Schwierige Neuanfänge für Exiljournalisten

Bild: 123rf

Für Journalist*innen im Exil ist es schwer, in ihrem Beruf zu arbeiten. Gerade wenn sie aus Ländern kommen, die wenig im Fokus des öffentlichen Interesses stehen. „Ich gehöre zu den Privilegierten“, sagt Omid Rezaee im Gespräch mit M. Der heute 34-jährige ist 2012 aus dem Iran geflohen, weil er dort wegen seiner Berichterstattung verfolgt wurde.Um einer Gefängnisstrafe zu entgehen, floh er zuerst in den Irak und dann nach Deutschland. Hier lebt er seit neun Jahren und arbeitet als Journalist.

Rezaee arbeitet für iranische Exilmedien, deutsche Medien sowie als Mitarbeiter des No Hate Speech Movement für die Neuen deutschen Medienmacher*innen. „Ich war oft zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, sagt er.

Schwierige Neuanfänge

Nur wenige Exiljournalist*innen finden den Weg in die deutsche Medienlandschaft. Die Hürden sind hoch: Wer als Journalist*in arbeiten will, braucht nicht nur sehr gute Sprachkenntnisse, sondern muss auch wissen, welches Kontextwissen man bei seinem Publikum voraussetzen kann. Und: Man braucht ein Netzwerk. Das geht bei der Flucht in ein anderes Land oft verloren oder wird brüchig. Selbst für diejenigen, die schon im Herkunftsland für renommierte deutsche Medienhäuser gearbeitet haben, kann es schwierig werden: „Viele Journalist*innen verlieren mittelfristig den Bezug zu Quellen vor Ort. Es ist schwer, diese Beziehungsarbeit ins Exil zu übertragen“, sagt Katja Heinemann. Sie arbeitet für die Nothilfe von Reporter ohne Grenzen. Ihr Ziel sei deshalb, dass Journalist*innen in ihrem Land oder ihrer Region weiterarbeiten können. „Wenn das aus Sicherheitsgründen nicht mehr möglich ist, bieten wir in Notfällen auch Hilfe an durch Relocation, temporär oder langfristig“, sagt sie. Aber: „Das Exil ist die letzte Möglichkeit.“

Es gibt keine gesicherten Zahlen darüber, wie viele Journalist*innen jährlich nach Deutschland fliehen. Das liegt daran, dass Journalismus kein geschützter Beruf ist. „Wen würde man zählen, Blogger, Leute die in Redaktionen arbeiten, nur diejenigen, die in Deutschland weiterhin journalistisch tätig sind oder auch die, die aufgrund ihrer journalistischen Arbeit verfolgt wurden?“, fragt Heinemann. Reporter ohne Grenzen habe im vergangenen Jahr über 150 Medienschaffende bei der Ankunft im Exil unterstützt. Die meisten Menschen kommen aus Russland und Afghanistan, aber auch aus der Türkei, Syrien und Iran. Reporter ohne Grenzen unterstützt die Menschen im Asylverfahren, vermittelt Rechtsanwält*innen und berät sie, wie sie sich schützen können, falls sie angegriffen werden.

Ganze Medienhäuser gehen ins Exil

„Mit dem Krieg Russlands in der Ukraine war zu beobachten, dass nicht mehr nur einzelne Journalist*innen, sondern erneut ganze Medien bzw. eine ganze Medienlandschaft ins Exil gezwungen wurde“, sagt Penelope Winterhager, Geschäftsführerin des JX Fund, der im April 2022 von Reporter ohne Grenzen, der Schöpflin Stiftung und der Augstein Stiftung gegründet wurde und von der Bundesregierung gefördert wird. Seitdem habe die Organisation 55 Medien beim Wiederaufbau ihrer Redaktionsstrukturen im Exil unterstützt. Die Hilfe umfasst Informationen über rechtliche Möglichkeiten, finanzielle Förderung, Vernetzung und Räumlichkeiten, unter anderem gemeinsam mit mit MiCT (Media in Cooperation and Transition).

Die Radiojournalistin Masha Mayers ist 2022 aus Russland nach Deutschland geflohen. Unterstützt wurde sie von MiCT: Bei der Wohnungssuche, mit Dokumenten, Versicherungen. „Ich habe im Radio über den Krieg in der Ukraine, über Putin und die Fehler der russischen Regierung gesprochen. Ich kann nicht zurückgehen, es ist zu gefährlich“, sagt sie. Die 42-jährige hat lange Jahre als Moderatorin für den bekannten Radiosender Echo of Moscow gearbeitet. Der Sender wurde 1990 als erster nicht staatliche Radiostation in der Sowjetunion gegründet. Zwei Wochen nach dem Überfall der Ukraine 2022 wurde er aufgelöst. Kurz danach hat ein Teil des Teams den Youtube-Kanal „Zhivoy Gvozd“ eröffnet, für den sie immer noch arbeitet. Außerdem arbeitet sie für russische Exilmedien in Berlin und sie möchte ein eigenes Projekt für ein russisches Publikum starten.

„Die meisten Journalisten gehen nicht ins Exil weil sie für deutsche Medien arbeiten wollen, sondern weil sie weiter Journalismus für ihr Land machen wollen“, sagt Winterhager. Durch die Digitalisierung der Presselandschaft gebe es dafür ganz andere Möglichkeiten als noch vor 10 oder 20 Jahren. Winterhager sieht die Lösung deshalb eher in der Unterstützung von Exilmedien in Deutschland. Diese könnten später auch ein wichtiger Anknüpfungspunkt der Zivilgesellschaft des Landes werden.

„Für Medienschaffende ohne große Diaspora in Deutschland, ist es schwer, Anschluss zu finden“, sagt Katja Heinemann von Reporter ohne Grenzen. Zwar sind viele deutsche Medienhäuser solidarisch mit Kolleg*innen im Exil und engagieren sich z.B. mit Vernetzungsprogrammen, Ausbildungen, regelmäßigen Aufträgen oder auch praktischer Hilfe bei der Wohnungssuche. Doch ist das oft nur punktuell und konzentriert sich auf die großen Krisenregionen wie Syrien, Afghanistan, die Ukraine und Russland, die auch in der Berichterstattung eine Rolle spielen. Eine weitere Anlaufstelle können die Neuen deutschen Medienmacher*innen sein. Doch auch das Mentoring-Programm hier findet nicht kontinuierlich statt. Und es richtet sich eher an Journalist*innen, die in Deutschland schon angekommen sind. Rezaee kritisiert strukturellen Rassismus in den Medienhäusern. Er fordert die Redaktionen auf, offener zu werden: „Exiljournalist*innen haben eine Expertise, die in keiner deutschen Redaktion zu finden sind.“

Pierre Emmanuel Ngendakumana hat seinen Wunsch, als Journalist in Deutschland zu arbeiten, vorerst aufgegeben. „Der deutsche Medienmarkt ist sehr schwer zu durchdringen, besonders für Menschen mit Migrationshintergrund wie mich“, sagt er. Die Sprachbarriere spiele dabei eine entscheidende Rolle. Ngendakumana hat für eins der letzten unabhängigen Medienhäuser in Burundi gearbeitet. Ngendakumana war 2019 für die Global Investigative Journalism Conference nach Deutschland gekommen. Weil sich die Lage für Journalist*innen in Burundi zu der Zeit immer weiter verschärfte, suchte er Asyl in Deutschland. In der Zeit wurden Kolleg*innen von ihm verhaftet, weil sie über eine Rebellenattacke aus dem Kongo berichteten. Beim Asylverfahren wurde er u.a. von Reporter ohne Grenzen unterstützt.

Von 2022 bis 2024 absolvierte er eine Ausbildung an der Axel Springer Academy of Journalism and Technology. Während des Programms arbeitete er für Bild/BZ in Berlin und für POLITICO Europe sowohl in Berlin als auch in Brüssel. Danach gab es keine Möglichkeiten für ihn weiter als Journalist zu arbeiten. Jetzt hat er eine Stelle in einem Technologie-Unternehmen angenommen. „Ich habe während des Programms viel gelernt, was ich in meinem derzeitigen Job leider nicht anwenden kann“, sagt Ngendakumana. Sein Vorschlag ist, eine Plattform zu schaffen, auf der Exiljournalist*innen aus verschiedenen Ländern in internationalen Sprachen arbeiten können. Er könnte sich auch vorstellen, ein eigenes Medium zu gründen. „Aber das rechtliche Verfahren dafür ist hier in Deutschland sehr kompliziert“, sagt Ngendakumana.

Probleme mit der Sicherheit

Doch egal wie gut man sich in Deutschland auskennt und die bürokratischen Hürden gemeistert hat: Ein großes Problem ist die Sicherheitslage. „Immer wieder gibt es Angriffe auf Exilmedienschaffende“, sagt Winterhager. Das bedeutet, dass sich viele Journalist*innen auch nach der Flucht ins Exil nicht sicher fühlen können. Davon erzählt auch Wadud Salangi. Der 26-jährige ist 2021 nach der Machtübernahme der Taliban nach Deutschland geflüchtet. Derzeit arbeitet er unter anderem als Journalist für Deutsche Welle.

„Die Taliban haben auch in Deutschland Kontakte und könnten mich wegen meiner journalistischen Tätigkeit sogar hier angreifen“, sagt er. Auf Social Media sei er Hate Speech und Drohnachrichten ausgesetzt. „Das ist ein blinder Fleck in der deutschen Zivilgesellschaft“, kritisiert Rezaee. Auch er bekomme rassistische Hasskommentare auf deutsch, aber auch Bedrohungen auf Farsi, z.B. von regimetreuen Akteur*innen im Ausland. „Das ist sehr konkret und könnte sich realisieren, aber es ist sehr schwer, dazu Unterstützung zu erhalten.“  Zwar gibt es Anlaufstellen für digitale Gewalt. „Doch die schalten sich oft nur ein, wenn die Bedrohung auf Deutsch oder Englisch stattfindet.“


Lesetipp: Broschüre der NDM/Freischreiber/n-ost in verschiedenen Sprachen

Terminhinweis: Exile Media Forum 2024

 

 

 

 

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