Zeitung aus der Qualmbude

Wie in Tetovo in einem provisorischen Kabuff täglich eine Zeitung entsteht

In der Weltöffentlichkeit war er bereits für tot erklärt worden. Nun macht Baton Haxhiu mit wenigen Redakteuren von Tetovo aus eine unabhängige Zeitung für das Kosovo: „Koha Ditore“.

Der Raum ist so voller Zigarettenqualm, daß man mit einem Feuerwehralarm rechnen müßte, wenn jemand die Fenster öffnen würde. Es ist nur noch eine Stunde Zeit bis Redaktionsschluß, danach wird vielleicht gelüftet. Das Hinterzimmer im ersten Stock eines ramponierten Neubaus in einer Geschäftsstraße von Tetovo ist maximal 16 oder 18 qm groß, aber acht Rechner und Bildschirme stehen drin, auf provisorischen Gestellen mit wackelnden Preßspanplatten.

Redakteure sitzen an den gemieteten Computern, tippen in die Tastaturen, rauchen und machen die nächste Ausgabe von „Koha Ditore“. Das ist die einzige unabhängige Tageszeitung im Kosovo. Das Blatt erscheint nicht in serbischer, sondern in albanischer Sprache. Die Auflage liegt bei 35000. Viele Freiexemplare, etwa 10000, wurden noch Ende Juni in den Flüchtlingslagern in Mazedonien und Albanien verteilt. Auf die Frage, ob er denn glaube, daß Milosevic jetzt zurücktritt, sagt Baton Haxhiu, der Chefreakteur: „No way, dann kennen Sie den Balkan nicht.“

Erfolg nach Betteltour durch Europa

Inzwischen sitzen wir im Arbi, einem Café schräg gegenüber der Redaktion im Zentrum von Tetovo, etwa 45 Minuten mit dem Auto nördlich der mazedonischen Hauptstadt Skopje. Das Arbi ist ein Treffpunkt für Journalisten und andere geworden, eine Informationsbörse. Wäh-rend wir dort reden, kommt noch eine Korrespondentin vorbei, ein Helfer aus einem Flüchtlingslager macht Pause, ißt einen Eisbecher und erzählt, daß die Lager Stenkovec 1 und 2 jetzt, Ende Juni, fast völlig leer seien. Trotz Land- und Personenminen wollen die Menschen zurück in die Provinz Kosovo, wollen sehen, wer aus ihrer Familie überlegt hat, ob das Haus noch steht, ob es eine Zukunft geben kann.

Eine britische Fotografin macht Bilder von Baton Haxhiu, dem 33jährigen Chefredakteur, für den die schattige Terrasse vom Arbi gewissermaßen sein Besucherraum ist. Jeder kennt ihn, man merkt gleich, er ist hochgeachtet. Prominent ist er nicht nur in Tetovo, sondern auch international. Selbst der „New Yorker“ hat schon ausführlich über ihn berichtet. Schließlich war Baton Haxhiu etliche Tage für tot erklärt worden. Jetzt jedenfalls ist er quicklebendig.

Baton Haxhiu hat viele Pläne. Eine eigene Druckerei wäre wichtig. Aber dafür bräuchte er 400000 Mark, für deutsche Verhältnisse nicht eben viel. „Wir müssen nicht die modernste Ausstattung haben“, sagt er, „ältere Maschinen tun’s auch“. „Koha Ditore“, was so viel wie tägliche Nachrichten heißt, wird jetzt an mehreren Orten gedruckt, unter anderem auch bei der mazedonischen Tageszeitung „Dnevnik“ in Skopje und in Frankfurt. „Koha Ditore“ ist im April 1997 erstmal in Pristina herausgekommen. Die Zeitung kritisierte die Belgrader Regierung, handelte sich drakonische Strafen ein, legte sich mit der Untergrundarmee UCK an, zieh aber auch Ibrahim Rugova der Weltfremdheit. Das unkonventionelle Blatt wurde schnell im Kosovo beliebt und blieb es bis zum 23. März. Da kam die letzte Ausgabe heraus. Dann war Krieg.

Das Druckhaus in Pristina ist abgebrannt. Vom Equipment konnte nichts gerettet werden. Deswegen hielt die Redaktion, beziehungsweise wer noch von ihr übrig war, Baton Haxhiu für einen Traumtänzer, als er erzählte, er wolle „Koha Ditore“ von Tetovo aus wieder herausbringen. In der mehrheitlich albanischen Stadt am Fuße des Bergrückens, der den Kosovo von Mazedonien trennt, kam Haxhiu am 7. April an, nachdem er sich in Kellern in Pristina versteckt hatte und fliehen konnte. Aber die mazedonische Regierung wollte für „Koha Ditore“ kein grünes Licht geben. Es gab massive Probleme mit den Flüchtlingen, sie waren unerwünscht und eine Zeitung von Flüchtlingen eben auch. Haxhiu ging auf Betteltour in Europa. Er war in Paris bei Lionel Jospin, in Bonn bei Joschka Fischer und in London bei Robin Cook. Er wollte klar machen, wie wichtig Medien für die Stabilisierung der Region sind. Aber er stieß nicht überall auf offene Ohren.

Dennoch hat er es geschafft. Er hat Geld aufgetrieben von Albanern aus Barcelona, von der Friedrich-Ebert-Stiftung, von der Soros-Stiftung und anderen. Technische Unterstützung bekam er von einem kleinen Internetcafé im Hof um die Ecke in Tetovo. Von dort aus läuft der Kontakt zur Rest-Welt. Die Redaktion hat nicht einmal eine Telefonleitung. Aber Handies gibt es, nur kann man damit keine langen Korrespondentenberichte schicken. Eine Pilotnummer kam am 19. April heraus. Jetzt erscheint „Koha Ditore“ mit 16 Seiten täglich, zwei Seiten davon sind Suchmeldungen. Mit den NATO-Soldaten sind auch gleich die ersten Exemplare von „Koha Ditore“ ins Kosovo gekommen, damit die dort verbliebenen Menschen wieder an Informationen kommen. „Was aus dem Kosovo wird“, so schätzt Haxhiu ein, „hängt weniger von uns ab als von der NATO“.

Inzwischen plant der agile Chefredakteur schon wieder Neues. Er will „Radio Koha Ditore“ gründen. Räume hat er, Journalistinnen und Journalisten auch, aber kein Studio.

Sorgen macht sich Haxhiu, weil er glaubt, daß viele Leute wieder aus dem Kosovo weggehen werden. Zwar seien Hunderttausende schnell trotz der Gefahren zurückgekehrt, aber nur um zu sehen, welche Familienangehörigen überlebt haben. „Viele stellen fest“, so sagt er, „daß alles kaputt ist und wollen deshalb weiter in die Schweiz, nach Schweden oder Deutschland“. Deshalb hält er Hilfen zur Gründung eines Hausstands für so notwendig, aber er glaubt auch, daß es wichtiger ist, Zeitungen zu unterstützen als politische Parteien, „weil Medien mehr stabilisierend wirken könnten als polemisierende Parteien“.

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