Ausgeclippt

Das Ende von Infopaq – einst Marktführer unter den Medienauswertern

Das Ende von Infopaq kam still und leise. Es war kein Horrorszenario von Globalisierungskritikern. Sondern ein Lehrstück, wie ein Unternehmen, das sich einen exzellenten Ruf erarbeitet hat, systematisch an die Wand gefahren wurde.

Betriebsversammlung am Firmensitz in Kornwestheim bei Stuttgart. Das Unternehmen ist insolvent, die 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Restbelegschaft sind gekündigt, ebenso der Mietvertrag für die Räume, selbst das Mobiliar kann der Vermieter pfänden. Die Kunden wurden bereits an die Konkurrenz „verkauft“. Den Betrieb weiterzuführen ist auch deshalb ausgeschlossen. Ein Sozialplan wird vorgestellt. Viel zu holen gibt es nicht. Das Tafelsilber ist längst verhökert. Infopaq heißt diese Firma mit ihrem sechsten und letzten Namen. Noch vor drei Jahren war sie Marktführer in der Branche der Medienauswerter.
Presseauswerter, Medienbeobachter, Medienmonitoring – das sind verschiedene Bezeichnungen für dieselbe Art von Dienstleistern wie Infopaq, deren Aufgabe die Beobachtung und Auswertung aller Medien – Presse, Radio, Fernsehen, Online – im Auftrag von Kunden ist. Zur Klientel von Infopaq gehörten große Namen: Bosch, Nestlé und Porsche, Edel-NGO’s wie Greenpeace, aber auch Rundfunkanstalten. Sie alle wollten wissen, wie ihre Produkte vom Sportwagen bis zur Fernsehsendung „ankommen“, wie sich ihr Image in der Öffentlichkeit entwickelt. Das Brot-und-Butter-Geschäft war der klassische Pressespiegel – sogenannte „Clippings“: ausgeschnittene Artikel aus Originalzeitungen. Eigentlich eine sichere Bank für Infopaq.
In Berlin als „Argus Nachrichten-Büro“ 1887 gegründet, kam 1953 dann ein neuer Name, „Argus Pressebüro und Verlag GmbH“, und ein neuer Firmensitz in Stuttgart. Eigentümer war die Familie von Beust, Verwandte des ehemaligen Hamburger Bürgermeisters Ole von Beust. Sie trennte sich endgültig 2003 von Argus: als „Observer Argus Media“ wurde der Presseauswerter eine Tochterfirma der schwedischen Observer-Gruppe. Noch 2009 war das Unternehmen, das nun Cision hieß, Weltmarktführer unter den klassischen Ausschnittfirmen. Längst hatte man auch weitere Geschäftsfelder aufgetan: 1998 war der Radio- und Fernsehauswerter Media Control in Baden-Baden übernommen worden, es gab den Argus Analyse Service, und auch in der Welt des Web 2.0 fühlte man sich gut aufgestellt bei Argus in Kornwestheim, wo die Firma nun ihren Sitz hatte.
Als die Schweden 2010 an die dänische Infopaq A/B verkauften, gab es zur erneuten Umbenennung (Infopaq Deutschland GmbH) noch vollmundige Versprechungen vom neuen Eigentümer für die damals noch 250 Beschäftigten. Doch bald zeigte sich: Die dänischen Herren entsprachen so ganz und gar nicht dem Bild vom solide wirtschaftenden Nordeuropäer, einem Mythos, der nicht nur von Leuten wie Thilo Sarrazin gepflegt wird. Auch der bei den Skandinaviern vermutete „Sozialkapitalismus“ war noch nicht mal in Spurenelementen vorhanden. Bald verlegten sie die Radio- und TV-Auswertung von Baden-Baden nach Frankfurt/Oder, wo niedrigere Löhne und wohl auch Fördergelder lockten.
Dann wurde das Kerngeschäft, der Ausschnitt-Dienst, „globalisiert“: Ein Kurier flog mit Koffern voller Zeitungen von Stuttgart nach Tallinn (Estland); dort wurden die Blätter gescannt, danach die Scans per Leitung nach Vietnam geschickt. Im Fernen Osten wurden die Datenträger maschinengerecht segmentiert, dann von Suchmaschinen ausgewertet. Deren Ergebnisse wanderten nach Kornwestheim, wo nur noch die – allerdings bitter nötige – Qualitätskontrolle stattfand. Nach diesen Vorgaben wurden dann in Estland die Originalzeitungen ausgeschnitten; Handarbeit für die Hilfsvölker der EU. Die Kunden mussten oft einen Monat auf ihre Presseauszüge warten. Dieser „Workflow“ erinnert eher an erfundene Horrorszenarien extremer Globalisierungskritiker als an Strategien kühl kalkulierender Kaufleute. Presseartikel, also sprachgebundene Erzeugnisse geistiger Arbeit, wurden hier wie T-Shirts behandelt.
Es kam, wie es kommen musste: Die Kunden wanderten scharenweise zur Konkurrenz ab, erneute Entlassungen, die Talfahrt beschleunigte sich noch. Zwar versuchte man auch neue digitale Produkte zu entwickeln, die konnten die Verluste im Kerngeschäft aber bei Weitem nicht wettmachen. Der Betriebsrat war am Rand der Verzweiflung. Nach einem Jahr Infopaq schrieb er der Belegschaft: „Es bleibt die Hoffnung, dass nach über einem Jahr brutalem wirtschaftlichem Druck, nach großer Unsicherheit, nach fragwürdiger Verteilung unserer Arbeit über die halbe Welt, nach Unterordnung von Erfahrung und Wissen unter Blaupausen und Strategien irgendwann die Menschen wieder an Boden gewinnen.“
Im Spätherbst 2013 dann die Insolvenz. Den verbliebenen Mitarbeitern wurde gekündigt, das Septembergehalt blieb bereits aus. Die meisten wehrten sich vor dem Arbeitsgericht. Zu den Verhandlungen erschienen weder die dänischen Arbeitgeber, noch schickten sie Anwälte. Der Betriebsratsvorsitzende ist heute überzeugt: „Es handelte sich um die planmäßige Ausschlachtung und die anschließende Versenkung eines Unternehmens.“

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Fakten for Future

Menschen jeden Alters machen sich Sorgen um die Zukunft unseres Planeten. Carla Reemtsma ist Klimaschutzaktivistin und Mitorganisatorin des Schulstreiks Fridays for Future („Klimastreik“) in Deutschland. Als Sprecherin vertritt sie die Bewegung auch in der medialen Öffentlichkeit. Wir sprachen mit ihr über Kommunikationsstrategien, Aktivismus und guten Journalismus.
mehr »

Mit Recht und Technik gegen Fake News

Als „vielleicht größte Gefahr“ in der digitalen Welt sieht die Landesanstalt für Medien NRW (LFM) die Verbreitung von Desinformationen. Insbesondere gilt das für die Demokratische Willensbildung. Daher wird die Aufsichtsbehörde ihren Scherpunkt im kommenden Jahr genau auf dieses Thema richten. Aber wie kann man der Flut an Fake News und Deep Fakes Herr werden?
mehr »

Süddeutsche ohne Süddeutschland?

Die Süddeutsche Zeitung (SZ) will sich aus der Regionalberichterstattung in den Landkreisen rund um München weitgehend zurückziehen. Am Mittwoch teilte die Chefredaktion der SZ zusammen mit der Ressortleitung den rund 60 Beschäftigten in einer außerordentlichen Konferenz mit, dass die Außenbüros in den Landkreisen aufgegeben werden und die Berichterstattung stark zurückgefahren wird. Dagegen wehrt sich die Gewerkschaft ver.di.
mehr »

Games: Welcome to Planet B

Die Bürgermeisterin muss sich entscheiden: Soll zuerst ein Frühwarnsystem vor Springfluten eingerichtet oder neue Möglichkeiten zum Schutz vor Hitze geplant werden? Und sollen diese neuen Schutzmaßnahmen besonders günstig oder lieber besonders nachhaltig sein? Was wie Realpolitik klingt ist ein Computerspiel. Denn immer mehr Games setzten sich auch mit Umweltthemen auseinander.
mehr »