Erste Adresse für Information

Foto: NDR/Thorsten Jander

ARD will Berichterstattung flexibler und kontinuierlicher gestalten

Die ARD will ihren Spartenkanal „tagesschau24“ zu einem „echten Nachrichtensender“ umbauen. Mit flexibler Berichterstattung „vor allem in nationalen Breaking News-Lagen“ will der Senderverbund „erste Adresse für die kontinuierliche Versorgung mit Information“ werden. Dies kündigte die ARD nach ihrer Intendant*innenkonferenz am 17. Februar in Berlin an.

In den vergangenen Jahren hatte es immer wieder Kritik an der schwerfälligen Reaktion der öffentlich-rechtlichen Sender bei zugespitzter Nachrichtenlage gegeben – etwa bei der Hochwasserkatastrophe im Sommer 2021 in Deutschland oder beim Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 in Washington. Jüngstes Beispiel: Während der Rede des russischen Präsidenten, in der er die Entsendung von Truppen in die Ostukraine anordnete, strahlte die ARD einen Film über Buckelwale auf Hawaii aus.

Mit dem Umbau von „tagesschau24“ zu einem vollwertigen Nachrichtensender sollen derartige Fehlleistungen künftig vermieden werden. Laut Ankündigung der seit Jahresbeginn amtierenden neuen ARD-Vorsitzenden Patricia Schlesinger werde der Kanal zu einem „Schaufenster der regionalen, nationalen und internationalen Informationskompetenz der ARD“ umformatiert. Kostenneutral dürfte ein solches Projekt nicht zu stemmen sein. Mehr Geld will die ARD dafür allerdings nicht verlangen oder aufwenden, allenfalls Vorhandenes „neu sortieren“ durch das „Bündeln von vorhandenen Ressourcen“ am Standort der Tagesschau in Hamburg und der gesamten ARD. Der Umbau werde sukzessive erfolgen; in einem Jahr sollen die bis dahin erzielten Ergebnisse evaluiert werden.

Eingriff in den Markt kritisiert

Auf die Umsetzung des Projekts darf man gespannt sein, zumal Phoenix weiterhin komplementär als Ereigniskanal für „planbare Aktualität“ – z. B. Bundestagsdebatten und Parteitage sowie Themenschwerpunkte, Dokumentationen und Polittalks – erhalten bleibt. An eine übergreifende Kooperation mit dem ZDF wird nicht gedacht. Derzeit liegt die Reichweite von „tagesschau24“ bei 2,4 Millionen Zuschauern*innen.

Die Reaktion der privaten Konkurrenz auf diese Ankündigung ließ nicht auf sich warten. „Selbst wenn Information zum Kernauftrag gehört und künftig flexibler operiert werden dürfte, handelt es sich bei dem Plan um einen Eingriff in einen Markt, in dem auch andere, private Medienunternehmen aktiv sind“, monierte „in eigener Sache“ das Springer-Blatt „Die Welt“. Der Springer-Konzern betreibt mit dem TV-Sender „Welt“ und „Bild TV“ zwei eigene Info-Kanäle. Daneben gibt es auch noch den News-Sender n-tv, der zur Bertelsmann-Gruppe gehört. Sollte die ARD zu diesen Kanälen in direkte Konkurrenz treten, käme dies einem „Angriff auf das Nebeneinander von beitragsfinanzierten und privaten Sendern gleich“, kritisierte „Welt“-Redakteur Christian Meier.

Diskussion um neuen Medienstaatsvertrag

Zurückhaltender äußerte sich Claus Grewenig, seit Ende Februar Vorstandsvorsitzender des Privatsenderverbands Vaunet. Einerseits sei es „gerade in Zeiten von Desinformation“ gut, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Kernauftrag stärke. Allerdings sei zu prüfen, was eine Flexibilisierung der ARD-Programme „an Gewichtsverschiebungen im dualen Mediensystem mit sich bringen“ könne.

ARD-Vorsitzende Schlesinger – sie ist zugleich Intendantin des Rundfunk Berlin-Brandenburg – gibt sich gelassen. Es gebe keinen Grund für einen „Senderkrieg“, sagte sie im Interview mit dem Berliner „Tagesspiegel“, „wir machen ja keinen neuen Kanal auf, sondern einen schon bestehenden besser“. Zudem sei „tagesschau24“ werbefrei. Vergleiche mit CNN, der BBC und dem arabischen Al-Dschasira hält sie für unpassend. Im Gegensatz zu diesen drei englischsprachigen Sendern sei „tagesschau24“ ein deutsches, auf Deutsch sendendes Medium.

Die Nachrichtenoffensive der ARD erfolgt vor dem Hintergrund der Diskussion um den neuen Medienstaatsvertrag. In diesem Jahr entscheiden die Ministerpräsident*innen über „Auftrag und Strukturoptimierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“. Die öffentliche Konsultationsphase zur Novellierung des entsprechenden Staatsvertrags endete am 14. Januar. Eine Veröffentlichung der eingegangenen Stellungnahmen soll nach Information der Rundfunkkommission demnächst erfolgen.

Kernpunkt der geplanten Reform ist die „Flexibilisierung“ des Auftrags: Künftig werden die Sender nach eigenem Ermessen entscheiden, welche Programme sie – mit Ausnahme des Ersten, des ZDF, der Dritten, ARTE und 3sat – komplett in den Online-Bereich verlagern oder auch ganz einstellen.

Nach den Plänen der Rundfunkkommission soll der Staatsvertrag zum 1. Januar 2023 in Kraft treten. Voraussetzung ist ein Beschluss der Ministerpräsident*innen und die Ratifizierung durch die 16 Landtage bis Ende 2022. Auf diese erste Phase der Auftrags- und Strukturreform soll eine zweite folgen, in der es um die Finanzierung und die „Sicherung von größtmöglicher Beitragsstabilität und Beitragsakzeptanz“ gehen soll. Klappt alles wie geplant, wird diese Phase bis zum Beginn der nächsten Rundfunkbeitragsperiode im Januar 2025 abgeschlossen sein.

 

 

 

 

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Digitalabgabe könnte Schieflage ausgleichen

Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) begrüßt die vom Staatsminister Wolfram Weimer geäußerten Pläne für eine Digitalabgabe, die Big-Tech-Unternehmen mit digitalen Plattformdiensten in Deutschland zu entrichten hätten. Wie unter anderem der Spiegel berichtet, überlegt die Bundesregierung, eine Digitalabgabe einzuführen. Diese könnte Unternehmen wie Google und Meta dazu verpflichten, einen festen Prozentsatz ihrer Werbeeinnahmen abzuführen.
mehr »

Gleichstellungsbeauftragte im ÖRR stärken

Das Bekenntnis zur Gleichstellung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zeigt sich unter anderem im Vorhandensein von Gleichstellungsbeauftragten. Grundlage ist die jeweils entsprechende gesetzliche Regelung der Bundesländer, in denen die Sender angesiedelt sind. Gleichstellungsbeauftragte sollen nach dem Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG), die Beschäftigten vor Benachteiligungen aufgrund ihres Geschlechtes zu schützen und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz durchzusetzen.
mehr »

Die ganz große Verweigerung

Der  öffentlich-rechtliche Rundfunk war schon immer Hassobjekt der Rechten. Auf politischer Ebene wollen sie ihn abschaffen, am Stammtisch wird gegen ARD und ZDF gehetzt. In Sozialen Medien oder in Chatgruppen geht es richtig zur Sache. Dort treffen sich sogenannte Rundfunkverweigerer. Ralf Hohlfeld und Vivian Stamer beschäftigen sich an der Uni Passau mit den Bereichen Journalistik und Strategische Kommunikation. Für ihre Studie haben sich die beiden auf die Suche nach sogenannten Rundfunkverweigerern gemacht.
mehr »

Eine Medienplattform für Europa

Für ARD und ZDF war es eine richtungsweisende Entscheidung, als sie vor einem Jahr mitteilten, ihre Mediathek-Software gemeinsam entwickeln zu wollen. Mit im Boot ist inzwischen auch das Deutschlandradio. Unter dem Projektnamen „Streaming OS“ laufen die Arbeiten. OS steht für „Operating System“, aber auch für „Open Source“. Die öffentlich-rechtlichen Sender wollen wichtige technische Bausteine für ihre Streaming-Aktivitäten auch anderen Anbietern und Organisationen frei zugänglich machen. Eine europäische Ausrichtung haben sie ebenso im Blick.
mehr »