whistleblower im schutzlosen Raum

Mal ist es eine Altenpflegerin, ein LKW-Fahrer oder eine Tierärztin: Whistleblower gibt es auch in Deutschland in den verschiedensten Branchen. In der Öffentlichkeit flammt Vieles nur kurz auf. Das hat sich durch die spektakulären Fälle des US-Gefreiten Bradley Manning und des Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden geändert. Sie haben die Debatte über die Hinweisgeber beflügelt. Wie steht es aber um den Whistleblower-Schutz in den USA, der EU und Deutschland im Vergleich?

Abbildung: mipan / Fotolia.com
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Ohne den einstigen US-Gefreiten Bradley Manning würden wir das Thema wohl kaum diskutieren. Ohne den Systemadministrator Edward Snowden wäre der Begriff des Whistleblowers weit weniger Menschen bekannt. Beide haben unter enormen persönlichen Risiken auf Missstände in der US-Politik hingewiesen – und teuer dafür bezahlt. Manning, der inzwischen als Frau unter dem Namen Chelsea leben will, wurde im August zu einer 35-jährigen Haftstrafe verurteilt. Die Militärrichterin vertrat den Standpunkt, dass Manning mit der Weiterleitung hunderttausender Geheimdokumente der Armee an die Enthüllungsplattform Wikileaks den USA geschadet habe. Snowden indes musste sein bisheriges Leben aufgeben und befindet sich derzeit in Russland im Asyl. Er hatte umfangreiche Datensätze des US-Geheimdienstes NSA publik gemacht.
Die bittere Ironie der Geschichte ist, dass ausgerechnet die USA, deren Regierung in beiden Fällen gnadenlos Jagd auf die Informanten machte und macht, den weltweit besten Schutz von Whistleblowern im Gesetz verankert haben. Ein Vorläufer der heutigen Bestimmungen zum Schutz von Whistleblowern wurde bereits 1863 mit dem False Claims Act erlassen und spätestens seit den 1970er Jahren weiter ausgebaut. 1989 folgte das Whistleblower Protection Act, 2002 ein weiteres nach den Politikern Paul Sarbanes und Michael Oxley benanntes Gesetz.
Die Regierung von US-Präsident Barack Obama aber versucht mit zunehmender Vehemenz, den Militär- und Sicherheitsbereich gegen Whistleblower abzusichern. „Für mich besteht kein Zweifel daran, dass die hohe Haftstrafe gegen Manning vor allem ein Warnschuss für etwaige künftige Geheimnisenthüller sein soll“, sagte Rainey Reitman, Kampagnenleiterin der Electronic Frontier Foundation, die sich in den USA für Grundrechte im Internet einsetzt. Die US-Regierung versuche Personen, die geheime Informationen über die Presse öffentlich machen, wie Spione oder Verräter zu bedrohen, so Reitman gegenüber M: „Dadurch wird investigativer Journalismus schwieriger, der das Regierungshandeln kontrolliert und die Öffentlichkeit informiert.“
Während in den USA im Zuge des „Krieges gegen den Terrorismus“ ein bislang hoher Schutzstandard zumindest in Teilbereichen revidiert werden soll, ringen Menschenrechtsorganisationen in der EU darum, einen solchen Schutz überhaupt erst aufzubauen. Nach Angaben des US-Whistleblowing-Verbandes Government Accountability Project (GAP) müssen sich Hinweisgeber in Europa auf eine „Patchwork-Gesetzgebung“ verlassen. „Derzeit haben gerade einmal sechs europäische Staaten eine Form gezielter Gesetze für Whistleblower: Großbritannien, Norwegen, die Niederlande, Ungarn, Rumänien und die Schweiz“, heißt es in einem GAP-Bericht, der Anfang Mai in Rom vorgestellt wurde. Nur Großbritannien und Norwegen, erfährt man in der 37-seitigen Studie weiter, hätten diesen gesetzlichen Schutz auf staatliche Institutionen und Privatunternehmen ausgeweitet.

Öffentliches Interesse

Unbestritten nimmt Großbritannien eine Vorreiterrolle im Kampf für Whistleblower ein. Schon seit Mitte 1999 ist im Vereinigten Königreich das Public Interest Disclosure Act (PIDA) in Kraft. Das Gesetz sieht durch Whistleblowing ein „öffentliches Interesse“ gewahrt. Wenn in einer Behörde oder einem Unternehmen ein Missstand ausgemacht wird, soll durch die bislang progressivste Gesetzgebung zunächst eine interne Klärung unterstützt werden. Führt dieser Weg nicht zum Erfolg, ermöglicht das PIDA-Gesetz den Gang nach außen. Wichtig dabei: Nicht der Hinweisgeber muss den Missstand begründen. Nach Kapiteln vier und fünf des Gesetzes liegt die Beweislast bei dem Unternehmen oder der Behörde. Die automatische Entlassung eines Whistleblowers wegen der angenommenen Haltlosigkeit der Anklage ist somit nicht möglich. Dass diese Bestimmung EU-weit nach wie vor eine Ausnahme ist, sorgt bei Beobachtern für steigenden Frust. „Ich finde es sehr erstaunlich, wie wenig EU-Staaten den politischen Willen haben, ein solches Gesetz (zum Schutz von Whistleblowern) zu verabschieden“, sagte Mark Worth von der deutschen Sektion der Antikorruptionsorganisation Transparency International im Interview mit der Deutschen Welle.
Zumindest innerhalb der EU-Institutionen scheint es einen langsamen Fortschritt zu geben. Anfang Dezember 2012 stellte der Vizepräsident der EU-Kommission, Maroš Šefčovič, ein neues Regelwerk für Whistleblower im EU-Apparat vor. Damit seien die bis dahin geltenden Bestimmungen aus dem Jahr 2004 „auf der Basis von Fallrecht und praktischen Erfahrungen“ überarbeitet und erweitert worden, sagte der slowakische Sozialdemokrat. So werden EU-Mitarbeiter nun geradezu angehalten, Fehlentwicklungen zu melden. Sie können dabei mehrere mögliche Kanäle nutzen, wobei auch innerhalb der EU zunächst eine interne Meldung gemacht werden soll. Dennoch legte Šefčovič Wert auf die Feststellung, „dass die (Behörden-)Hierarchie komplett umgangen werden kann“. Die wichtigste Änderung war in der EU aber schon mit Antritt der Barroso-II-Kommission im Februar 2010 vorgenommen worden. Die Hoheit über das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) wurde dem Kommissar für Steuern und Zollunion zugeordnet. Zuvor war OLAF dem Verwaltungsressort unterstellt, das zugleich für die Budgetplanung mit zuständig ist.

Schuss vor den Bug

In Deutschland warten Anti-Korruptionsaktivisten auf eine solche Verbesserung der Lage. Einen kurzen Lichtblick gab es 2007, als der LKW-Fahrer Miroslaw Ricard Strecker mit Meldungen an Polizei, Gewerbeaufsicht und die Industrie- und Handelskammer den Gammelfleisch-Skandal publik machte. Der damalige Verbraucherschutzminister Horst Seehofer ehrte Strecker daraufhin mit der Goldenen Plakette seines Hauses und hob sein Handeln als „nachahmenswertes Beispiel“ hervor. Er werde sich dafür einsetzen, „im Herbst den Informantenschutz gesetzlich (zu) verankern“, kündigte Seehofer an. Als der CSU-Politiker im Herbst des Folgejahres wieder in die Bayerische Landespolitik wechselte, war noch immer nichts geschehen. Mehr noch: Als das Thema Ende Januar 2011 im Bundestag erneut debattiert wurde, bezeichnete der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder (CDU) Whistleblower in einem indirekt dokumentierten Kommentar unter Rückgriff auf Nazi-Terminologie als „Blockwarte“. Der CDU-Mann Peter Bleser sprach von „Denunzianten“.
Die Lage bleibt in Deutschland also schwer für Whistleblower, die von Regierungsseite nicht geschützt und sogar diffamiert werden. Doch wie im Fall der untätigen Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten nimmt auch auf Deutschland der Druck zu. Transparency International weist darauf hin, dass einer Ratifizierung des Zivilrechtsübereinkommens des Europarates durch die Bundesrepublik die Verbesserung des Hinweisgeberschutzes vorangehen muss. Auch die OECD hat die Bundesregierung schon mehrfach zu einem solchen Schritt ermahnt. Zudem war der Sieg der Altenpflegerin Brigitte Heinisch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Juli 2011 (siehe Interview mit Guido Strack) für die Bundesregierung ein Schuss vor den Bug. Den schwarz-gelben Regierungsdampfer hat selbst das nicht vom Kurs abgebracht. Noch in diesem Jahr wurden mehrere Initiativen der Oppositionsparteien für eine Verbesserung des Schutzes von Whistleblowern abgeschmettert.
Bei einer Konferenz von Antikorruptionsbeauftragten und Vertrauensleuten in Berlin Ende Februar dieses Jahres war man sich deswegen über die Eckpunkte eines zu implementierenden Whistleblower-Schutzes schnell einig. Es bedürfe an erster Stelle eines Bekenntnisses der politischen Führung, es brauche klare Verfahrensregeln für Hinweisgeber, die zudem vor etwaigen Nachteilen gesetzlich geschützt werden müssten. Transparency International fordert zudem von Unternehmen, den Schutz von Hinweisgebern in den Führungsleitlinien verbindlich zu verankern. Whistleblowing, so heißt es bei der Organisation, sei schließlich ein effektives Mittel gegen Korruption und zweifelhafte Praktiken, die ohne interne Hinweise nicht publik würden. Dieter Deiseroth, Richter am Bundesverwaltungsgericht, verteidigte die Hinweisgeber daher als „ethische Dissidenten“. Diese Erkenntnis hatte sich vor bundesdeutschen Gesetzen schon früher eingestellt. Nach einem jahrelangen Streit hatte das Bundesverfassungsgericht 1984 dem Journalisten und Schriftsteller Günter Wallraff im Streit gegen die Bild-Zeitung Recht gegeben. Wallraff hatte sich zur Redaktion unter Verwendung eines Decknamens Zutritt verschafft. Seine Enthüllungen hätten „Fehlentwicklungen“ im Journalismus aufgezeigt, hieß es in der Begründung.
Im Regelfall handelt es sich bei deutschen Whistleblowern aber nicht um Personen, die sich wie Wallraff erst in einen Betrieb einschleichen müssen. Die Transparency-Zeitschrift Scheinwerfer verweist auf die bisherigen Bilanzen aus den Bundesländern, nach denen Mitarbeiter selbst Hinweise liefern. In Baden-Württemberg verzeichnete ein entsprechendes Internetportal mit 20.000 Zugriffen eine „ergebnisrelevante Resonanz“, schrieb die Autorin des Beitrags, Ulrike Neundorf: 113 sachdienliche Hinweise zu politisch motivierter Gewalt gingen ein, immerhin 70 zu Wirtschaftskriminalität. Ähnliche Erfahrungen gebe es in anderen Bundesländern. Dies belege, so Neundorf, dass „Hinweisgebersysteme ein Risiko für potentielle Täter bedeuten“.
So bleibt am Ende die Frage, wer für die politischen Entscheidungsträger im Bund ein „nachahmenswertes Beispiel“ (Seehofer) und wer ein „Blockwart“ (Kauder) ist. Im rheinland-pfälzischen Koblenz übrigens motiviert selbst die Staatsanwaltschaft Hinweisgeber bei zivil- und strafrechtlichen Verstößen im Erfolgsfall mit 1000 Euro. Zwischen den Jahren 2000 und 2007 seien 105 Prämien ausgezahlt worden. Es ging freilich nicht um Geheimdienste, Wirtschaftskriminalität oder Bestechung – sondern um Graffiti und damit um Sachbeschädigung.

Preis für Snowden

Der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden wurde in Berlin mit dem Whistleblower-Preis 2013 der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW), der IALANA und Transparency Deutschland ausgezeichnet.

„Der US-Bürger Edward Snowden“, heißt es in der Würdigung der Jury, „hat mit seinem Whistleblowing Deutschland und den anderen EU-Mitgliedsstaaten einen großen Dienst erwiesen. Deshalb sollten EU-Staaten wie Deutschland und andere darum wetteifern, ihn aufzunehmen und zu schützen. Aus Überzeugung, aber auch aus Dankbarkeit.“

www.vdw-ev.de
www.transparency.de
www.ialana.de
www.whistleblower.org

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