Autorisierung und Rechthaben

Reichstagsbrand: Streit um Berichte über Spiegel-Alleintäterthese

Anfang Juni unterlag der Bayerische Rundfunk (BR) in seinem Widerspruch gegen eine Einstweilige Verfügung des Spiegel-Verlags vor dem Hamburger Landgericht. Klaus Wiegrefe, Leiter des Spiegel-Ressorts Zeitgeschichte, hatte vom Sender verlangt, in einem Hörfunk-Manuskript über den Reichstagsbrand einen Satz streichen zu lassen.

Rudolf Augstein hatte 1959 / 1960 eine Serie veröffentlicht, in der der freie Autor Fritz Tobias behauptet hatte, der linksradikale Niederländer Marinus van der Lubbe sei Alleintäter gewesen. Mit der redaktionellen Bearbeitung des Spiegel-Textes war zeitweilig ein freier Journalist namens Paul K. Schmidt befasst, der seit 1940 Pressesprecher des NS-Außenministers v. Ribbentrop gewesen war. In einem BR-Beitrag hatten die Autoren Tobias Hübner und Gerhard Brack Ende Februar die Genese der Alleintäterthese untersucht und nahegelegt, dass der Spiegel letztlich einer Nazi-Legende aufgesessen sei.

Hinweise auf neue Forschung

Dietrich Krause, Leiter der Rechtsabteilung des Spiegel-Verlags, erklärte gegenüber M, die Autoren seien mit Klaus Wiegrefe unfair umgegangen, der sich eine Autorisierung ausbedungen habe. Als Wiegrefe tatsächlich die Autorisierung von zwei Aussagen, darunter eine zur Aufgabenstellung des ehemaligen Spiegel-Mitarbeiters Paul K. Schmidt, verweigert hatte, weil sie ihm nicht präzise genug formuliert gewesen seien, hätten die BR-Autoren auch auf die restlichen beiden Aussagen verzichtet – obwohl Wiegrefe angeboten habe, erneut ins Studio zu gehen und nachzubessern. In der Sendung wiesen die Autoren mit Verweis auf Schmidts Nazi-Vergangenheit darauf hin, dass Wiegrefe einer Ausstrahlung letztlich nicht zugestimmt habe. Krause: „Dieser Satz stellte Wiegrefes Verhalten in falschem Licht dar. Dabei ist es eigentlich ein Gebot der Selbstverständlichkeit, nicht nachzukarten, wenn jemand vom Recht der Autorisierung Gebrauch macht.“ Wiegrefe erklärte gegenüber M: „Ich habe überhaupt keinen Anlass dazu, die NS-Vergangenheit von Schmidt kleinzureden oder unter Tisch zu kehren. Nur hat das nichts mit seiner Tätigkeit beim Bericht über den Reichstagsbrand zu tun. Tobias war einfach über das Ergebnis von Schmidts Arbeit so enttäuscht („sachliche Fehler en masse“), da hat man die Aufgabe einem anderen Kollegen übertragen.“
Mercedes Riederer, Chefredakteurin des BR-Hörfunks, erklärte gegenüber M, dass der BR mit dem Beitrag offensichtlich „eine Empfindlichkeit von Herrn Wiegrefe getroffen“ habe. Riederer steht nach wie vor zu der Sendung: „Wir haben eine zeitgeschichtlich sehr spannende Frage aufgegriffen und in der Sendung auf neuere Forschung hingewiesen, die die bisherige Einzeltäter-These in Frage stellt.“ Was die Entscheidung des LG Hamburg betrifft, will der BR nach Vorliegen der schriftlichen Entscheidungsgründe prüfen, ob er in Berufung gehen wird.

Völlig inakzeptabel

Die juristische Auseinandersetzung lässt sich nur vor dem Hintergrund der anhaltenden Kontroverse um die Alleintäterthese erklären – und mit einem erst nach rund 40 Jahren durch die Recherchen des Publizisten Hersch Fischler ans Licht gekommenen Wissenschaftsskandal. So hatte 1964 die Alleintäterthese wissenschaftliche Rückendeckung durch den renommierten Zeithistoriker Hans Mommsen in den Vierteljahresheften des Instituts für Zeitgeschichte erhalten. Zwei Jahre zuvor aber hatte der Historiker Hans Schneider im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte die Tobias-These untersucht und nachgewiesen, dass die Alleintäterthese wissenschaftlich nicht haltbar war. Doch es war just der damalige Institutsmitarbeiter Mommsen, der sich in einer Aktennotiz gegen die Veröffentlichung des Schneider-Berichts ausgesprochen hatte – unter anderem weil „aus allgemeinpolitischen Gründen eine derartige Publikation unerwünscht zu sein scheint“. Das Institut verbot Schneider daraufhin sein Manuskript anderswo zu veröffentlichen – aus vorgeschobenen Urheberrechtsgründen.
Heute bezeichnet die Institutsleitung das damalige Verhalten unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten als „völlig inakzeptabel“. Gleichwohl, so Michael Kißener, Professor für Zeitgeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, „wird in der Handbuchliteratur einseitig nur die Alleintäterthese vertreten. Das ist wissenschaftlich jedoch keineswegs ausgemacht.“ Den erbitterten Streit um die Brandurheberschaft erklärt Kißener damit, dass „wenn sich ein Historiker einmal festgelegt hat, es um die Berufsehre geht“.

Einige Fakten vermisst

Im Jahr 2000 forderte der Sponsor des Börne-Preises, Michael Gotthelff, den Spiegel auf, seine Reichstagsbrandthese zu überprüfen und darüber zu berichten. Im April 2001 setzte sich Klaus Wiegrefe im Spiegel in dem Artikel „Flammendes Fanal“ mit der Kritik auseinander. Zwar erwähnte er die Rolle von Paul K. Schmidt, nicht aber die späteren Vorgänge im Institut für Zeitgeschichte. Hersch Fischler vermisst zudem, dass „Wiegrefe auch nicht darüber berichtete, dass der Kronzeuge des Spiegels für die Alleintäterschaft van der Lubbes, Dr. Zirpins, die Alleintäterschaft erst nach Ende des Dritten Reiches behauptete – nämlich zu seiner eigenen Entlastung vom Vorwurf der Strafvereitelung zugunsten von NS-Verdächtigen.“ Die Spiegel-Hausmitteilung zitierte Wiegrefe damals mit den Worten: „Einige Einwände, Widersprüche und Ungereimtheiten werden sich – wie bei allen großen Kriminalfällen – nie ausräumen lassen. Aber die These vom Alleintäter van der Lubbe ist und bleibt die plausibelste Erklärung.“

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