Karten neu gemischt: Qualitätsopfer im Zeichen der Medienkrise

Zeit für eine medienpolitische Gegenoffensive von Beschäftigten und Gewerkschaften

Die Rezession in der Medienbranche hält an. Die Medienkonzerne versuchen, die Folgen der Krise und ihre eigenen Managementfehler auf die Beschäftigten abzuwälzen. Schon 10.000 Journalisten sind ohne Arbeit.

Zugleich wittern die Konzerne die Chance, sich lästiger Gegner zu entledigen, die bestehende gesetzliche Medienregulierung aufzuweichen. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten sollen geschwächt, die Pressefusionskontrolle abgeschafft werden. Zeit für die Beschäftigten und die Mediengewerkschaft, eine medienpolitische Gegenoffensive zu starten.

„Premiere“-Chef Georg Kofler fuhr mal wieder schweres Geschütz auf: Von „bedrohlicher Wettbewerbsverzerrung“ war da die Rede, gar von der „Luxusausstattung“ des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, mit der der TV-Markt „aus der Balance gebracht“ werde. Auslöser seiner Klage waren – richtig geraten – die jüngst bekannt gewordenen Wünsche von ARD und ZDF in Sachen Gebührenerhöhung. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten haben demnach bei den Ländern und deren zuständiger KEF-Kommission eine Erhöhung der Rundfunkgebühren von derzeit 16,15 Euro auf etwa 18 Euro pro Monat ab 2005 beantragt. Wie zu erwarten, war die öffentlich erzeugte Empörung über diesen Schritt groß. Ein Plus von mehr als zehn Prozent! Und das in Zeiten knapper Kassen, in der dem Bürger alle möglichen Sparzwänge auferlegt würden. Gar nicht zu reden von der Ebbe in den Budgets der Privatsender, die unter der Last der Medienrezession ächzen. Schon argwöhnt Kofler, ARD und ZDF planten eine „systematische Schwächung des Privatfernsehens“. Dass die angestrebte Gebührenerhöhung sich auf die gesamte Periode 2005 – 2008 bezieht, mithin vergleichsweise moderat ausfällt, geht in der allgemeinen Erregtheit meist unter. Zugleich lässt der Vorgang ahnen, dass der zeitweilig überwunden geglaubte „Kampf der Systeme“ im Zeichen der Medienkrise mit erneuerter Schärfe aufbrechen dürfte. Die Angriffe der Privaten auf ARD und ZDF, dies belegte auch die jüngste Jahrestagung des Lobby-Verbandes privater Rundfunk und Telekommunikation VPRT, zielen immer auf das eine ab: auf die Eindämmung und Begrenzung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Der verfassungsrechtlich definierte Grundversorgungsauftrag soll umgedeutet werden in eine Art von gnädig zugestandenem Recht auf Mindestversorgung, während das eigentliche Rundfunkgeschäft Sache der Privaten zu sein habe. Eine Anmaßung, die gleichwohl in vielen Kommentaren kritiklos übernommen wurde. Doch gibt es auch Ausnahmen. „Ist es nicht viel abwegiger anzunehmen, dass einer Gesellschaft am besten damit gedient ist, wenn sie ihre Information, ihre Unterhaltung, fast ihr ganzes Weltbild von Firmen bekommt, deren einziger Zweck es ist, möglichst viel Geld zu verdienen?“ fragte etwa Stefan Niggemeier in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“(!). Das Ansinnen der Privaten, die EU-Transparenz-Richtlinie auf die öffentlich-rechtlichen Anstalten anzuwenden, muss daher konsequent zurückgewiesen werden. Dies wäre, so der stellvertretende ver.di Vorsitzende Frank Werneke, „ein massiver Angriff auf die bewährte deutsche Rundfunkordnung“. Rundfunkgebühren sind eben keine „staatlichen Beihilfen“ im Sinne des EU-Rechts, sondern eine Bürgerfinanzierung von gesellschaftlicher Infrastruktur.

Rundfunkstaatsvertrag mit klarem Auftrag

Der Konflikt spiegelt sich auch in den aktuellen Auseinandersetzungen um die bevorstehende 7. Novellierung des Rundfunkstaatsvertrags. Darin soll erstmals ein klarer Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks umrissen werden. Dieser hat demnach „durch die Herstellung und Verbreitung von Hörfunk- und Fernsehprogrammen sowie von Mediendiensten mit vorwiegend programmbezogenem Inhalt als Medium und Faktor des Prozesses freier und individueller öffentlicher Meinungsbildung zu wirken“. Einige CDU-Staatskanzleien fordern „Nachbesserungen“. So sollen „Mediendienste“, also Online-Angebote, im Programmauftrag als „nachrangig“ bewertet werden. Auch sollen diese Dienste einen „ausschließlich programmbezogenen“ (statt „vorwiegenden“) Inhalt aufweisen. In die gleiche Richtung zielt die Minderheitsposition zweier CDU-Länder, die Unterhaltungsaufgabe nur als „nachrangig“ zu definieren. Bleibt zu hoffen, dass die Union mit solchen – die Entwicklungschancen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks potentiell einschränkenden – Manövern nicht durchkommt. Sinnvoll erscheint dagegen der Auftrag an ARD, ZDF und DeutschlandRadio, künftig alle zwei Jahre einen Bericht vorzulegen, in dem detailliert die Erfüllung des Programmauftrags , die „Qualität und Quantität der angebotenen Programme“ nachgewiesen werden. Eine ähnliche Verpflichtung zu Transparenz wäre auch für die privaten Medienveranstalter wünschenswert. Sie bleibt im Privatfunk jedoch ein frommer Wunsch, da die kommerziellen Sender bekanntlich keinen Programmauftrag kennen. Abgesehen eben von dem Imperativ, ihren Eignern möglichst viel Gewinn zu bringen.

Sündhaft teure Sportübertragungsrechte

Allerdings wären die öffentlich-rechtlichen Anstalten gut beraten, den Bogen nicht zu überspannen. Bedarfsgerechte Finanzierung des Rundfunks ist eine Sache, ungebremste Programm- und Kostenexpansion eine andere. Die immer wieder vom ZDF ventilierten Pläne für die Gründung einer Senderfamilie passen ebenso wenig in die aktuelle medienpolitische Landschaft wie die Beteiligung von ARD und ZDF am Verhandlungspoker um den Kauf sündhaft teurer Sport-Übertragungsrechte. Es ist ein Armutszeugnis für das öffentlich-rechtliche System, wenn – wie zur Jahreswende geschehen – die Fortführung der Gemeinschaftsaufgabe Ausländerprogramme im Hörfunk am Fehlen eines vergleichsweise läppischen Betrags von einer Euro-Million scheitert. Die Rechtekosten für ein mittelprächtiges Pokalspiel liegen höher.

Nach dem Niedergang des einstigen Kirch-Imperiums werden die Karten im privaten TV-Markt derzeit neu gemischt. So hat der US-Milliardär Haim Saban unlängst knapp 72 Prozent der von Kirch Media gehaltenen Anteile an der ProSieben Sat 1 Media AG übernommen. Betroffen von dieser Transaktion sind die Sender Pro Sieben, Sat 1, Kabel 1 und N 24 sowie ein Anteil von Neun live. Beim Feilschen um das Deutsche SportFernsehen DSF setzte sich dagegen das Konsortium unter Führung von KarstadtQuelle durch. Dennoch markiert der Einstieg von Saban eine Zäsur auf dem deutschen TV-Markt: Erstmals betritt ein ausländischer Player mit Macht die Szene, ohne dass ihm wesentliche Fesseln angelegt werden. Mitte Mai hat die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) den Deal abgenickt. Nach dem für die KEK maßgeblichen Marktanteilsmodell erreichten die der Saban-Group zurechenbaren Programme im vergangenen Jahr einen Zuschaueranteil von knapp 22 Prozent. Eine Marge, die beträchtlich unterhalb der im Rundfunkstaatsvertrag festgelegten 30 Prozent liegt, ab der die Kommission wegen des Verdachts auf „vorherrschende Meinungsmacht“ intervenieren müsste. Darin zeigt sich erneut das Dilemma einer recht großzügig gefassten Konzentrationskontrolle, die ursprünglich das Patt zwischen ARD / ZDF einerseits, Bertelsmann und Kirch andererseits absegnen sollte.

Was wäre gewesen, wenn statt des unideologisch agierenden Haim Saban ein gewisser Silvio „Su Emittenza“ Berlusconi auf dem deutschen Markt zugeschlagen hätte?

Im Kabelbereich ist die Internationalisierung seit Jahresbeginn bereits Realität. Nach jahrelangen Verhandlungen gelang es der Deutschen Telekom, die Reste ihres maroden Kabelnetzes an eine US-Investorengruppe aus Apax Partners, Goldman Sachs und Providence Equity abzustossen. Proteste wie im Jahr zuvor, als ein geplanter Verkauf an John Malones Liberty am Veto des Bundeskartellamts scheiterte, blieben diesmal aus.

Herren des Kabels mit reduziertem Anspruch

Die seinerzeit befürchtete Gefahr einer Machtkonzentration von Programmherstellern, Programmveranstaltern und Netzbetreibern ist unter den neuen Eignern nicht zu befürchten. Zugleich fällt der reduzierte Anspruch der neuen Herren des Kabels auf. Entgegen früherer großspuriger Ankündigungen, die technisch veralteten Kabelnetze zu digitalen Multimedia-Highways umzurüsten, scheint es nun in erster Linie um eine bloße Programmvermehrung zu gehen. Schnelles Internet, Video on demand oder Telefonie über Kabel – alles Zukunftsmusik, vertagt auf eine Phase höherer Massenkaufkraft oder abgedrängt in einige wenige Feldversuche. Zugleich fürchtet die Branche, vom in Berlin bereits gestarteten terrestrischen Digitalfernsehen künftig an die Wand gedrückt zu werden. Anders lässt sich die Forderung des Deutschen Kabelverbandes nach Ausschluss einer öffentlichen „Subventionierung“ von DVB-T wohl nicht interpretieren.

Zur Erinnerung: Vor 20 Jahren, als unter dem CDU-Postminister Christian Schwarz-Schilling mit Milliardeninvestitionen das Kupferkabel in der Erde verbuddelt wurde, musste als Begründung die Forderung nach einer „Erweiterung der Programmvielfalt“ (sprich: das Aufbrechen des öffentlich-rechtlichen „Monopols“) herhalten. Heute verlangen die Platzhirsche der technisch überholten Kabelindustrie Bestandsschutz gegen kostengünstigere Alternativen. Ein medienpolitischer Treppenwitz.

Besonders tiefe Breschen schlägt die Rezession derzeit in der Printbranche. Die enormen Einbrüche im Anzeigengeschäft kompensieren die Großverlage durch einen rigorosen Sanierungskurs. Was nicht oder nicht ausreichend rentabel ist, wird eingestellt. Personalabbau im zehnprozentigen Bereich ist die Regel.

Überregionale Presse in Existenz bedroht

Ausgerechnet die Existenz der überregionalen Qualitätspresse erscheint gefährdet. Nach der Einstellung von Magazinen, Regionalbeilagen und dem Abbau der Online-Aktivitäten geht es nun, da die wirtschaftliche Erholung auf sich warten lässt, offenbar an die Substanz. Die Prognose von Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner, mittelfristig würden allenfalls zwei überregionale Tageszeitungen in Deutschland überleben, erscheint nicht mehr abwegig. In der Not wenden sich einige der Hauptbetroffenen mit Hilfeersuchen an den Staat. So etwa die „Frankfurter Rundschau“, die Mitte Mai vom Land Hessen eine Bürgschaft für den beantragten Kredit in zweistelliger Höhe erhielt, um die Sanierung des trudelnden Verlags zu unterstützen. Angesichts des auch im Printbereich gültigen Postulats der Staatsferne durchaus ein problematischer Vorgang. Vorschläge zur direkten Presseförderung, wie sie auch aus Gewerkschaftskreisen gemacht werden, müssen auf ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit abgeklopft werden. In Schweden hat man mit der staatlichen Förderung von „Zweitzeitungen“ – also Blättern in nachrangiger Marktposition – in den siebziger Jahren gute Erfahrungen gemacht: Die Pressekonzentration wurde seither faktisch gestoppt. Ob solche Vorschläge hierzulande in Zeiten knapper öffentlicher Kassen auf Beifall stoßen, darf wohl füglich bezweifelt werden.

Angriffe auf Kartellrecht und Fusionskontrolle

Zugleich nehmen in der Krise die Versuche der Großverlage zu, das geltende Kartellrecht auszuhöhlen. Die Medienwirtschaft werde zum „Schauplatz eines groß angelegten Verteilungskampfes um Marktanteile einiger weniger Medienkonzerne“, warnte bereits Ende vergangen Jahres ver.di-Bundesvorstandsmitglied Frank Werneke. Seit längerem machen sich die Verlagschefs der großen Zeitungshäuser wie Springer, WAZ und Holtzbrinck für eine Abschaffung der 1976 eingeführten pressespezifischen Fusionskontrolle stark. Besonders dramatisch gestaltet sich die Marktkonkurrenz in Berlin, wo Holtzbrinck und Springer ganze Zeitungsredaktionen für ihre Interessen in Geiselhaft nehmen. Nachdem das Bundeskartellamt Holtzbrinck die Fusion mit dem Berliner Verlag untersagte, hatte Holtzbrinck bekanntlich bei Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement eine Sondererlaubnis beantragt. Kaum drohte Holtzbrinck an, im Falle einer Versagung seines Fusionswunsches bliebe nichts übrig als den „Tagesspiegel“ plattzumachen, schwang auch Springer-Chef Mathias Döpfner die Abwicklungskeule: „Welt“ und „Berliner Morgenpost“ müssten dran glauben, falls der Minister dem Begehren der Stuttgarter nachgebe. Klare Erpressungsversuche von Verlagsbossen, die nach gewerkschaftlicher Auffassung nicht zuletzt durch krasse Managementfehler ihre Unternehmen in die Krise gewirtschaftet haben: durch fehlende Rücklagenbildung, eine illusionäre Online-Strategie und den hemmungslosen Aufbau von Überkapazitäten in Boomzeiten.

Zuletzt erteilte Clement Holtzbrinck die Auflage, einen Käufer für den „Tagesspiegel“ zu suchen. Dem Vernehmen nach sollen die Chancen, auf diese Weise einen weiteren Fall von Pressekonzentration zu vermeiden und ohne staatliche Eingriffe den Wettbewerb zu sichern, gar nicht so schlecht stehen. Die Intensität der Branchenkrise legt es aber nahe, über kurzfristige Feuerwehraktionen hinaus einen verbindlichen Rahmen für ein demokratisches Pressewesen zu schaffen. Dies könnte auf einem „Zeitungsgipfel“ geschehen, wie ihn Clement unlängst angeregt hat. Ein solcher Rahmen müsste nach Auffassung der Gewerkschaften für mehr Transparenz und innere Pressefreiheit in Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen sorgen. Wichtige Elemente müssten sein: die Wiedereinführung der unter Kohl abgeschafften Pressestatistik, die Pflicht zur Offenlegung der Besitz- und Beteiligungsverhältnisse in den Verlagen sowie die Mitbestimmung der Redaktionen durch Redaktionsstatute. Bereits SPD- Reformkanzler Willy Brandt hatte 1969 (!) die Absicht bekundet, ein solches „Presserechtsrahmengesetz“ zu erlassen, war aber am Widerstand der Verleger gescheitert. Angesichts der krisenhaften Zuspitzung in der Medienbranche erscheint eine gesetzliche Regelung heute dringlicher denn je. Ob die rot-grüne Bundesregierung den Mut aufbringt, gegen die Interessen der Verleger „mehr Demokratie zu wagen“, wie es Brandt vor 35 Jahren forderte?

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