Tacheles reden am virtuellen Stammtisch

Mailinglisten von Freien – eine Anschrift und viele Empfänger

Beschäftigte können sich am Arbeitsplatz, in der Kantine oder auf Betriebsversammlungen austauschen – Orte der Information, die Freien häufig verschlossen sind. Doch Ersatz ist in Sicht: Die Freien innerhalb und außerhalb von ver.di nutzen immer häufiger Mailinglisten, um ihre beruflichen Angelegenheiten miteinander zu besprechen.

Es waren nicht bunte Bildchen, nicht online-Datenbanken und nicht Webseiten, welche die Übersetzerin Ingrid Altrichter zur begeisterten Anhängerin eines Internet-Zugangs machten. Die Mailingliste der Übersetzer in ver.di war für sie genug Anreiz, sich mit der Konfiguration von Modem und „DFÜ-Netzwerk“ herumzuschlagen und sich bei einem Internet-Provider anzumelden. Nun kann sie sich mit einigen hundert Kolleginnen und Kollegen gleichzeitig austauschen. Bei den Aktionen der Übersetzerinnen und Übersetzer zum neuen Urhebervertragsrecht war die Mailingliste, die über den Webserver der Ex-IG Medien läuft, ein wichtiges Koordinationsmittel.

Prinzip der Mailinglisten im Internet: Ein Listengründer legt mit Hilfe der Mailinglistensoftware eines Internetservers eine Mailadresse an. Wenn jemand an diese Mailadresse schreibt, geht die Nachricht an alle Mitglieder der Liste.

Der Listengründer kann festlegen, welche Kennzeichen die Liste haben soll. Mal dürfen alle an die Listenadresse schreiben, mal nur bestimmte Listenmitglieder. Mal gehen Listenmails sofort und unzensiert an alle, mal gehen sie zuerst an einen Moderator, der die Mail freigibt – oder auch nicht. Mal ist der Zugang zur Liste völlig offen, mal muss ein Neuling erst von einem Moderator hineingelassen werden oder kann sogar nur auf Einladung mitlesen und – schreiben.

Marketing und Koordinierung

Einen reinen Mailverteiler, der für alle offen ist, aber den nur er selbst mit Informationen füttern kann, hat zum Beispiel der freie Schauspieler Tobias Gramowski gegründet – und er hat es geschafft, 845 Interessenten auf die Liste zu locken. Die informiert er jetzt ein paar Mal im Jahr über seine Auftritte in Fernsehsendungen. Auch der Newsletter der Freienberatung Mediafon läuft über einen solchen nur Mailverteiler, den nur die Moderatoren nutzen können. Über interaktive geschlossene Mailinglisten läuft inzwischen ein großer Anteil von Gewerkschaftsarbeit. Absprachen treffen, Sitzungen vorbereiten, Material versenden – all das können ehren- und hauptamtliche auf eine effektive Weise mit einer Mailingliste machen. Die Mediafon-Berater nutzen dies ebenso wie die Bundeskommission Freie und Selbständige, der Tarifausschuss für Freie im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk und viele mehr. Wer keine E-Mail hat, erhält natürlich weiter Faxe und Briefe.

Der Umgang mit unmoderierten Mailingliste will gelernt sein – jede Mailingliste macht dabei eine Art Lebenszyklus mit. Nach einer Phase des Herantastens an die Liste gibt es eine kleine Gruppe, die an small talk Gefallen findet, an Anekdoten, Ungereimtheiten und Wortgeplänkel, worauf sogleich eine andere Gruppe gegen zu viel Mailverkehr protestiert oder auch wortlos die Liste verlässt. Wenn die Liste auf eine größere Teilnehmerzahl gewachsen ist, beginnen manche, sie als Mailverteiler für Mitteilungen und Beobachtungen aller Art zu benutzen. Wieder reagieren andere und starten eine Diskussion über die Diskussionskultur der Liste – bis sich Benimmregeln herausgebildet haben, an die sich mehr oder weniger alle halten. Oft werden diese Benimmregeln schriftlich als „Netikette“ fixiert, und manchmal gibt es einen Moderator, der zwar nicht die Mails zensiert, aber doch in die Kakofonie streng mahnend ein „Schluss der Debatte!“ hinein schreibt. Schließlich entwickelt die Mailingliste eine eigene Diskussionskultur. Neulingen wird empfohlen, zuerst eine Weile mitzulesen, bevor sie sich selbst melden – dann vergreifen sie sich nicht so leicht im Ton.

Mail sortieren für Fortgeschrittene

Außerdem können alle gängigen Mailprogramme ankommende Mails automatisch in Unterverzeichnisse sortieren. So bleiben private, wichtige Mails von den Mailinglisten getrennt. Manche Emailnutzer mit eigenen Domains legen sich sogar für jede Mailingliste eine eigene Emailadresse an. Die Mails der jeweiligen Adresse rufen sie nur dann ab, wenn sie sich mit dem Thema beschäftigen wollen. Ein weiterer Effekt: Sie wissen bei unerwünschten Mails genau, woher der Absender die Mailanschrift hatte. Und man muss ja nicht alles lesen. Listenmails lassen sich ab und an nach den Betreffzeilen durchsehen, oder – noch einen Schritt weiter – zeitlos-wichtige Fach-Listenmails landen völlig ungelesen in einem Verzeichnis des Mailprogramms, das der Empfänger der Mails nur ab und zu nach einem Stichwort durchsuchen will.

Interaktiv ist das allerdings nicht mehr. Wenn das alle täten, gäbe es keine Diskussion mehr, und die Frage eines Teilnehmers der Mailingliste „verdi-freie“ wäre unbeantwortet geblieben. Was er der Bundeswehr in Rechnung stellen sollte, wenn er für ein Schulungsvideo als Interviewer von der Presse mitspielt, fragte der Kollege. Die Listen-Freien unterschiedlicher Herkunft rieten zu einem Tagessatz von 300 Euro (Journalist) bis zu 750 Euro (Synchronsprecher) – aber zahlen will die Bundeswehr 150 Euro. Es ist diese Transparenz am virtuellen Dauerstammtisch Mailingliste, die Fans besonders schätzen.

Kritische Massen und closed shops

Nicht jeder Versuch, eine Mailingliste zu errichten, hat Erfolg. Erste Voraussetzung dafür, dass die Liste wirklich lebt, ist eine bestimmte kritische Masse, eine Mindestzahl an Teilnehmern. Es empfiehlt sich daher, zu neuen Mailinglisten über andere geeignete Mailinglisten einzuladen (aber nicht über eine konkurrierende Liste) oder aber die Zielgruppe persönlich per E-Mail zum Beitritt einzuladen. Auf dem kostenlosen Mailinglistenserver von yahoo dümpeln mindestens zehn unterschiedliche Mailinglisten der ver.di-Jugend aus verschiedenen Regionen und Fachbereichen ereignislos vor sich hin, bei Teilnehmerzahlen von 3 bis 20. Zweite Voraussetzung: Es müssen genügend Menschen dabei sein, die kommunizieren und nicht nur mitlesen wollen. Ob Morgenpost oder Tagesspiegel, Süddeutsche oder Berliner Zeitung – die Mailinglisten der jeweiligen Freien Mitarbeiter wurden jeweils gegründet, als die Verlage ihnen neue Vertragsbedingungen aufzwingen wollten, und die Listen haben zu Krisenzeiten den stärksten Mailverkehr. Die Mitglieder der „Zeitungshonorare“-Liste bekommen hingegen gerade mal eine Mail pro Monat, da lässt sich leicht vergessen, dass es die Liste gibt.

All diese Probleme hat eine gewisse Mailingliste von freien Illustratoren nicht. Die Liste mit rund 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmern lebt und atmet, man kennt sich, vertraut sich und schreibt (neben viel small talk) Tacheles miteinander über Honorare, Vertragsbedingungen und Erfahrungen mit bestimmten Auftraggebern. Und weil all das nach Meinung der Illustratoren so bleiben soll, möchten sie nicht einmal, dass der Listenname hier erwähnt wird. Und wer neu aufgenommen werden will in den erlauchten Kreis, muss von gleich zwei Listenmitgliedern empfohlen werden.

 


Mailinglisten

Bei den aufgelisteten Providern kann jedermann mehr oder leicht Mailinglisten errichten, häufig kostenlos (=werbefinanziert).
Die Liste ist nicht vollständig. Wer eine werbefreie Liste braucht, muss Gebühren zahlen. Kostenlos und werbefrei geht es nur über Beziehungen zu Server-Betreibern wie zum Beispiel Universitäten.

adjolis.de (kostet)
domeus.de
kbx7.de
kbx.de (kostet)
topica.com
yahoogroups.de


Mailinglisten für Freie

(Stand Juni 2002)

Name für Charakter Anmeldung durch:
creativearts alle Sparten des analogen & digitalen Publizierens, Screen- und Webdesigner, Fotografen, Drucker, Multimedia-Producer, Werbeagenturen, Typographen offen, 206 Mitglieder, aber sehr wenige Mails eine mail schicken an
creativearts-subscribe@yahoogroups.com
fanal Literaturübersetzer vom Französischen ins Deutsche und zurück – über linguistische, literarische und kulturelle Themen. 83 Mitglieder, viele Mails offen Email an fanal-subscribe@yahoogroups.fr
i-worker Internet-Worker: Schreiber, Grafiker, Programmierer …,
vor allem handwerkliche Fragen
offen ein leeres Email an i-worker-subscribe@domeus.de, homepage: www.i-worker.de
jonet Journalisten: jonet (allgemeine Fachfragen), jodebatte (auch Nichtfachliches), jotech (Technik und Journalismus) und yojo (für junge Journalisten), rund 1.700 Mitglieder zugangsbeschränkt abonnierbar über www.jonet.org
journalisten angestellte und freie JournalistInnen; diverse thematisch und regional aufgefächerte webbasierte Listen offen Direkt schreiben auf www.journalismus.com, sowie Mailingliste „journalisten“ (372 Mitglieder) auf kbx7.de abonnierbar
junge Journalisten – wie’s der Name schon sagt zugangsbeschränkt Kurzbeschreibung plus Arbeitsprobe an webmaster@JungeJournalisten.de
mediacoaching.de Frauen, die eine Existenzgründung im Multimediabereich anstreben oder bereits betreiben, 331 Mitglieder für Frauen, offen Anmeldung über www.mediacoaching.de
mediafon-newsletter Kunst- und Medienfreie, redigiert von Götz Buchholz und Gunter Haake – Beratungs-Newsletter offen, nur der Moderator schreibt Eintragen auf http://www.mediafon.net/newsletter.php3
mopo-freie freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Berliner Morgenpost zugangsbeschränkt Mail an mopo-admin@journalistenverteiler.de
mopo-freie Freie der „Berliner Morgenpost“, die geschasst wurden.
Neue Mitglieder anderer Zeitungen, besonders aus Berlin und Brandenburg, sind herzlich willkommen.
Intern Beim Moderator melden: Martin.Busche@t-online.de oder an mopo-admin@journalistenverteiler.de
newsletter freie Freie Journalisten vom DJV – Newsletter offen, nur der Moderator schreibt Eintragen auf www.djv.de/freie
sz-freie freie Mitarbeiter der „Süddeutschen Zeitung“ zugangsbeschränkt sz-admin@journalistenverteiler.de
t-allgem technische Redakteure offen, unmoderiert Mail senden an listserv@twh.nbg.de mit dem Inhalt SUBSCRIBE t-allgem
texttreff „Freelancerin? E-Lancerin? Autorin oder Werbetexterin, PR-Schreiberin oder Lektorin – herzlich willkommen beim Texttreff, einem Netzwerk für wortstarke Frauen.“ für Frauen, offen, z.Zt. 151 Mitglieder Anmeldung über www.texttreff.de bzw. per mail an texttreff-subscribe@yahoogroups.de
u-forum,
u-litfor,
u-cat
Übersetzer (u-forum) Literaturübersetzer, hauptsächlich für Recherchefragen (u-litfor) , über maschinelle Übersetzungshilfen (u-cat). Offene Mailinglisten mit häufig hohem Mailaufkommen und vielen Teilnehmern offen, weitere Informationen auf www.techwriter.de Mail senden an listserv@twh.nbg.de mit dem Inhalt SUBSCRIBE u-litfor bzw. u-cat usw.
u-jobs Übersetzer -Jobbörse offen, keine Diskussionsbeiträge, nur Jobangebote Mail senden an listserv@twh.nbg.de mit dem Inhalt SUBSCRIBE u-jobs
Übersetzerforum der IG Medien Literaturübersetzer, in der Tacheles über Verträge und Arbeitsbedingungen geschrieben wird. Eine sehr interne und viel gelobte Mailingliste. intern e-Mail an marion.sattler.charnitzky@t-online.de mit Name, Adresse, e-Mail-Adresse und Mitgliedsnummer (Die österreichischen Kollegen bitte an ueg@literaturhaus.at)
verdi-freie Gewerkschaftliche Themen von Freiberuflern und Selbständigen aus dem Organisationsbereich von ver.di, z.Zt. 180 Mitglieder offen mail an verdi-freie-subscribe@yahoogroups.de, homepage: www.freienseiten.de
verdi_pubs Kommunikation unter freien und angestellten Mitarbeitern von ver.di-Publikationen, ca. 30 Mitglieder zugangsbeschränkt Mail an verdi-pubs-admin@yahoogroups.de mit Erklärung, was man mit ver.di-Publikationen zu tun hat
wdrfree freie Mitarbeiterinnen aller Berufe, die ab und zu oder öfter für den WDR arbeiten   mail an wdrfree-subscribe@yahoogroups.de oder über Webformular auf www.freienseiten.de/wdr
wdrfreie Autoren und Reporter beim WDR    
Zeitungshonorare vom DJV gegründete Liste zum Thema „Arbeitsbedingungen bei Zeitungen“. 79 Mitglieder, wenig Interaktion offen, im Wesentlichen Verteiler für „djv-Newslette Freie“ mail an wdrfreie-owner@yahoogroups.de
Per Mail an Zeitungshonorare-subscribe@yahoogroups.de

 

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