Bessere soziale Absicherung

Gesetzesänderung – ein Plus für unstetig Beschäftigte

In letzter Minute haben SPD und CDU Änderungen am SGB III im Bundestag durchgebracht, dass kurzfristig Beschäftigten – u.a. im Rundfunk, Film- und Kulturbereich – die Chance gibt, künftig mit sechs Monaten Beschäftigungszeit in zwei Jahren Ansprüche auf ALG1 zu erlangen. Kulturpolitiker, ver.di und die anderen Berufsverbände sehen es nur als ersten Schritt an. Über Kompromisse und die Zukunft gab Angelika Krüger-Leißner Auskunft, filmpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion und stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses Arbeit und Soziales.

M | Woran hat es gehakt, dass die Neureglung erst so spät kommt?

ANGELIKA KRÜGER-LEISSNER | Wir mussten die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitiker überzeugen, dass dieser Bereich auf Grund der spezifischen Beschäftigungsbedingungen gesondert geregelt werden muss. Erst das Gutachten der Enquetekommission zur Lage der Kultur in Deutschland aus dem Jahre 2005 hat Bewegung in die Diskussion gebracht. Danach wurde ein Jahr mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales über eine Sonderreglung diskutiert. Das Ministerium hatte Klagen befürchtet, wenn Beschäftigte aus anderen Branchen nicht in den Genuss der Regelung kommen.

M | Warum keine Verlängerung der Rahmenfrist auf drei Jahre, wie sie vorher galt?

KRÜGER-LEISSNER | Dieser Vorschlag von Olaf Scholz ist von der CDU/CSU abgelehnt worden. Er hätte mehr gekostet als die jetzige Regelung, hätte aber auch mehr Menschen geholfen. Und er hätte den Vorteil gehabt, dass jetzt eingezogene Gehaltsobergrenzen von jährlich 30.240 Euro und die Beschränkung der Dauer der Beschäftigungsverhältnisse nicht drin wären.

M | Warum mussten sie gemacht werden?

KRÜGER-LEISSNER | Das Gesetz ist mitten in die Finanzkrise gekommen. Vor zwei, drei Jahren hätte die Finanzierbarkeit nicht diese große Rolle gespielt und wir hätten den Kreis der Bezugsberechtigten von ALG 1 ausdehnen können. Wir rechnen mit rund 10.000 Menschen, die jetzt in den Genuss des Gesetzes kommen. Diese Eingrenzung war notwendig, um den ersten Schritt gehen zu können.

M | Vertreter der Beschäftigten hätten sich gewünscht, dass bei der Berechnung der Beschäftigungszeit ein langes Engagement durch zwei kurze hätte ausgeglichen werden können!

KRÜGER-LEISSNER | Die jetzige Regelung ist ein Kompromiss. Die Kulturpolitiker wollten generell drei Monate Beschäftigungszeit. Dann dachten wir, zwei sind das Mindeste, worauf wir uns mit Olaf Scholz und Peer Steinbrück verständigen sollten. Daraus sind diese überwiegend sechs Wochen geworden. Wichtig ist jetzt, dass die Umsetzung durch die Arbeitsagenturen in unserem Sinne erfolgt. Denn die Formulierung widerspricht dem, was wir anstreben: Unbürokratische und transparente Regelungen.

M | Können ab sofort Anträge mit Verträgen aus den vergangenen zwei Jahren gestellt werden?

KRÜGER-LEISSNER | Der Bundesrat hat das Gesetz Anfang Juli vorliegen. Sollte er zustimmen, könnte das Gesetz zum 1. August oder 1. September in Kraft treten.

M | Wie geht es weiter?

KRÜGER-LEISSNER | Wir werden auf Beschluss des Haushaltsausschusses die Umsetzung des Gesetzes durch eine Monotoring-Gruppe begleiten, um für die im Gesetz vorgesehene Evaluierung nach drei Jahren eine gute Übersicht zu haben, wo wir nachbessern müssen. Ich wünsche mir, dass ver.di, ohne deren Anstoß das Gesetz nicht zustande gekommen wäre, diesen Prozess weiter engagiert begleitet. Jedes Jahr sollten wir eine Zwischenbilanz ziehen und uns zusammensetzen.

M | Würden Sie den Beschäftigten raten, weiterhin auf der Führung von Arbeitszeitkonten zu bestehen?

KRÜGER-LEISSNER | Ich würde mir wünschen, dass diese Verträge geschlossen werden. Denn es bleibt die Möglichkeit, nach einem Jahr Beschäftigungszeit regulär ALG 1 zu beziehen. Der Einzelne muss verhandeln und sich entscheiden, welche Regelung für ihn günstig ist.

M | Befürchten die Produzenten Belastungen für die Budgets?

KRÜGER-LEISSNER | Das ist möglich. Aber die Leistung der Filmschaffenden muss angemessen entlohnt werden. Es kann nicht nur darum gehen, Lohnnebenkosten zu senken. Die Arbeit muss so honoriert werden, dass die Menschen davon leben können und zugleich sozial abgesichert sind.

M | Das fordert zu neuen Visionen zur sozialen Absicherung auf?

KRÜGER-LEISSNER | Gott sie Dank haben ein paar Visionäre Ideen, um das Sozialsystem auf die veränderten Arbeitsbedingungen besser auszurichten. Das muss in den kommenden Jahren passieren, weil die Zahl der Menschen in kurzfristigen Beschäftigungsverhältnissen enorm gestiegen ist. 260.000 Menschen, die sich in den ersten fünf Monaten 2009 arbeitslos gemeldet haben, sind gleich in Hartz IV abgerutscht, weil sie keinen Arbeitslosengeldanspruch geltend machen konnten. Darunter sind viele, die typischerweise kurz befristet beschäftigt sind.

M | Im Moment sieht es nach einer neuen Runde der Novellierung des FFG aus. Wie hoch ist die Chance, soziale Standards darin festzuschreiben?

KRÜGER-LEISSNER | Wir sind bei der Novellierung zum 1. Januar 2009 den Schritt gegangen, nicht nur die Interessen der Filmwirtschaft, sondern auch der Beschäftigten in § 1 festzuschreiben. Natürlich werden wir nach Möglichkeiten suchen, die Einhaltung sozialer Standards noch Bindender zu gestalten. Aber wir müssen aufpassen, weil das Gesetz in Brüssel angeschaut wird.

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