Hartnäckig, sanft und respektvoll

Autorin, Regisseurin, Ton- und Kamerafrau Bettina Braun

Meine erste Frage gilt Ole. Ole ist der kleine Sohn der Filmemacherin Bettina Braun (unser Foto) und wer ihre Dokumentation „Was lebst du?“ gesehen hat, in dem der blonde Knabe erst im Mutterbauch, dann als Säugling letztlich als Laufen lernendes Kleinkind eine nicht unwichtige Rolle spielt, will wissen, wie es ihm geht.

„Er gewöhnt sich gerade an den Kindergarten“, erzählt Bettina Braun. Die zweite Frage gilt den Protagonisten ihres Films: Wie geht es Ali, Kais, Erkan und Alban? Hat Kais die Kurve gekriegt, spielt Ali noch im Musical, hat Erkan Arbeit, macht Alban eine Lehre? Braun berichtet bereitwillig, denn dass viele Zuschauer „in die Jungs ein bißchen verknallt sind“, kennt sie schon, schließlich hat sie sie selber „ins Herz geschlossen“.

Das Interesse am Wohlergehen der vier Kölner marokkanischer, tunesischer, türkischer und albanischer Herkunft, kommt von der Herzenswärme des Films: Zwei Jahre lang hat Braun die Jugendlichen begleitet und ist ihnen sehr nahe gekommen. Man spürt hinter der spät­pubertär-großmäuligen Fassade kulturelle Zerrissenheit und ratlose Verletzlichkeit und ist darüber hinaus fasziniert von Charme, Selbstironie und ebenso naiven wie realistischen Zukunftsträumen. Brauns Schwangerschaft während des Drehs fügt sich als dramaturgischer Strang ein. Sie beschäftigt die verlegenen Jungmachos intensiv, die Selbstverständlichkeit, mit der sie später das Filmkind betütteln, ist rührend.

Brauns Film erzählt engagiert, kurzweilig und aufmerksam vom Erwachsenwerden. Braun nähert sich ihren Protagonisten hartnäckig, sanft und respektvoll und rechtfertigt deren Vertrauen, weil sie niemanden vorführt. Ich kann mir gut vorstellen, wie die zier­liche Frau ihre Helden mit ihrem klaren, offenen Gesicht und ihrer gelassenen, aber bestimmten Ausstrahlung dazu gebracht hat, sich ihr zu öffnen. Den Film wollte zunächst „niemand haben“, schließlich griff das Kleine Fernsehspiel des ZDF zu. Nun gibt es überall Lob: Publikumspreis der Duisburger Filmwoche, Phoenix-Dokumentarfilmpreis, bester Dokumentarfilm beim Filmfestival Türkei/Deutschland/Nürnberg, auf der Berlinale in der Perspektive Deutsches Kino 2005, nominiert für den Schnitt-Preis auf dem Kölner Festival „film+“.

Bettina Braun ist Autorin, Regisseurin, Ton- und Kamerafrau und hat den Film auch mit Gesa Marten geschnitten. All dies hat sie gelernt. Geboren 1969 in Hamburg, wuchs sie in Wuppertal auf, ging nach dem Abitur 1988 nach London, studierte dort bis 1993 Kunst und Grafik­design. „In Deutschland muß man sich gleich festlegen, in London konnte ich ein bißchen rumschnüffeln.“ Sie machte ihren Berufsabschluss und lebte weitere zwei Jahre in London als Mediengestalterin, machte Praktika bei Dokumentarfilmern. Nach sieben Jahren England studierte Braun zwei Jahre an der Kölner Kunsthochschule für Medien. Ihr Diplomfilm „Sprech ens aanständich“ war ein „erzählerischer Filmessay“ über eine Kölner Gemüsefrau, deren Liebster nicht will, dass sie Kölsch spricht. Ihre Dokumentarfilme sollen „unterhaltsam, zugänglich und nicht langatmig sein“. Sie interessiert sich nicht für „griffige Themen oder tolle Stories. Was mich reizt, läßt sich schwerer verkaufen. Mich inspirieren Orte und Menschen, die dort hingehören, dafür muß ich ein Gefühl entwickeln und dann dynamisiert sich das Thema in einem langen, zähen Prozess. Wer kann sich das leis­ten, so lange mitzulaufen, wer finanziert das?“ Vor allem deshalb macht sie alles selber. Eigentlich, dreht sie „Heimatfilme“. Das Thema von Jugendlichen, die zwei Heimatländer haben, interessierte sie, aber ohne das Jugendzentrum, ohne die Dynamik, die sich in ihrer Beziehung an diesem Ort zu diesen Jugendlichen entwickelte, wäre es nicht „Was lebst Du?“ geworden.

Wie lebt es sich, wenn man sich so viel Zeit für einen Film nimmt? „Mehr schlecht als recht“, sagt Braun freimütig. Zum Lebensunterhalt trägt die Filmproduktionsfirma und Bürogemeinschaft mit der Dokumentarfilmerin Britta Wandaogo bei, die Frauen vermieten einen Schnittplatz, drehen Industriefilme und immer wieder arbeitet Bettina Braun, wie nach ihrem Studium, als Cutterin beim WDR. Im Sommer ging eine dreisemestrige Vertretungsprofessur für „Audiovisuelle Mediengestaltung“ an der Fachhochschule Lippe und Höxter zuende, der Unterricht hat „sehr viele Spass“ gemacht, aber die Organisation des Alltags war wie für alle berufstätigen Mütter sehr anstrengend.

Derzeit liest sie sich als Gremienmitglied der NRW-Filmstiftung durch 80 Dreh­bücher, fühlt sich „geehrt und verpflichtet. Ich habe auch eine Drehbuchförderung bekommen und für ‚Was lebst Du?’ eine Vertriebsförderung.“ Jetzt möchte sie „etwas zurückgeben“. Für sie „gehört es zum Beruf“, in der Gewerkschaft zu sein. „Man muß doch seinen Beitrag leisten. Ich finde Lobbies wichtig.“ Dokumentarfilmregisseure, da wird sie energisch, „verdienen viel zu wenig. Man arbeitet unheimlich viel, eine unzählbare Zeit, und das Geld dafür ist ein Witz.“ Dennoch wird es den nächsten Film von Bettina Braun geben, der sie wieder „sehr vereinnahmen“ wird. Das Thema ist im Kopf.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Fakten, Fame und Follower

Im Netz dominiert mittlerweile der Content, den kommerzielle BigTech-Plattformen pushen. Er ist nicht mehr gebunden an eine „öffentliche Aufgabe“ von Journalismus, nämlich durch Information und Fakten zur Selbstverständigung der Gesellschaft beizutragen.
mehr »

Faktenbasiert, aufklärend, machtkritisch

Der Journalist Georg Restle ist seit 2012 Leiter und Moderator des Politmagazins Monitor in der ARD. Der studierte Jurist tritt für einen „werteorientierten Journalismus“ ein. Mit M sprach er über Fakenews, Fehlerkultur und journalistische Resilienz.
mehr »

Medienkompetenz live und vor Ort

Daß Medienkompetenz nicht nur digital, sondern auch im real life vermittelt werden kann  zeigt ein Projekt aus Berlin. Durch aktive Medienarbeit möchte das Meko Neukölln Kinder und Jugendliche darin stärken, ihre Stimme zu erheben, sich einzubringen und an der Gesellschaft teilzuhaben. Die Angebote sollen die Teilnehmenden befähigen, sich selbst auszudrücken und ihre Sichtweisen und Erfahrungen zu teilen.
mehr »

Erziehung zur digitalen Mündigkeit

Wie kann man Kinder und Jugendliche bei der Social-Media-Nutzung vor Gefahren wie Cybergrooming oder -mobbing schützen, ohne ihnen Teilhabe- und Befähigungschancen in der digitalen Welt zu verbauen? Die aktuelle Debatte wird hitzig geführt. Antworten reichen von einem Verbot für Tiktok, Instagram und Co für unter 16-Jährige bis hin zur Stärkung von „digitaler Mündigkeit“ der User und rechtlicher Regulierung der Anbieter.
mehr »