Der Zuschauer im Mittelpunkt

ARD-Vorsitzender Dr. Thomas Gruber zur Zukunftsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und zum aktuellen Streit mit Brüssel um die Bewertung von Gebührengeldern.

«M»: Am 1.April trat die Erhöhung der Rundfunkgebühren um 88 Cent auf 17,03 Euro in Kraft. Ist sie ausreichend für Bestand und Weiterentwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland?

THOMAS GRUBER: Wir müssen mit dem Geld auskommen. So ohne weiteres wird das allerdings nicht gelingen. Es wird Einschränkungen durch den Abbau von Leistungen geben. Das ist bereits jetzt spürbar. Dennoch versuchen wir nach Kräften, größere Einschnitte im Programm zu vermeiden. Und weiterentwickeln müssen wir uns auch, vor allem im Bereich der Technik. Denken Sie an all die digitalen Plattformen wie UMTS, DSL und andere. Das sind wir unserem Publikum schlichtweg schuldig.

«M»: Wird die ARD den Gang nach Karlsruhe antreten?

THOMAS GRUBER: Wir wollen diese Frage im Juni in Bremen auf unserer nächsten Sitzung klären. Nach Karlsruhe geht man ja nicht aus Jux und Tollerei. Das Für und Wider eines solchen Schritts muss schon sehr sorgfältig abgewogen werden.

«M»: Einzelne private Konkurrenten wie Premiere-Chef Kofler fordern bereits unverblümt die Abschaffung oder zumindest eine drastische Verringerung der Rundfunkgebühr. Sehen Sie das deutsche System der Gebührenfinanzierung mittelfristig in Gefahr?

THOMAS GRUBER: Herr Kofler fordert viel, wenn der Tag lang ist. Erst sollte die Werbung fallen, jetzt auch noch die Gebühr – besonders originell ist diese Wendung nicht. Wir sollten schon die materiellen Mittel bekommen, um unseren Auftrag erfüllen zu können.

«M»: Sehe Sie Alternativen zum jetzigen System der Rundfunkfinanzierung? Manche halten die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) nach dem Verlauf der letzten Gebührendebatte für beschädigt. Was halten Sie vom gelegentlich vorgeschlagenen Modell einer Gesamtbudgetierung der Anstalten inklusive einer jährlichen Steigerungsrate?

THOMAS GRUBER: Für uns hat nach wie vor das bisherige Verfahren seine Gültigkeit. Es ist allerdings durch eine politisch begründete Einmischung beschädigt worden. Daher stellt sich die Frage, wie es künftig weiter gehen soll und genau darum überlegen wir intensiv, ob wir die Dinge hinnehmen sollen oder ob wir uns wehren müssen.

«M»: Die Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission begreift die deutsche Rundfunkgebühr in ihrem Auskunftsersuchen als „staatliche Beihilfe“ und nicht mit den Regeln des Gemeinsamen Markts vereinbar. Wie begegnen ARD und ZDF diesem Vorwurf?

THOMAS GRUBER: Wir halten diese Einschätzung für falsch. Übrigens gilt das auch für die Länder. Wir sind kein Staatsfunk, uns zeichnet ja gerade die Unabhängigkeit vom Staat aus. Daher ist für uns die Rundfunkgebühr auch keine Beihilfe, sondern ein finanzieller Ausgleich für die Erfüllung unseres gesetzlichen Auftrags. Auf der anderen Seite muss die EU-Kommission wohl so argumentieren, sonst hätte sie ja keine Rechtsgrundlage für ihre Einmischung in die deutsche Rundfunkpolitik. Vermutlich werden wir in dieser Grundsatzfrage Brüssel nicht überzeugen können. Als letzte Lösung behalten wir uns aber vor, diese Frage vor dem Europäischen Gerichtshof klären zu lassen.

«M»: Die EU-Kommission verdächtigt ARD und ZDF beim gemeinsamen exklusiven Rechteerwerb für hochrangige Sportveranstaltungen des unlauteren Wettbewerbs. Was ist da dran?

THOMAS GRUBER: Von unlauterem Wettbewerb kann in diesem Fall keine Rede sein. Wer so argumentiert, will den Sinn des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bei uns überhaupt nicht verstehen. Wir wollen ein von Einzelinteressen unabhängiges, diskriminierungsfreies und solidarisch finanziertes Programm für alle machen. Was für unsere Konkurrenz Unternehmensziel ist – Gewinn oder hohe Renditen – spielt für uns keine Rolle. Im Mittelpunkt unseres Interesses steht der Zuschauer, nicht der Shareholder Value. Dazu gehört aber auch der freie Zugang zu den wichtigen Informationen. Wer diese Informationsquellen zumauern will durch Angebote im Pay-TV, der will uns Wesentliches vorenthalten und riskiert eine Spaltung der Gesellschaft. Das machen wir nicht mit.

«M»: Was halten Sie von der Forderung der EU-Kommission nach einer Begrenzung der Sportrechte/-übertragungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk?

THOMAS GRUBER: Überhaupt nichts. Das wäre nun wirklich ein gravierender Eingriff in unsere Programmautonomie, letztlich auch ein Angriff auf unsere journalistische Unabhängigkeit. Wir beschränken uns doch bereits, schon aus ökonomischen Gründen. Wie sieht’s denn aus bei der Fußball-WM im nächsten Jahr? Wir sind dabei, aber auch das ZDF, RTL und Premiere. Wo wird da etwas monopolisiert oder Rechte vorenthalten? Oder die nächste EM in Österreich und der Schweiz. Wir haben mitgeboten, aber nicht so hoch wie Sport Five. Also hat Sport Five die Rechte bekommen. Champions League? Wir haben sie nicht. Formel Eins? Auch nicht bei uns. Da wird viel behauptet, was nachgewiesenermaßen einfach falsch ist. Andererseits müssen wir allerdings auch Spitzensport haben, nicht zuletzt um Sportarten, die woanders mangels Massenattraktivität überhaupt nicht vorkommen, in’s Programm nehmen zu können.

«M»: Vor den Verhandlungen um den 2006 fälligen neuen Bundesliga-Vertrag hat Premiere gefordert, im Ausgleich für einen höheren Kaufpreis mehr Exklusivrechte zu bekommen. Findet die Bundesliga demnächst im Free TV erst ab 22 Uhr statt?

THOMAS GRUBER: Das ging schon beim letzten Versuch schief, als „ran“ bei Sat.1 auf 20.15 verlegt wurde. Das Publikum hat die Verantwortlichen damals eindrucksvoll abgestraft. Bei der Popularität, die Spitzenfußball in Deutschland hat, kann ich mir schwer vorstellen, dass das funktioniert.

«M»: Im Brüsseler Auskunftsersuchen wird auch Kritik an den Online-Aktivitäten der Öffentlich-Rechtlichen geübt. Der VPRT kommt angeblich auf 4.000 Artikel, die in den Online-Shops bestellt werden können. Betreiben ARD und ZDF also E-Commerce?

THOMAS GRUBER: Den gibt es sicher nicht. Wir verdienen damit doch überhaupt kein Geld. Die Online-Angebote der ARD-Landesrundfunkanstalten, aber auch unser Gemeinschaftsauftritt ard.de sind absolut werbefrei. Was dort angeboten wird, hat Programm begleitenden Charakter. Das sind Merchandising-Artikel oder Materialien zur Sendung, aber kein E-Commerce. Wenn es da Inhalte gab, die aus Sicht anderer nicht in Ordnung waren, haben wir sie beseitigt. Im übrigen sind für die Online-Shops die Werbetöchter unserer Anstalten verantwortlich, deren Aktivitäten – ganz im Sinn der Wettberwerbskommission in Brüssel – ganz deutlich von den journalistischen Angeboten der Rundfunkanstalten getrennt sind.

«M»: Wird es künftig „Tagesschau“-Nachrichten über Mobilfunk, über UMTS geben? Die EU-Kommission scheint die Öffentlich-Rechtlichen von der technischen Entwicklung ausschließen zu wollen…

THOMAS GRUBER: In Brüssel sagt man, diese neuen mobilen Dienste bildeten einen neuen Markt. Das sehen wir anders. Wir halten dies für eine ganz normale Fortentwicklung der Technik. Von der Mittelwelle bis zur UKW, von der terrestrischen zur Satellitenausstrahlung – alles mussten wir uns erkämpfen. Wir sehen diese Dienste als neuen Vertriebsweg an, der uns nicht vorenthalten werden darf. Wer uns von dieser Entwicklungschance abkoppeln will, der nimmt dem gemeinwohlorientierten Rundfunk auch seine Zukunftsfähigkeit.

«M»: Sehen Sie sich in Ihrer Position von der Politik unterstützt?

THOMAS GRUBER: In der Kernfrage, ob die Gebühr eine staatliche Beihilfe ist oder nicht, gibt es keinen Dissens. Wir sind uns einig, dass die Deutschen die Definitionshoheit über ihr nationales Rundfunksystem behalten müssen. Die Qualität unserer Programme und die föderale Vielfalt unserer Rundfunkordnung sind doch in Europa ohne Beispiel. Ein Blick ins Ausland belegt, was wir verlieren könnten, wenn wir unser System in den wesentlichen Elementen in Frage stellen.

«M»: Muss der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – auch dies eine Forderung von EU-Kommission und Privaten – klarer definiert werden?

THOMAS GRUBER: Wir sehen das nicht so. Unser Auftrag ist in Gesetzen und Staatsverträgen hinreichend klar definiert. In unseren Selbstverpflichtungen haben wir Quantität und Qualität unserer Programmangebote weiter präzisiert. Auch hier gilt: Jede Einmischung von außen wäre ein klarer Eingriff in die von der Verfassung begründete Autonomie.

«M»: In den Selbstverpflichtungserklärungen von ARD und ZDF wurden auf Druck der Politik Programmobergrenzen festgelegt sowie Personalabbau von 550 Planstellen akzeptiert. Ist nicht die Autonomie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks längst angeknackst?

THOMAS GRUBER: Das würde ich so nicht sagen. Es gilt zu unterscheiden zwischen Staatsferne und politikfreiem Raum. Wir sind ja nicht politikfrei. Wir sind uns unserer gesellschaftlichen Verantwortung schon sehr bewusst. Wir sollen nicht nur, wir wollen ja mit dem Geld der Gebührenzahler sparsam umgehen. Insofern sind Reformen nichts Außergewöhnliches. Möglicherweise sind wir in dieser Hinsicht weiter, als die Politik es wahrnimmt. Und wir werden von unseren Aufsichtsgremien bei dieser Aufgabe sehr unterstützt. Empfindlich reagieren wir nur, wenn wir den Eindruck haben, dass man uns von interessierter Seite nötigen will.

«M»: Was ist dran an der „Konvergenz der Systeme“, also der vielfach behaupteten schleichenden Annäherung der Programminhalte von Privaten und Öffentlich-Rechtlichen ?

THOMAS GRUBER: Zur Formulierung einer solchen These bedarf es schon aggressiver Ignoranz und Oberflächlichkeit. Wer die Programme verfolgt und vergleicht, der wird die Unterschiede feststellen. Wenn Sie an Werte denken wie Menschenwürde, soziale Verantwortung, Pluralismus, Föderalismus, Kultur, Demokratie – das alles sind Wegmarken, die Sie nur in unserem Programm finden. Die Kommerziellen dagegen gefallen sich dieser Tage vorwiegend im Tabubruch.

«M»: Gibt es nicht die Tendenz, anspruchsvolle Stoffe ins vormitternächtliche Ghetto oder zu 3sat / arte abzuschieben und die Hauptsendezeit vor allem mit Unterhaltung und Sport zu füllen?

THOMAS GRUBER: Man kann Einzelentscheidungen über Sendeplätze diskutieren, aber im Großen und Ganzen stimmt unsere Linie. Programmplanung ist heute was anderes als vor Jahrzehnten, als wir ohne Konkurrenz da standen.

Auf der anderen Seite gibt es viele Stoffe und Inhalte, die vom massenattraktiven Umfeld durchaus profitieren. Unterhaltung und Kultur bilden auch keine Gegensätze. Manche Forderungen kollidieren zum Beispiel mit dem Jugendschutz. Nehmen Sie die aktuellen Filmbeiträge zum Thema „Kriegsende“. Die Bilder über die damalige Barbarei können Sie nicht in der Prime Time senden, daher laufen die entsprechenden Beiträge häufig nach 23 Uhr. Das ist ja nichts Unlauteres. Aber klar ist doch: Unterm Strich gibt es kein System, was auch nur annähernd in seinem Vollprogramm so viele Kultur- und Bildungsanteile aufweist wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk.

«M»: Wie sehen Sie das Wettbewerbsverhältnis zum ZDF? Droht eine Binnenkannibalisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nach dem Muster Schmidt kontra Kerner, „Tagesthemen“ kontra „Heute-Journal“?

THOMAS GRUBER: Das würde niemandem nützen. Das ZDF ist nicht der Feind der ARD. Unsere wirklichen Gegner sitzen woanders. ARD und ZDF sind doch beide Mitglieder der öffentlich-rechtlichen Familie. In der Praxis läuft die Zusammenarbeit sehr gut. Dass der in beiden Häusern ausgeprägte journalistische Ehrgeiz gelegentlich zu Reibereien führt, finde ich nicht wirklich schlimm. Gesundes Konkurrenzdenken schadet nicht der Programmqualität. Entscheidend ist, dass die Gemeinsamkeiten größer sind als die Anlässe, sich zu streiten.

Interview: Günter Herkel

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