Sender geräumt

Griechenland: Widerstand gegen die Schließung des öffentlich-rechtlichen Senders ERT hält weiter an

Die Waagschale in der Auseinandersetzung um die Schließung der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt Griechenlands ERT scheint sich unwiderruflich auf die Seite der Regierung geneigt zu haben. Denn mit der Räumung des von den geschassten ERT-Angestellten besetzten Sendegebäudes in Athen am 7. November wurde den Widerständigen eine wichtige Bastion genommen. Hier hatten die ehemaligen Angestellten der am 11. Juni im Handstreich von der Regierung geschlossenen ERT in Eigenregie über Internet volle fünf Monate lang ein vollwertiges Unterhaltungs- und Informationsprogramm gesendet. Rund um die Uhr und ohne Werbepausen.

Giorgos Gioukakis: „Der Kampf geht weiter. Und juristisch haben wir gute Chancen zu gewinnen.“ Foto: Heike Schrader
Giorgos Gioukakis:
„Der Kampf geht weiter.
Und juristisch haben wir gute
Chancen zu gewinnen.“
Foto: Heike Schrader

„Sie mögen uns den Sender in Athen genommen, sie mögen diese sogenannte Sendeanstalt ,Griechisches Öffentliches Fernsehen‘ in Betrieb genommen haben oder dabei sein, die NERIT aufzubauen. Aber die griechische Gesellschaft kennt und schätzt den Kampf der Angestellten der ERT. Und der geht weiter.“ Die Worte von Giorgos Gioukakis, dem Vizevorsitzenden der Athener Journalistengewerkschaft ESIEA klingen alles andere als entmutigt. Mit der Besetzung der Sender nicht nur in Athen, sondern auch vielerorts in der Provinz hatten sich ein großer Teil der etwa 2.650 Menschen zur Wehr gesetzt, die im Juni über Nacht ihren Broterwerb verloren hatten. Die geschassten ERTianer konnten sich bei ihrer Forderung nach einer Rücknahme der Schließung des Senders auf eine große Unterstützung im In- und Ausland stützen. Über Wochen hinweg strömten täglich tausende von Menschen vor den Sender in Athen, sogar ein Generalstreik wurde ausgerufen. Aus dem Ausland kamen zahlreiche Solidaritätsadressen, die Europäische Rundfunkunion (EBU) übernahm die technische Organisation der Internetübertragung. Ein Gerichtsurteil wies den griechischen Staat an, seinem Informationsauftrag durch Betreiben einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt nachzukommen.

Piratensender

Als daraufhin im Juli das „Griechische Öffentliche Fernsehen, DT“ anfangs rein mit der Ausstrahlung von „Konserven“ – also alter Filme aus Archivbesitz – in Betrieb genommen wurde, stellte die EBU jedoch ihre technische Unterstützung für die weiterhin sendenden ERTianer ein. Damit sei die alte ERT zu einem Piratensender geworden, erklärte Michelle Roverelli, Kommunikationsleiterin beim EBU auf Nachfrage der M. Als Übergangssendeanstalt käme eine Mitgliedschaft der DT in der EBU jedoch nicht in Frage. Bei der EBU wartet man vielmehr auf die Einrichtung der von Griechenland geplanten neuen öffentlich rechtlichen Sendeanstalt NERIT.
„In der Theorie wird dies eine ausgezeichnete Sendeanstalt, im Gesetz ist von unabhängiger, objektiver, pluralistischer Information und dergleichen die Rede“, meint Gioukakis, der 26 Jahre als Radiomoderator für die ERT tätig gewesen ist. Doch wenn man sich die Strukturen anschaue, werde deutlich, dass NERIT als eng an der Kandare geführter Propagandasender der Regierung angelegt sei. So wird das auf neun Jahre verpflichtete Leitungsgremium des Senders von der Regierung bestimmt. Journalisten und Künstler sollen nicht unbefristet, sondern nur mit jeweils erneuerbaren Zeitverträgen eingestellt werden, was die Betroffenen ungeheuer erpressbar macht. Unbefristete Stellen wird es nur für die Spitzen wie Programmdirektoren geben. In der im Vergleich zur ERT sehr viel kleineren NERIT soll es keine regionalen Radiosender mehr geben. Denn wenn wie auf Kreta ein Sender mit nur zwei Journalisten und zwei Technikern vorgesehen ist, kann man nicht von Radio sprechen, sagt Gioukakis. „Griechenland ist ein Land mit geologischen Besonderheiten, vielen Inseln, abgeschlossenen Bergregionen. Wenn zum Beispiel die Schiffsverbindung zwischen Rhodos und Symis eingestellt wird, dann ist das kein Thema in den landesweiten Medien, aber extrem wichtig für die regionale Gesellschaft. Und die braucht das lokale Radio als Sprachrohr für die gesellschaftliche Diskussion.“

Prozessflut

Den härtesten Schlag empfingen die Widerstand leistenden ERTianer jedoch aus den eigenen Reihen. Von den derzeit etwa 540 beim Übergangssender DT auf der Basis von Zweimonatsverträgen Beschäftigten sind etwa 450 ehemalige Kollegen aus der ERT, weitere 1.000 haben sich darüber hinaus dort beworben. „Damit wurde der Widerstand gespalten, das hat allen geschadet. Wären nur einige wenige ,übergelaufen‘, hätten wir zusammengehalten, wäre der Kampf um die Wiedereinstellung aller vielleicht bereits gewonnen worden“, ist Gioukakis überzeugt.
Verloren ist er dennoch nicht. Zwar geht der Sender in Athen nun in die Hände von DT, die ERTianer aber senden nach wie vor aus Thessaloniki und einer ganzen Reihe von Sendergebäuden in der Provinz. Darüber hinaus stehen ab Dezember 170 Prozesse von insgesamt etwa 2300 der entlassenen ERT Angestellten an, die auf ihre Wiedereinstellung geklagt haben. Bei einem ersten Gerichtstermin Mitte November in Iraklio stand dabei fast die gesamte Gesellschaft der Insel Kreta an der Seite der Kläger. Von der Provinzregierung über die Gemeinde Iraklio, dem örtlichen Gewerkschaftszentrum, der regionalen Anwaltskammer bis zur Universität und dem Fußballverband der Insel werden Kreter als Zeugen für die Sache der ERTianer auftreten.
„Und juristisch haben wir gute Chancen zu gewinnen“, ist Gewerkschafter Gioukakis zuversichtlich. Ziel der Verfahren ist es, dass alle Entlassenen per Gerichtsurteil beim kommenden öffentlich rechtlichen Sender wieder eingestellt werden, „wie immer der dann auch heißen mag“. Die sicherlich nötigen Reformen für eine echte öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehanstalt will man dann „bei laufendem Betrieb“ angehen.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Free Speech statt Fakten bei Meta

Pünktlich zur Bundestagswahl will der Meta-Konzern mit einem „Elections Operations Center“ Desinformationskampagnen auf seinen Plattformen entgegentreten. Gleichzeitig schafft er in den USA das journalistische Fact Checking ab. Ersetzt werden soll es durch eine Selbstkommentierung der Community („Community Notes“). Was ist für die politische Meinungsbildung auf den Plattformen zu erwarten?
mehr »

Faktenchecks und Alternativen

Hat Mark Zuckerberg, der Chef des Meta-Konzerns, einen Tabubruch begangen? Anfang Januar verkündet er das Ende der Faktenchecks in den USA für Facebook und Instagram. Beide Social-Media-Plattformen gehören zu Meta. Es stellt sich die Frage, ob nun auch das Ende der Faktenchecks in Europa und damit in Deutschland droht. Die Gesetzeslage liefert hier keine Eindeutigkeiten. Aber was könnte Facebook in diesem Zusammenhang von Wikipedia lernen?
mehr »

Pressefreiheit EU: 1548 Angriffe in 2024

Die Medien- und Pressefreiheit steht weltweit unter Druck – auch in Europa. Laut eines aktuellen Berichts des EU-Projekts Media Freedom Rapid Response (MFRR) wurden im Jahr 2024 1.548 Angriffe auf insgesamt 2.567 Medienschaffende in 35 europäischen Ländern dokumentiert. Das heißt: Auch in Europa ist es längst keine Selbstverständlichkeit mehr, dass Journalist*innen frei und unabhängig berichten können. Das gilt nicht nur für autokratische Staaten, sondern auch für Deutschlands demokratische Nachbarn.
mehr »

RSF: Mehr Schutz für Medienschaffende

Statt Anspruch auf Schutz und Schutzstatus von Menschen weiter aufzuweichen, fordert Reporter ohne Grenzen die Bundesregierung auf, unter anderem die Unterstützung von Medienschaffenden weiter auszubauen. Mit Blick auf das vergangene Jahr meldet die Organisation mehr als 700 Medienschaffende, denen sie dabei geholfen hat, sich nach Todesdrohungen, Vergeltungsmaßnahmen und vor willkürlichen Inhaftierungen in Sicherheit zu bringen. 70 Prozent der finanziellen Hilfe gingen dabei an Journalist*innen und Reporter*innen, die sich vorübergehend oder vollständig ins Exil begeben mussten.
mehr »