Untertitelung, Audiodeskription, Gebärdensprache – das sind die so genannten barrierefreien Angebote, die gehörlosen oder extrem schwerhörige Fernsehzuschauer*innen gemacht werden. Die ARD sendet fast alle neu produzierten Folgen ihrer Krimireihen „Tatort“ und „Polizeiruf 110“ auch mit Gebärdensprache. Beide Reihen seien „die ersten und aktuell die einzigen regelmäßigen fiktionalen Angebote mit Gebärdensprache in der deutschen Fernsehlandschaft“, erklärte die ARD.
Ab Herbst 2024 sollen alle von den Landesrundfunkanstalten neu produzierten Folgen von „Tatort“ und „Polizeiruf 110“ mit Gebärdensprache bereitgestellt werden. Dann werde auch der Bayerische Rundfunk (BR) seine Produktionen mit Gebärdensprachübersetzung anbieten, so die ARD.
Barrierefreiheit im Fernsehen
Der Ausbau von Sendungen in der Deutschen Gebärdensprache (DGS) ist Teil eines Maßnahmenkatalogs, den die ARD Ende November 2023 verabschiedet hat, um insgesamt mehr barrierefreie Angebote in ihren Gemeinschaftsangeboten anzubieten. Bis 2025 stellt der Senderverbund dafür 3,4 Mio Euro bereit. Die Vorreiterrolle beim Gebärdensprach-Projekt für fiktionale Formate übernahm der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR). In der ARD hat der MDR die Federführung für Sendungen mit Gebärdensprache. Bereits 2021 produzierte der MDR die Jubiläumsfolge zum damaligen 50-jährigen „Polizeiruf“-Bestehen testweise auch in DGS. Seit März 2023 gibt es die „Tatort“- und „Polizeiruf“-Folgen des MDR stets mit Gebärdensprache.
Gebärdensprache im Bild
In Deutschland sprechen rund 250.000 Menschen die Deutsche Gebärdensprache, darunter etwa 80.000 Gehörlose. Auch schwerhörige Menschen sowie Personen mit Hörbehinderung kommunizieren in DGS. Audiovisuelle Medieninhalte können gerade Gehörlose am besten verfolgen, wenn sie mit Gebärdensprache nutzbar sind. In solchen Sendungen sind dann Gebärdensprachdolmetscher rechts im Bild in einem Ausschnitt zu sehen.
Rechtlich sind öffentlich-rechtliche wie private Medienanbieter inzwischen dazu verpflichtet, barrierefreie Angebote auszuweiten. Seit Ende Juni 2022 ist dies im Medienstaatsvertrag verankert. Damit setzten die zuständigen Bundesländer entsprechende EU-Vorgaben um. Zur Barrierefreiheit im Medienbereich gehören neben Gebärdensprach-Fassungen auch Angebote mit Untertiteln, mit akustischer Bildbeschreibung (Audiodeskription) und in einfacher Sprache. Hinzu kommen noch Angebote in sogenannter klarer Sprache. Hier gibt es zum Originalton der jeweiligen Sendung eine weitere Tonspur, die Hintergrund- und Nebengeräusche reduziert, um die Sprachverständlichkeit zu verbessern.
Fiktionale Inhalte für alle
Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gibt es einzelne Sendungen mit Gebärdensprache schon seit langer Zeit. Das Spartenprogramm Phoenix, das ARD und ZDF seit 1997 gemeinsam veranstalten, sendet seitdem die 20-Uhr-Ausgabe der „Tagesschau“ und das „Heute-Journal“ mit Gebärdensprache. Die öffentlich-rechtlichen Sender bieten inzwischen eine Reihe von Informations- und Serviceformaten, aber Dokumentationen und Reportagen auch mit Gebärdensprache an, abrufbar über ihre Mediatheken oder die HbbTV-Zusatzfunktion am Fernseher. Beim ZDF ist auch die Satire-Sendung „Heute-Show“ in DGS verfügbar.
Doch fiktionale Inhalte sind bisher bei ARD und ZDF die Ausnahme. Dass nun die ARD mit „Tatort“ und „Polizeiruf 110“ zwei fiktionale Reihen regelmäßig mit Gebärdensprache zeigt, gehe auch auf den Austausch mit gehörlosen Menschen zurück. Von ihnen habe es „mehrfach den Wunsch nach Teilhabe auch bei fiktionalen Formaten“ gegeben, so die ARD. Zudem zeigten Studien, dass Spielfilme zu den beliebtesten TV-Genres gehörloser Menschen zählten.
Die DGS-Fassungen für die Folgen von „Tatort“ und „Polizeiruf 110“ lässt die ARD vom Zentrum für Kultur und visuelle Kommunikation der Gehörlosen (ZfK) in Potsdam erstellen. Hierfür habe das ZfK „die Gebärdensprach-Übersetzung fiktionaler Formate mittels Referenzkleidung“ entwickelt, erklärte die ARD. Das bedeute, dass „die gehörlosen Übersetzungs-Performer ähnlich angezogen sind wie die jeweilige Rolle“. Dadurch können letztlich gehörlose Menschen visuell eindeutig zuordnen, welche Filmfigur gedolmetscht wird. Und dies auch dann, wenn sie im Bild gerade nicht zu sehen ist.
Diese Art der Gebärdensprach-Übersetzung bei „Tatort“ und „Polizeiruf 110“ komme bei den gehörlosen Menschen sehr gut bzw. gut an, so die ARD. Die Zustimmungswerte lägen bei 88 Prozent. Das habe eine nicht-repräsentative Befragung von Gehörlosen ergeben, die der MDR Ende 2023 durchgeführt habe. Für einen Teil der befragten gehörlosen Menschen sei es nicht optimal, wenn bei Dialogszenen mit mehreren Rollen die unterschiedlichen Dolmetscher im schnellen Wechsel eingeblendet würden. Knapp die Hälfte der Befragten könne dem Wechsel aber gut folgen. Insgesamt sieht die ARD in diesen Befragungsergebnissen einen „wichtigen Erfolg für den öffentlich-rechtlichen Mehrwert“.
Eine „Tatort“- oder „Polizeiruf-110“-Folge mit Gebärdensprache anzubieten, kostet laut der ARD einen mittleren vierstelligen Betrag. Bei insgesamt 40 jährlichen Neuproduktionen gehe es um einen sechsstelligen Betrag pro Jahr. Zum Vergleich: Die Produktionskosten für eine „Tatort“- oder eine „Polizeiruf“-Folge beziffert die ARD in ihrem Internet-Angebot durchschnittlich auf rund 1,9 Mio Euro.