Wie Journalismus die Demokratie stärkt

37. JOURNALISMUSTAG #JT25 Demokratie im Krisenmodus - Journalismus gefordert wie nie! am 25. Januar 2025 im ver.di-Haus in Berlin. Journalismustag der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju). Foto: ver.di | Stefanie Loos

Narrative wie „Migranten sind schuld“ entlarven oder andere Themen setzen, die brennende Probleme wie Wohnungsnot oder Klimakrise adressieren? Tech-Giganten regulieren oder das Internet zurückerobern? Auf dem dju-Journalismustag am Samstag in Berlin diskutierten mehr als 200 Medienschaffende engagiert und kontrovers, welche Rolle sie angesichts der bedrohten Demokratie in Zeiten von Rechtsextremismus und Digitalmonopolen spielen können.

„Journalismus hat die Aufgabe, antidemokratische Entwicklungen sichtbar zu machen und einzuordnen. Gleichzeitig sind Medien selbst Gegenstand der Angriffe von Antidemokraten“, so umriss Christoph Schmitz-Dethlefsen, für Medien zuständiges Mitglied im ver.di-Bundesvorstand, in seiner Begrüßung die zentralen Konfliktfelder in Berichterstattung und medialer Infrastruktur. Diesen Herausforderungen müsse man mit Solidarität und einer klaren Haltung für Demokratie begegnen.

Die Journalistin Elisabeth Niejahr, die seit 2020 Geschäftsführerin des Bereichs „Demokratie stärken“ der Hertie-Stiftung ist, plädierte in ihrer Keynote für eine solche klare Haltung von Medienschaffenden. Vertrauen zu den Menschen aufbauen, die sich immer mehr auf „social media“ zurückziehen, könne man am besten im persönlichen Gespräch. Zunächst gelte es, die eigene Arbeit zu erklären, wie etwa im Projekt „Journalismus macht Schule“ und konstruktiver zu berichten, denn „Demokratie legitimiert sich durch Problemlösungskompetenz“. Da Demokratie im Kommunalen verteidigt wird, wünsche sie sich, dass Journalist*innen wieder den „Charme der Lokalredaktion entdecken“. Gleichzeitig sollten sie aber global denken und auch andere Länder im Blick behalten.

Mehr Machtkritik in der Berichterstattung

Wie Journalist*innen in ihrer Berichterstattung vermeiden können, „in die Populismusfalle zu tappen“, diskutierte anschließend ein Podium. Der Begriff „Populismus“ sei verharmlosend, kritisierte der Chemnitzer Soziologe Ulf Bohmann, Mitautor der OBS-Studie „Falsche Propheten in Sachsen – extrem rechte Agitation im Landtag“. „Agitation“ sei der treffendere Begriff, denn es gehe darum, das Unbehagen in der Bevölkerung aufzuheizen – mit bestimmten Techniken.

Ulf Bohmann im M-Podcast:

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Wenn Rechte Ängste zu Migration oder Krieg und Frieden triggerten, wollten sie keine inhaltlichen Probleme lösen, sondern die Eskalationslogik bedienen. Es gebe Indizien, dass diese Techniken auch von anderen Parteien als der AfD genutzt werden – „eiskalt und moralfrei“. Damit könnten sie zwar kurzfristige Wahlerfolge erzielen, langfristig gehe das immer auf Kosten des demokratischen Zusammenhalts und zehre an ihren eigenen Grundfesten: Vertrauen der Bürger*innen und Fähigkeit, mit anderen demokratischen Parteien Kompromisse zu finden.

37. JOURNALISMUSTAG #JT25
Demokratie im Krisenmodus – Journalismus gefordert wie nie! am 25. Januar 2025 im ver.di-Haus in Berlin.
Journalismustag der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju). Foto: ver.di | Stefanie Loos

Auch die Publizistin Gilda Sahebi kritisierte, dass Politiker*ìnnen mit ihren Erzählungen zur Spaltung der Gesellschaft beitragen – etwa, wenn sie behaupten, man müsse „Bürgergeld kürzen, damit Leistung sich wieder lohnt“. So sortieren sie die Menschen in fleißig und faul oder in der Migrationsdebatte in Deutsche und Ausländer. Das Maß an Spaltungsmacht sei enorm und es gebe viel zu wenig journalistische Kritik daran. Dabei seien diese Erzählungen wirkmächtiger als Fakten. Narrative wie „Migranten sind schuld“ sollten bloßgelegt werden, sonst bekomme man sie auch durch Factchecking nicht wieder aus den Köpfen.

Eigene Narrative setzen

Taz-Chefredakteurin Barbara Junge widersprach: „Wir haben die Narrative offengelegt, aber es wirkte nicht!“ Es sei besser, eigene Narrative zu setzen. René Martens, freier Medienjournalist, plädierte auch dafür, eigene Themen zu setzen, denn in der Bevölkerung gebe es ganz andere Prioritäten als die gängigen, wie eine WDR-Umfrage in NRW zur Bundestagswahl zeige: Das Thema Migration rutschte auf Platz acht! Auch Martens monierte die fehlende Machtkritik und das Andocken von Medien an spalterische Politikererzählungen. 2024 sei zum Beispiel im „Presseclub“ zweimal Bürgergeld thematisiert worden, aber Klima kein einziges Mal. Gerade in den Nachrichten gelte es, Tatsachenverdrehungen richtig zu stellen, brach er eine Lanze fürs Factchecking. Als Positivbeispiel nannte er das Heute Journal vom 24. Januar, in dem die Forderungen des CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz zur Verschärfung des Migrationsrechts von einem Juraprofessor zerpflückt wurden: „Das bedeutet ein EU-Austritt!“

Mediale Infrastruktur für alle öffnen

Nach fünf vertiefenden Workshops zu Memes, pro-russischer Propaganda, neurechten Narrativen, Rechtsradikalismus-Recherche im Lokalen und Antisemitismus knüpfte der Kölner Medienwissenschaftler Martin Andree in seiner Keynote an die veränderte Mediennutzung an, die Schüler*innen der Deutschen Journalistenschule München zuvor in ihrem Film aus O-Ton-Interviews mit der Generation Z thematisiert hatten.

Seit der Covid-Zeit um 2020 nutzen mehr Menschen digitale als analoge Medien, konstatierte Andree. In einer Datenanalyse hatte er mit seinem Team das Internet-Surf-Verhalten der Deutschen analysiert und festgestellt, dass die Websites und Apps großer US-Plattformen wie Youtube, Apple und Facebook am stärksten genutzt werden. Allein die Techkonzerne Meta, Alphabet und Amazon erhalten 80 bis 90 Prozent des Traffics. „Damit bestimmen die drei Monopolisten, welche Inhalte wir bekommen und die Diskurse unserer politischen Öffentlichkeit“, warnte Andree. Journalistische Inhalte hätten kaum noch Einfluss. Die öffentlich-rechtlichen Sender kämen bei der Digitalbildnutzung nur noch auf vier Prozent.

37. JOURNALISMUSTAG #JT25
Demokratie im Krisenmodus – Journalismus gefordert wie nie! am 25. Januar 2025 im ver.di-Haus in Berlin.
Journalismustag der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju).
Keynote II: Die Enteignung der Medien – wie Digitalkonzerne unsere Demokratie zerstören und was wir dagegen tun können
– Prof. Dr. Martin Andree, Medienwissenschaftler, Autor von „Big Tech muss weg“ Foto: ver.di | Stefanie Loos

Das freie Internet sei abgeschafft worden und es gebe keine Gesetze, um die Monopole zu zerschlagen. Über die von ihren Plattformen beherrschte Medien-Infrastruktur machten sie mit kostenlosen Inhalten Profit – ohne dafür Verantwortung zu übernehmen, wenn das Netz mit Hass und Hetze geflutet wird. Andree bedauerte, dass Politiker den jüngsten Medienstaatsvertrag nicht nutzten, um die Tech-Macht zu begrenzen – etwa durch wirtschaftliche Trennung von Übertragungsweg und Inhalt oder eine Obergrenze von 30 Prozent Marktanteil für digitale Medien. Besonders kritisierte er, dass die „Monetarisierung strafbarer Inhalte“ nicht verboten wurde, sondern nur durch Moderation und Factchecking eingedämmt werden soll.

Befreien statt Regulieren

„Wir müssen das Netz befreien statt regulieren“, forderte Andree und erhielt viele Fragen nach dem „Wie“ aus dem Publikum. „Leute tut euch zusammen, ihr habt doch alle dasselbe Problem“, appellierte Andree und verwies auf Politiker, die sich genauso wie Medien der Plattformlogik anpassten, um sichtbar zu sein. Markus Söder sei Food-Influencer geworden, um seine Zielgruppen zu erreichen. Es wäre besser gewesen, eine Taskforce einzurichten, um den Internet-Trafic zurück zu gewinnen. Digitalen Boykott oder alternative Plattformen zu nutzen hielt Andree für wenig erfolgversprechend, da es an gesellschaftlichem Konsens fehle und wirksame Konkurrenz zu den Tech-Konzernen nicht finanzierbar sei. Google etwa fördere solche Projekte sogar: „Sie geben den Kindern ihren Spielplatz, damit sie nicht die Bastille stürmen!“ Auf die Frage nach Factchecking-Initiativen wie Correctiv antwortete er: „Es ist gut, dass es dieses Feigenblatt gibt, aber wir haben das Grundproblem damit nicht gelöst.“

Solidarität als „Überlebensprinzip“

In der folgenden Gesprächsrunde zweier dju-Bundesvorstände ging es darum, was Gewerkschaften für Pressefreiheit und demokratische Deutungsmacht tun können. Peter Freitag illustrierte, wie wichtig es ist, wer für Veröffentlichungen zuständig ist. Der Musk-Wahlwerbebeitrag für die AfD sei nur wegen des Direktionsrechts der Chefredaktion in der „Welt am Sonntag“ erschienen. Im „DuMont-Imperium“, für das er arbeite, sei die Chefredaktion für die Zeitungen zuständig, für die Online-Ausgaben aber die Marketing-Abteilung. Er ermutigte zum Kampf für ein Redaktionsstatut, das die innerbetriebliche Demokratie im Journalismus sichere. Das gehe nur mit einem starken Betriebsrat, ergänzte Lars Hansen von der Funke Mediengruppe. Er betonte zudem die Bedeutung von politischer Lobbyarbeit – für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, für gemeinnützigen Journalismus oder gegen Angriffe auf Journalist*innen bei Demos!

Ermutigt im Kampf für Demokratie wurden die Journalismustag-Teilnehmenden auch durch die Juraprofessorin Nora Markard, die sich im Vorstand der Gesellschaft für Freiheitsrechte engagiert. Sie stellte Fallbeispiele aus dem Buch „Jura not alone – 12 Ermutigungen, die Welt mit den Mitteln des Rechts zu verändern“ vor, das sie zusammen mit Ronen Steinke schrieb. „Recht ist politisch“, sagte sie. Es entstehe durch politische Entscheidungen oder Gerichtsurteile, verändere sich mit gesellschaftlichen Normen und Mehrheiten. In der Migrationspolitik würden zurzeit „Mindesstandards einer Demokratie“ verletzt – etwa durch Pushbacks oder Abschiebungen an der EU-Außengrenze. „Wenn man Demokratie sich selbst überlässt, dann geht sie kaputt“, warnte sie. Man könne sich nicht darauf verlassen, dass Grundrechte – gerade in Zeiten des Autoritarismus – ewig bestehen, sondern müsse dafür kämpfen. Die Kraft dafür schöpfe sie aus der Zusammenarbeit mit anderen. Das „Not alone“ im Buchtitel sei ein „Überlebensprinzip“.

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