Die Situation bei der Deutschen Welle hat sich zugespitzt
Jetzt wird es ernst. Der Deutschen Welle stehen wegen der von der Bundesregierung beschlossenen Etatkürzungen Hunderte von Kündigungen ins Haus. Zahlreiche Auslandsprogramme sollen eingestellt oder reduziert werden. Gleichzeitig ist eine heftige Debatte um Funktion und Trägerschaft des künftigen deutschen Auslandsrundfunks entbrannt. Im Gespräch ist unter anderem eine gemeinsame Trägerschaft von ARD, ZDF und Deutscher Welle.
DW-Intendant Weirich griff Zuflucht zur Schocktherapie. Bis zum Ende des Jahres 2002, so informierte er Mitte August in einem Brief an die DW-Mitarbeiter in Köln und Berlin, müssen bei der Welle 745 Arbeitsplätze abgebaut werden. Zugleich kündigte er die Einstellung der Radioprogramme in Japanisch, Slowenisch, Tschechisch/Slowakisch, Ungarisch und Spanisch für Lateinamerika an. „Angesichts der uns auferlegten dramatischen Kürzungen“, so beschied Weirich, komme man trotz „Engagement und Kompetenz“ der Mitarbeiter „nicht umhin, Beschäftigte zu entlassen“. Das Streichkonzert im Einzelnen: 163 fest angestellten Mitarbeitern soll betriebsbedingt gekündigt werden. Auch 332 Freie Mitarbeiter und 20 „Fristverträgler“ bekommen den blauen Brief. Weitere 54 Journalisten sollen vorzeitig in den Ruhestand gehen, 176 Planstellen nicht mehr besetzt werden. Derzeit hat die Deutsche Welle rund 1700 Angestellte. Den Gewerkschaften bot Weirich an, über einen „Beschäftigungspakt“ zu verhandeln. Eine Beschäftigungsgesellschaft solle den gekündigten Festangestellten den „Weg in eine neue Beschäftigung erleichtern“, Freie sollten umgeschult werden. Hintergrund der Sparmaßnahmen sind massive Haushaltskürzungen des Bundes bei der Deutschen Welle (M 8-9/99). Bei den Betroffenen und in der Öffentlichkeit stieß Weirichs Horror-Szenario auf herbe Kritik.
„Fantasielose Kürzungen“
Aus dem Personalrat verlautete, man sei durch das Vorgehen der Geschäftsleitung „desillusioniert“. Ehe über einen Beschäftigungspakt verhandelt werden könne, müsse die Intendanz erst mal konzeptionelle Überlegungung zur langfristigen Perspektive der Deutschen Welle vorlegen. Der Konfrontationskurs Weirichs deute jedoch eher auf eine parteipolitisch motivierte Strategie gegenüber Kulturstaatsminister Naumann hin.
Der Vorsitzende der IG Medien, Detlef Hensche, forderte die Bundesregierung auf, die „fantasielosen Etatkürzungen zurückzunehmen“. In einer gemeinsamen Presseerklärung der bei der Deutschen Welle vertretenen Gewerkschaften und Verbände forderten IG Medien, DAG, DJV und VRFF eine „klare Zukunftsperspektive für alle Beschäftigten und den deutschen Auslandsender“. Falls ein realistisches Zukunftskonzept vorgelegt werde, seien die Gewerkschaften im Rahmen eines Rahmensozialplans „grundsätzlich zum Lohnverzicht bereit“. Zugleich kritisierten die Unterzeichner der Erklärung den Verhandlungsstil der Deutschen Welle als „erpresserisch und konfrontativ“. Die Gewerkschafter: „Hier will man offensichtlich nicht zum Konsens kommen.“
Gespalten ist die Reaktion der politischen Parteien. CDU-Generalsekretärin Angela Merkel erklärte, die Bundesregierung drehe einer wichtigen Stimme Deutschlands „die Luft ab“ und setze das Auslandsfernsehen „schachmatt“. CDU-Mediensprecher Bernd Neumann forderte gar den Bundeskanzler auf, Kulturstaatsminister Naumann die Verantwortung für die DW zu entziehen. Die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien, Elke Leonhard (SPD), verteidigte die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Auslandsrundfunks. Zwar müsse gespart werden, aber „intelligent“. Eine Entlassung von Mitarbeitern sei nicht zwingend notwendig.
„Deutscher Auslandskanal“
Jenseits der Spardebatte wird auf verschiedenen Ebenen die künftige Rolle des Auslandsrundfunks debattiert. DW-Intendant Weirich schwebt ein „enger programmlicher Schulterschluß“ mit dem Deutschlandradio, der ARD und dem ZDF vor. „Ein deutscher Gemeinschaftskanal – von der Deutschen Welle seit 1993 gefordert – muß rasch kommen“, fordert die Unternehmensleitung. Ohne einen Gebührenanteil sei ein solches Programm „bei der dramatisch sinkenden Bundesfinanzierung“ jedoch nicht machbar.
Bereits Mitte Juli hatte eine von ARD, ZDF und Deutscher Welle gebildete „AG Auslandsfernsehen“ ihren Abschlußbericht vorgelegt. Die 1998 eingerichtete AG sollte prüfen, in welcher Form ein deutschsprachiger Auslandskanal unter Beteiligung von ARD und ZDF gestaltet werden könne. Die AG empfahl ein Strukturmodell, nach dem ARD und ZDF je 38,5 Prozent und die Deutsche Welle 23 Prozent des Programms zuliefern. Die Programmauswahl läge bei der Deutschen Welle; die Programmverantwortung soll demnach bei ARD, ZDF und DW gemeinsam liegen. Der „Deutsche Auslandskanal“ würde nur im Ausland verbreitet werden. Allerdings würde die DW zusätzlich gern „daneben in eigener Regie einen fremdsprachigen Kanal weiterbetreiben“. Ein etwas illusorischer Wunsch, denn die Veranstaltung eines deutschsprachigen Auslandskanals und eines Fremdsprachenkanals würde die zur Kürzung freigegebenen Etatansätze der DW-tv weit übersteigen.
DW-Intendant Weirich befürwortet eine engere Kooperation mit ARD und ZDF im TV-Bereich ebenso wie mit dem Deutschlandradio und dem ARD-Hörfunk im Radiobereich. Gegenüber dem Berliner „Tagesspiegel“ äußerte er bedingte Sympathie für eine von Bund und Ländern getragene Körperschaft zur Veranstaltung von Auslandsrundfunk. Eine solche Einrichtung war vom Chef der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei, Klaus Rüter (SPD), in einem Beitrag für die „Frankurter Rundschau“ vorgeschlagen worden. Weirich: „Natürlich kann ich mir eine solche Körperschaft vorstellen, wenn die Auslandskompetenz der Programmverantwortlichen in der Deutschen Welle im Gesamtkonzept gewahrt bliebe.“ Zur Finanzierung schlug Weirich die „Einführung eines Weltfernseh-Groschens bei der Gebührenanpassung von ARD und ZDF“ vor.
Keine Lückenbüßerfunktion“
Skeptisch gegenüber solchen Finanzierungsvorschlägen äußerte sich ARD-Vorsitzende Peter Voß auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin. Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk dürfe nicht „eine Art Lückenbüßerfunktion“ für die Sparpolitik des Bundes aufgenötigt werden. Wenn die Bundesregierung der Deutschen Welle Gelder streiche, gleichzeitig aber ARD und ZDF zur Teilhabe am Auslandsrundfunk auffordere, so sei das nur eine „Verlagerung“ der Lasten: „Der Gebührenzahler und der Steuerzahler sind nämlich miteinander identisch.“ Zudem müsse geklärt werden, ob überhaupt Rundfunkgebühren für das von den Gebührenzahlern nicht zu empfangende Auslandsfernsehen eingesetzt werden könnten. Der Bund müsse sich prinzipiell überlegen, wie er die Kompetenz für den Auslandsrundfunk sehe, „denn es ist in der Tat eine Neuerung, wenn diese Kompetenz teilweise auf die Länder übergeht.“ Auch müsse die Frage erlaubt sein, wo eigentlich die „Begründung der Notwendigkeit eines quasi regierungsamtlich verbreiteten Auslandsrundfunks“ liege. Auf Grund der technischen Entwicklung seien „ohnehin alle in Deutschland hergestellten Programme weltweit empfangbar“. Zunächst aber seien die Länder am Zug: Sie müssen nach Auffassung des ARD-Vorsitzenden überlegen, ob sie ihre Rundfunkkompetenz auch auf den Auslandsrundfunk anwenden wollten. Falls diese Rechtsfragen und die Finanzierung geklärt seien, würde auch die ARD sich den Reformüberlegungen „nicht grundsätzlich verweigern“.
Grundsätzlich „für die Beibehaltung eines deutschen Auslandsrundfunks“ als „wichtige íVisitenkarte‘ der deutschen Gesellschaft sprach sich Anfang September die Bundes-AG Medien von Bündnis 90/Die Grünen aus. Die BAG Medien, so heißt es in dem Beschluß, erwarte von Bundestag und Bundesregierung, „daß über 1999 hinaus keine weiteren Kürzungen beschlossen werden, bevor nicht im Dialog mit der Anstalt und den Aufsichtsgremien Strukturreformen diskutiert worden sind“. Programmkooperationen und -austausch zwischen ARD, ZDF und DW halten die Grünen für wünschenswert. Ein gemeinsames Auslandfernsehprogramm von ARD, ZDF und der DW oder ein gemeinsames Radioprogramm von Deutschlandradio und DW lehnen die Grünen hingegen aus verfassungsrechtlichen Gründen ab.
Die Aufsichtsgremien der Deutschen Welle kommen am 6. Oktober zu einer Klausursitzung zusammen, auf der endgültig über die Streichungen verhandelt werden soll. Tarifverhandlungen am 16. September blieben ergebnislos . Für den 21. September hatten die Gewerkschaften zu einer Protestkundgebung in Berlin aufgerufen .