Gruppenbild, schwarzgraubraun

Verfassungsschutz und Rechtsaußen-Publizistik

Über mindestens zwei Jahrzehnte hinweg registrierten Verfassungsschützer in Bund und Ländern nur einen Ausschnitt des rechtsextremen Spektrums. Der amtlich anerkannte Rechtsextremismus bestand vor allem aus Neonazis und Skinheads, aus NPD und Deutscher Volksunion (DVU). Dass Demokratiegefährdendes nicht nur in Springerstiefeln und mit verklärtem Blick auf Hitler und Himmler daherkommt, blieb außerhalb des Blickwinkels der Behörden.

Wenn Teile der wissenschaftlichen und politischen Eliten in die unauffälligen Zirkel der Neuen Rechten gerieten, war das für die Behörden kein Thema. Rechtsextremismus an Universitäten und die Neue Rechte, jene akademisch-intellektuelle Variante rechten demokratiefeindlichen Denkens, fand in den Berichten der Behörden nicht statt.

Jüngst ist das in Bayern anders geworden. Innenminister Günter Beckstein hat jetzt „Anlass zur Sorge“. Rechtsextremisten versuchten laut Beckstein in letzter Zeit verstärkt, in akademischen Burschenschaften und über Studentenverbindungen auch an den Hochschulen Einfluss zu gewinnen. Und er macht deutlich: „Rechtsextremistische Intellektuelle, die sich bemühen, antidemokratisches Gedankengut zu modernisieren, sind für die freiheitliche Demokratie ebenso gefährlich wie rechtsextremistische Kräfte alter Prägung“ („Die Welt“, 22.6.2001).

Andernorts hatte man das schon früher gemerkt. Der Hamburger Verfassungsschutzbericht vom April 1994 hatte sich in einem Kapitel mit der „Ideologie und Erscheinungsformen der âNeuen Rechten“ befasst und auf Gemeinsamkeiten in diesem uneinheitlichen Netzwerk hingewiesen. Gemeinsam ist den Gruppen und Grüppchen, den Zeitschriften und Zeitungen der Neuen Rechten die Verwurzelung in der Tradition jener Zirkel um Intellektuelle wie Carl Schmitt, Arthur Möller, van den Bruck, dem Verfasser des Buches „Das dritte Reich“, und Edgar Julius Jung, „die das rechte, antidemokratische Denken in der Weimarer Republik geprägt und zu ihrem Untergang beigetragen haben“.

Organ der „Neuen Rechten“

Ein Absatz ist auch der Zeitung „Junge Freiheit“ gewidmet. Ein Jahr später wird das Blatt als das „gegenwärtig bedeutendste Forum neurechter Theorie“ angesehen. Der Berliner Verfassungsschutz schrieb in einer Studie von 1994: „Die âNeue Rechte“ – vertreten beispielsweise durch die âJunge Freiheit“ – ist eine intellektuelle Bewegung“. Damit erhalte der Rechtsradikalismus in Deutschland eine neue Qualität.“

Was ist das überhaupt für eine Zeitung, diese „Junge Freiheit“? Im Mai 1986 erschien die erste Ausgabe in Stegen bei Freiburg. Das mickrige Heftchen mit 8 Seiten im DIN-A-5-Format hatte eine Auflage von 400 Stück und erschien alle zwei Monate. Zehn Jahre später soll die verkaufte Auflage bei 28000, die gedruckte bei 70000 gelegen haben. 1994 wechselte die JF zum wöchentlichen Erscheinen. Seit November 1996 hat sie eine Homepage. Die Auflage liegt laut Verfassungsschutzbericht aus NRW 2000 bei ca. 10000.

Kein Neonazi-Blatt

Ein Neonaziblatt ist die JF ganz bestimmt nicht. Der Zeitung ist es gelungen, die Bannmeile des rechtsextremen Spektrums zu durchbrechen. Damit hat sie auch Vorbildcharakter für andere Postillen der Szene.

Bei der Gründung des Blättchens waren noch vier von fünf Redaktionsmitgliedern bei der „Freiheitlichen Volkspartei“ (FVP) des CSU-Abtrünnigen Franz Handlos. Später setzte die Zeitung eher auf die Republikaner, ohne allerdings den Schönhuber-Kult mitzumachen. Statt markiger Sprüche einer bierdimpfelnden Altherrenriege forderten Autoren eine Intellektualisierung der Partei und mokierten sich über die Ausfälle einfältiger Rep-Funktionäre. Zur Redaktion gehörten aber auch zeitweilig der spätere Holocaust-Leugner Germar Rudolf (verh. Scheerer), Michael Krämer, der zwei Jahre vor seiner JF-Zeit (1988) noch „im Namen meines Führers Michael Kühnen“ zu einer Befreiung des deutschen Reiches und einer Wiedererweckung des germanischen Blutes aufgerufen hatte, oder Frank Butschbacher von der Münchner Burschenschaft Danubia. Die inserierte früher auch in der JF mit dem bezeichnenden Slogan „Wir haben schon manchem auf den rechten Weg geholfen. In Studium und Politik.“

Als Einstiegsdroge für rechte Systemveränderer hat die JF die Werke von Carl Schmitt gepriesen. „Wer mit dem Grundgesetz unter dem Kopfkissen schläft, braucht Carl Schmitt nicht. Wer jedoch erkannt hat, dass die Verfassung das Gefängnis ist, in der die res publica der Deutschen – gerade nach der kleinen Wiedervereinigung – gefangengehalten wird, greift gerade jetzt zu seinen Werken.“

An der Palette der Interviewpartner kann man sehen, worum es offenbar noch geht: Eine Klammer zwischen gemäßigten und extremen Rechten zu bilden und die Rolle einer Transferinstanz zwischen etablierter Politik und ultrarechtem Spektrum zu übernehmen. Die JF druckte in ihren Anfangsjahren Gespräche mit den früheren NPD-Chefs Adolf von Thadden und Martin Mussgnug, mit Franz Schönhuber oder Leni Riefenstahl. Jörg Haider zählte über die Jahre hinweg immer wieder zu den Gesprächspartnern.

Ins Visier des Verfassungsschutzes ist die „Junge Freiheit“ vor allem in Nordrhein-Westfalen gekommen. Nach dem Erscheinen des Verfassungsschutzberichtes 1995 Ende Mai 1996 distanzierte sich die JF in der Ausgabe 25/1996 von ihren Leserkreisen. Das führte bei etlichen Lesern zu Enttäuschung. Einige Rechtsextremisten fühlten sich in ihrer Einschätzung bestätigt, die „Junge Freiheit“ habe sich zur „jungen Feigheit“ entwickelt. Noch im April 96 hatte Chefredakteur Dieter Stein an einer Leserkreis-Veranstaltung mitgewirkt.

Der Verfassungsschutz in Düsseldorf war zu dem Ergebnis gekommen, dass die JF „konstant und auffällig“ von Beiträgen durchsetzt sei, in denen Ausländern elementare Freiheits- und Gleichheitsrechte abgesprochen oder die parlamentarische Demokratie abgelehnt werde. Gegen den NRW-Verfassungsschutz hatte die JF am 16. August 1996 beim Verwaltungsgericht Düsseldorf Klage erhoben.

Verwunderlich ist allerdings, von wem das Blatt Schützenhilfe bekam. Eine eigenartige Helfertruppe ist der Zeitung laut „Frankfurter Rundschau“ beigesprungen, nämlich der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), der Deutsche Journalistenverband und ausgerechnet die IG Medien, die schon den Verfassungsschutz in Redaktionen wildern sah.

Das „heute journal“ im ZDF hatte damals sogar vom auf „den Index setzen“ und von Verbot gesprochen. Auf welchen Index sollte die „Junge Freiheit“ gesetzt worden sein? Und verboten ist die JF mitnichten. Die Redaktion wird auch nicht „ausgespäht“, sondern die Zeitung wird ausgewertet. (Die Leserkreise der JF sind in der Tat vom Verfassungsschutz beobachtet worden. Denn nur weil der Name harmlos klang, hieß das noch lange nicht, dass man sich dort nur zur gemeinsamen Lektüre der JF zusammenfand.)

Merkwürdige Aufregung

Merkwürdig war die Aufregung von Verbänden und Gewerkschaft auch deshalb, weil die rechtsextreme „Deutsche National-Zeitung“, die „Deutsche Stimme“ der NPD oder der „NS-Kampfruf“ seit Jahren beobachtet werden. Sollen Rechtsextreme nicht beobachtet werden dürfen, wenn sie sich Redakteur oder Publizist nennen? Der „freischaffende Journalist und Publizist“, der JF-Autor Dr. Claus Nordbruch, gab dem inzwischen verbotenen Skinhead-Netzwerk „Blood and Honour“ für die letzte Septemberausgabe des Magazins ein Interview. Darin lädt der Ex-Bundeswehrleutnant die „Kameraden“ auf seine Farm in Südafrika ein und gibt ihnen Nachhilfe in Waffenkunde: „Zur Verteidigung und zum Nahkampf empfehle ich eine 12er Repetierschrotflinte…“. Sollte er auf seinen Deutschland-Tourneen nicht von den Behörden beobachtet werden, weil er sich Journalist nennt? Er beklagt laufend die angeblich mangelnde Meinungsfreiheit in Deutschland. Seine Bücher werden übrigens auch im JF-Buchdienst angeboten. Oder dürften etwa die „Staatsbriefe“ nicht beobachtet werden, ein Blatt aus München, das die Brandnächte von Rostock 1992 als „Revolutionsetüde“ begrüßte? Dessen Chefredakteur ist übrigens wirklich Journalist. Er lernte sein Handwerk bei der Tageszeitung „Die Welt“. Ein Großteil der rechtsextremen Führungsfiguren sind als Autoren tätig, sie sind zugleich Blatt-Macher oder Redakteure brauner Postillen. Sie können sich Journalisten nennen, wer wollte es ihnen verwehren?

Im erstinstanzlichen Urteil hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf die Beobachtung der JF für rechtmäßig erachtet und festgestellt, dass sie nicht gegen das Grundrecht der Pressefreiheit verstoße (Az 1 K 9318/96). Eine Berufung hat das Oberverwaltungsgericht Müns- ter mit Beschluss vom 22. Mai 2001 nicht zugelassen. Laut taz hat die „Junge Freiheit“ dagegen am 25. Juni Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht.

Delikat ist die systematische Auswertung durch Verfassungsschützer deshalb, weil in der Berliner Postille nicht nur ausgewiesene Rechtsradikale schreiben wie der Österreicher Andreas Mölzer oder der Vordenker der Neuen Rechten, Alain de Benoist, sondern weil das Blatt insbesondere für seine Interviews auch hinter demokratischen Politikern her ist. Inzwischen gesellten sich auch Ex-Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt, der Verleger Wolf Jobst Siedler oder der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Christoph Zöpel (SPD), zu den Interviewten.

Im Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz war die „Junge Freiheit“ übrigens auch schon erwähnt. Zum Beispiel 1999, im Sachwortregister. Schlägt man unter der angegebenen Seite 237 nach, so stellt sich allerdings schnell heraus, dass es sich offenbar um eine Verwechslung handelt. Da geht es um eine ganz andere „Freiheit“, nämlich eine Publikation von Scientology.

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