In Zeiten globaler Internetplattformen erscheint Medienregulierung in einem nationalen Rahmen provinziell und unwirksam. Selbst die EU-Kommission betrachtete Medienpolitik lange vor allem unter Binnenmarkts- und Wettbewerbsaspekten. Ihr Steckenpferd war die Förderung der audiovisuellen Medien in Europa. Die Medienaufsicht lag weiterhin bei den Mitgliedsstaaten, in Deutschland speziell bei den Landesmedienanstalten.
Unter EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist dieser dezentrale Ansatz in jüngster Zeit weitgehend außer Kraft gesetzt worden, urteilt der EU-Korrespondent Eric Bonse. In ihrer Amtszeit habe sich „sowohl der medienpolitische Diskurs als auch die Praxis grundlegend geändert“. So werde „neuerdings der Schutz der Demokratie angeführt, um Brüssel direkte Eingriffe in die Medien zu erlauben“. Im Auftrag des Instituts für Medienverantwortung hat Bonse unlängst eine Analyse der neuen Internet- und Mediengesetze der Europäischen Union vorgelegt.
Mediengesetze der EU
Es geht darin um den Digital Service Act (DSA), den Digital Market Act (DMA) und den Media Freedom Act (EMFA). Mit diesen Gesetzen eignet sich die EU-Kommission zahlreiche neue Kompetenzen in der Netz- und Medienpolitik an. Da aber Medienpolitik Gesellschaftspolitik sei, so Bonse, werde das „gravierende Auswirkungen auf die Bürgerrechte, das Zusammenleben, die Partizipationsmöglichkeiten und letztendlich auf die Demokratie haben“.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von SoundCloud. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Was bedeuten die der Ergebnisse der Europawahl für die europäische Medienlandschaft und unsere Pressefreiheit? Wir sprachen mit Martina Michels, der ehemaligen medienpolitischen Sprecherin der Linkspartei im Europaparlament.
DSA und DMA wurden bereits Mitte 2022 vom Europaparlament verabschiedet. In beiden Gesetzen werden wirtschaftliche, technische und politische Aspekte miteinander verquickt. Als Ziele nannte der zuständige EU-Kommissar Thierry Breton die Bekämpfung „illegaler Inhalte“, die Verteidigung der Grundrechte, den Schutz der Internet-User, vor allem der Kinder, das Vertrauen der Konsument*innen in Online-Marktplätze, neue Geschäftschancen für innovative Anbieter, einen regulativen Rahmen für Online-Werbung sowie die Offenlegung von Algorithmen.
Das DSA-Gesetz ist seit Februar 2024 vollumfänglich anwendbar. Es soll vor allem die sehr großen sozialen Netzwerke regulieren. Als sehr groß gelten Unternehmen mit mehr als 45 Millionen aktiven Nutzer*innen in der EU. Es verpflichtet diese Plattformen, Meldesysteme für illegale Inhalte – Hass und Hetze oder gefälschte Produkte – einzurichten und innerhalb von 24 Stunden auf entsprechende Meldungen zu reagieren.
EU geht gegen Meta, X und TikTok vor
Dass die EU-Kommission es ernst meint, bewies sie Ende April, als sie ein Verfahren gegen den Facebook- und Instagram-Konzern Meta eröffnete. Begründung: Meta versäume es, die Verbreitung irreführender Werbung und Desinformationskampagnen in der EU ausreichend zu bekämpfen. Es fehle vor den anstehenden Europawahlen ein wirksames Wahlüberwachungsinstrument für Facebook und Instagram. Zudem vermutete die Kommission, die Möglichkeiten, sich als User über problematische Inhalte auf den Plattformen zu beschweren, entspreche nicht den Anforderungen des EU-Rechts. Außerdem gewähre Meta Forscher*innen nur unzureichend Zugang zu Daten.
Auch gegen die Online-Plattform TikTok und den Kurznachrichtendienst X (früher: Twitter) laufen bereits Verfahren. Bei TikTok wird geprüft, ob der chinesische Konzern mit seiner App-Version TikTok Lite die psychische Gesundheit von Minderjährigen gefährdet. X werden irreführende Beiträge zum Angriff der Hamas auf Israel angelastet.
Teile des Gesetzes sind weiterhin umstritten. Nach Artikel 34 des DSA sollen die Plattformen nicht nur rechtswidrige Einträge löschen, sondern auch „irreführende und täuschende Inhalte, einschließlich Desinformationen“. Dies seien allzu vage Generalklauseln und könnten zu indirekten Eingriffen in die Meinungsfreiheit führen, bemängeln einzelne Medienrechtler. Andere verteidigen das Paragrafenwerk. In Deutschland habe das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) viele der Neuerungen des DSA vorweggenommen, so der Rechtsprofessor Matthias C. Kettemann von der Uni Innsbruck. Es sei nicht einfach, den Grad an Overblocking (= der ungerechtfertigten Löschung von Inhalten) festzustellen. Gleichzeitig aber werde registriert, „dass Plattformen insgesamt immer noch viel zu wenig löschen – also auch Underblocking machen, im Bereich rechtradikaler, anti-semitischer, frauenfeindlicher oder zu Gewalt aufrufender Inhalte beispielsweise“. Warnungen der Kritiker*innen vor einer „Zensur aus Brüssel“ und einem „Wahrheitsministerium“ weist die EU jedenfalls strikt zurück.
Verhaltenskodex für Digitalunternehmen
Das EU-Gesetz über digitale Märkte DMA ist seit dem 2. Mai 2023 vollständig anwendbar. Es ergänzt das Wettbewerbsrecht und soll die Macht der Digitalkonzerne beschränken. Ein Verhaltenskodex für große Digitalunternehmen – so genannte Gatekeeper (=Torwächter) unterwirft diese strengeren Regeln. So dürfen sie etwa im Ranking nicht mehr eigene Angebote priorisieren und müssen ihre Online-Shops und Apps für die Konkurrenz öffnen.
Als Torwächter gilt ein Unternehmen, wenn es in der EU regelmäßig einen Jahresumsatz von 7,5 Milliarden Euro überschreitet oder einen Börsenwert von mindestens 75 Mrd. Euro erreicht. Außerdem muss es – analog zu den Werten beim DSA – mehr als 45 Millionen monatliche aktive User oder mehr als 10.000 gewerbliche Nutzer*innen haben. Im September 2023 nominierte die EU-Kommission die ersten sechs Gatekeeper: Alphabet, Amazon, Apple, ByteDance, Meta, Microsoft. Bis März 2024 mussten sie Bericht darüber erstatten, wie sie die Vorschriften des DSA einhalten. Meta klagte gegen die Benennung als Torwächter.
Bei Verstößen sieht das Gesetz drastische Strafen vor. Bis zu zehn Prozent des weltweiten Konzernumsatzes sind bei einem Verstoß als Geldbuße fällig, im Wiederholungsfall sogar bis zu 20 Prozent. Als weitere Sanktionen kann die EU-Kommission Zwangsgelder verhängen, Konzernumbauten fordern oder das Unternehmen schlimmstenfalls sogar zerschlagen.
Die betroffenen Konzerne gehen dagegen auf die Barrikaden. So verlangt Apple, seinen App Store von den strengen Wettbewerbsregeln auszunehmen. Eine Öffnung könne die bisher streng überwachte Sicherheit der Apps gefährden. Umgekehrt gehen den Apple-Konkurrenten die DMA-Regeln nicht weit genug – die bisherige Wettbewerbsverzerrung durch den US-Giganten werde dadurch nicht wirksam unterbunden.
Der lange Weg zum Medienfreiheitsgesetz
Besonders kontrovers diskutiert wurde der im März 2024 vom Europaparlament mit klarer Dreiviertelmehrheit verabschiedete European Media Freedom Act (EMFA). Das Medienfreiheitsgesetz soll die Unabhängigkeit und Vielfalt der Medien im EU-Binnenmarkt stärken und Eigentumsverhältnisse im Mediensektor transparent machen. Der größte Teil der Medienorganisationen begrüßte das Paragrafenwerk. Allerdings existieren nach wie vor auch Bedenken, ob einzelne Regelungen die Pressefreiheit nicht eher gefährden als schützen.
Einerseits regelt das Gesetz publizistische Selbstverständlichkeiten wie den Quellenschutz und die redaktionelle Unabhängigkeit. Auf der anderen Seite wird eben diese Unabhängigkeit durch die Möglichkeit einer staatlichen Überwachung von Journalist*innen durch Spähsoftware tendenziell in Frage gestellt. Erst eine Entschärfung entsprechender Regelungen rechtsstaatlicher Garantien konnten diesbezügliche Bedenken einfangen.
Weiterhin umstritten bleibt das European Board for Media Services, das die Arbeit der nationalen Medienaufsichtsbehörden aller 27 Mitgliedsstaaten koordinieren soll. Gedacht ist es als Instrument zum Schutz der Medienfreiheit vor den großen Internet-Plattformen. Für Unmut sorgt vor allem die Tatsache, dass das Sekretariat des Boards bei der EU-Kommission angesiedelt ist. Das Europaparlament hatte gefordert, dieses medienpolitisch relevante Gremium unabhängig von der Kommission zu ernennen, hatte sich aber nicht durchsetzen können. Damit ist die Gefahr, dass weitere mitgliedsstaatliche Kompetenzbereiche bei der EU konzentriert werden, nicht ausgeräumt. Ob der EMFA unter dieser Prämisse tatsächlich der „Meilenstein für die Medienfreiheit und -vielfalt in Europa“ wird, als den ihn Kulturstaatsministerin Claudia Roth lobt, muss die praktische Umsetzung zeigen.