Auch Internetplattformen müssen sich künftig Mindestspielregeln unterwerfen
Für die Medienpolitik wird 2020 ein ereignisreiches Jahr. Eines der wichtigsten Projekte ist die Beschlussfassung über einen Medienstaatsvertrag, der den bisherigen Rundfunkstaatsvertrag ablösen soll. Er soll dem digitalen Wandel mit neuen Angeboten im Internet Rechnung tragen. Derzeit beraten die Landtage über den Entwurf der Ministerpräsident*innen, der Anfang Dezember 2019 beschlossen wurde.
Der neue Staatsvertrag steckt den rechtlichen Rahmen für eine Medienordnung ab, die sich in den letzten Jahrzehnten im Zuge der Digitalisierung rasant verändert hat. Das aktuell noch gültig alte Paragrafenwerk stammt ursprünglich aus dem Jahr 1991. Auch wenn es seither einige Überarbeitungen gab, definiert es als Rundfunk, was man vor dem Internetzeitalter darunter verstand: Radio und Fernsehen. Medienpolitik bestand damals vorwiegend darin, zahlenmäßig knappe Sendefrequenzen unter einer Handvoll Medienkonzerne zu verteilen und zu regulieren.
Heutzutage dagegen kann jeder per Handy und einem Internetanschluss direkt auf Sendung gehen. Smart-TVs integrieren längst Internetinhalte. TV-Sender bieten Apps und Streaming-Portale an. Angesichts dieser neuen Medienrealitäten erwies sich der alte Rundfunkstaatsvertrag mitsamt seinen Regulierungsinstrumenten als anachronistisch.
Das betrifft zum Beispiel die im Zeichen der Medienkonvergenz überholte Trennung zwischen Audio- und audiovisuellen Inhalten. Hier sieht der neue Medienstaatsvertrag eine einheitliche Zulassung mitsamt einer Bagatellgrenze vor. Bislang mussten kleinste Live-Streamer Zulassungen beantragen. Künftig gilt: Wer mit seinem Programm im Durchschnitt weniger als 20.000 regelmäßige Nutzer*innen erreicht, ist von der Zulassungspflicht befreit. Auf einen solchen Wert kommen die meisten YouTuber eher selten.
Das Urteil über die Bagatellgrenze fällt allerdings unterschiedlich aus. Verbraucherschützer fanden, die Zielgröße könne mit Blick auf die Meinungsfreiheit durchaus auch höher liegen. ver.di hat diesen Schwellenwert in einer Stellungnahme dagegen als zu großzügig kritisiert. 20.000 Nutzer*innen etwa des Streaming-Angebots eines Regionalverlags, so die Begründung, seien „definitiv eine meinungsrelevante Größe“. Das gilt erst recht für einen Konzern wie Axel Springer, der noch im vergangenen Herbst vom Verwaltungsgericht Berlin dazu verdonnert wurde, für die Live-streams der Bild-Zeitung eine Rundfunklizenz zu beantragen. Ende Februar hat Springer bei der Medienanstalt Berlin-Brandenburg den Antrag gestellt.
Der klassische Rundfunk, insbesondere das private Fernsehen, sieht sich eher als Nutznießer des neuen Staatsvertrags. Bisherige Vorschriften entfallen: So sollen Privatsender auch im Kinderprogramm werben und ihre Werbezeiten flexibler über den Tag verteilen dürfen. Auch sollen Sender davor geschützt werden, dass etwa Smart-TV-Anbieter das Fernsehsignal überblenden, um beispielsweise Werbung einzuspielen.
Auffindbarkeit gewährleisten
Spätestens seit dem Auftreten der mächtigen US-amerikanischen Internetgiganten und ihrer starken Dominanz auch auf dem deutschen Medienmarkt sind die Medienwächter alarmiert. Auch Plattformen wie YouTube, Facebook oder Instagram – sogenannte Intermediäre – müssen sich künftig medienrechtlichen Mindestspielregeln unterwerfen. So dürfen Internetplattformen die Anbieter publizistisch relevanter Inhalte nicht diskriminieren. Angebote, „die in einem besonderen Maße die Meinungs- und Angebotsvielfalt fördern“, müssen demnach besonders hervorgehoben werden. Ging es früher darum, welche Sender auf den ersten Plätzen der Fernbedienung auftauchen, soll jetzt sichergestellt werden, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf einer Plattform leicht auffindbar ist und nicht im Wust einer Vielzahl kommerzieller Videoclips untergeht. Wie das in der Praxis umgesetzt werden soll, ist noch ungeklärt.
Auch eine Kennzeichnungspflicht für sogenannte Social Bots ist vorgesehen. Das sind Programme, die in sozialen Medien mitkommunizieren, um einen Gesprächsverlauf zu steuern. Mit der neuen Regelung sollen zum Beispiel Wahlmanipulationen erschwert werden. Unklar ist allerdings, wie die Plattformen überprüfen sollen, ob hinter einem Account ein Bot steckt. Konsequent umgesetzt, so urteilt Doris Achelwilm, medienpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Die Linke, könne der Medienstaatsvertrag „ein scharfes Schwert werden, gerade auch gegen Fake-News-Kampagnen und ominös finanzierte rechtsradikale Inhalte im Netz, die immer wieder – besonders auf YouTube – prominent platziert“ seien.
Margit Stumpp, Mediensprecherin der grünen Bundestagsfraktion, geht das neue Gesetzeswerk indes noch nicht weit genug. Die damit verbundenen großen Hoffnungen, so prognostiziert sie, würden sich nur erfüllen, „wenn das Medienrecht in enger Abstimmung zwischen Bund, Ländern und der EU laufend an aktuelle Herausforderungen wie die zunehmende Medienkonzentration und der wachsende Meinungsmacht von nicht-journalistischen Plattformen angepasst wird“. Nächste wichtige Aufgabe sei daher die Einigung auf ein „zeitgemäßes Medienkonzentrationsrecht“. In den kommenden Monaten müssen alle 16 Landtage über das Gesetz abstimmen. In Kraft treten könnte der neue Medienstaatsvertrag voraussichtlich zum September 2020.
Ebenfalls in diesem Jahr muss der Beschluss über die Höhe des Rundfunkbeitrags ab 2021 durch alle Landesparlamente. Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Anstalten (KEF) hatte Mitte Februar in ihrem 22. Bericht eine Steigerung von 86 Cent auf dann 18,36 Euro monatlich vorgeschlagen.
Fatale Weichenstellung
ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christoph Schmitz kritisierte die viel zu niedrige Erhöhung um faktisch nur einen Cent. Denn: Aufgrund der Umstellung des Finanzierungssystems von der gerätebezogenen Gebühr auf den heutigen Beitrag per Wohnung im Jahr 2013 haben die Sender Rücklagen gebildet, mit denen sie den derzeitigen Rundfunkbeitrag von 17,50 Euro um genau 85 Cent aufstocken konnten. Sie haben also auch bisher schon mit 18,35 Euro gewirtschaftet. Doch „trotz eindeutiger Warnungen, zu welchen Verwerfungen eine Erhöhung der Gebühren für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk um faktisch nur einen Cent führt, hält die KEF an ihrem Sparprogramm fest“, kritisierte Schmitz. Die Sender hätten bereits „drastische Sparkurse“ eingeschlagen. „Die Ersten, die für diese fatale Weichenstellung zahlen müssen, sind die Beschäftigten der Rundfunkanstalten. Die negativen Folgen für die Qualität der Programme, zum Beispiel durch mehr Wiederholungen, werden nicht lange auf sich warten lassen“, warnte Schmitz.
Mit der jetzigen Empfehlung bleibt die KEF tatsächlich weit hinter den ursprünglichen Bedarfsanmeldungen von ARD, ZDF und Deutschlandradio zurück. Nun sind die Bundesländer am Zug. Christoph Schmitz forderte sie auf, „ihrer Verantwortung nachzukommen und nachzubessern“. In Zeiten zunehmender Angriffe auf die Pressefreiheit, abnehmender Medienvielfalt, angesichts von Hetze und Falschmeldungen stünden gerade die Öffentlich-Rechtlichen für journalistische Unabhängigkeit. „Diese muss ausreichend finanziert werden“, forderte er.