Der SWR-Staatsvertrag unter der Lupe eines Praktikers
Wenn die Unterhändler aus den Staatskanzleien in Stuttgart und Mainz konsequent gewesen wären, dann wären sie zu ihren Beratungen über den neuen Staatsvertrag SWR in alten Lastwagen mit Holzvergasern vorgefahren statt im ICE oder Mercedes. So alt und klapprig ist das, was sie zustande gebracht haben, und was sie auch noch als Reformwerk ausgeben. Dreißig Jahre Diskussion über Rundfunk in Deutschland waren offenbar vergeblich.
Ich lasse einmal die regionalen Streitereien über Standorte und Fensterprogramme beiseite. Diese Fragen sind wichtig, aber mich hat vor allem die archaische Denkweise frappiert, die in so manchem Paragraphen zum Ausdruck kommt.
Vatikanische Regeln
Der Paragraph 13 stellt erst einmal klar, wie die Macht verteilt ist: „Die Organe des SWR sind der Rundfunkrat …, der Verwaltungsrat und der Intendant“. Der kann sich freuen. Er heißt ja sehr wahrscheinlich Peter Voß und kennt diese vatikanischen Regeln schon vom ZDF. Die Direktoren der Fachgebiete sind von ihm abhängig. Sogar für die Direktoren der Landessender von Mainz und Stuttgart hat der Intendant das Vorschlagsrecht bei Berufung und Abberufung. Im übrigen gibt es für ihn nur eine Bindung nach „oben“ zu den Kontrollgremien, nicht zum Personal. Dieses kommt (wie im ZDF) auch beim Staatsvertrag SWR nicht oder nur negativ vor, d.h. es wird mehrmals gesagt, was den Mitarbeitern nicht zusteht. So sagt der § 38, daß das Personalvertretungsgesetz von Baden-Württemberg im SWR gültig ist. Dies bleibt weit hinter dem von Rheinland-Pfalz zurück.
Was leitet die Geschäftsleitung
Überraschend erwähnt dann der § 30 eine „Geschäftsleitung“. Die besteht zusätzlich zum Intendanten aus acht Direktoren. Was sie leitet, wird nirgends gesagt. Nach § 25 ist der Intendant „für den gesamten Betrieb und die Programmgestaltung“ verantwortlich. Vielleicht hatten die Unterhändler aus Mainz vor dem künftigen Intendanten Voss Angst und wollten ihn mit der Erfindung einer Geschäftsleitung einbinden. Die Angst hielte ich für berechtigt, aber die Erfindung taugt nichts. Die Geschäftsleitung hat nicht nur nichts zu sagen, sie besteht auch aus Mitgliedern, die der Intendant selbst aussucht. Kurz: Die Spitze des SWR ist so pluralistisch wie ein Finanzamt.
Verworrene Zusammensetzung der Gremien
So klar – in autoritärem Sinn – die Position des Intendanten ist, so verworren Zusammensetzung und Wirkungsweise der Kontrollgremien. Der Rundfunkrat des Regionalsenders SWR soll 74 Mitglieder haben! Die gewaltige Zahl stammt von Politikern, die den Bürgern immer neue Sparmaßnahmen auferlegen. An anderer Stelle des Vertrages kriegt der treue Gebührenzahler erklärt, daß der neue Sender ihn „auf Dauer durch wirtschaftlichere Strukturen entlaste.“ Hoffen wir’s. Beim Rundfunkrat des SWR aber ist das umgekehrt. Man macht sich draußen nur sehr ungenaue Vorstellungen, welcher Aufwand mit den Gremien und ihren Ausschüssen verbunden ist. Solche Ausschüsse für alles und jedes bestehen meist aus 10 bis 15 Mitgliedern. Da gibt es ein ständiges Kommen und Gehen mit Dienstreisen, Vorführungen und Akten. Ganze Stäbe sind tätig, um diese Art von gesellschaftlicher Kontrolle zu füttern.
Der § 14 des Entwurfs zählt auf, wer alles Vertreter in den Rundfunkrat schicken darf. Die Liste ist einfach rührend. Die freie Wählervereinigung, der Handwerkstag, Bauernverbände, der Landesmusikrat usw. usw. Mal darf nur ein Vertreter kommen, mal zwei. Warum? An den Mitgliederzahlen der Entsender kann es nicht liegen. Wenn z.B. die Israeliten nur je einen Vertreter pro Vertragsland entsenden, so müßte die katholische Kirche wahrscheinlich 20 oder 30 entsenden dürfen. Sie hat aber nur jeweils zwei. Woauf kommt es also an? Auf die Zahl oder die Argumente?
Rührend und willkürlich Willkürlich ist auch die ständestaatliche Mischung der Entsender. Die Verfasser des Vertrages können einem leid tun angesichts der Fülle des Vereinslebens im deutschen Südwesten. Aber wenn schon Sportler, Bauern und Senioren bedacht werden, warum dann nicht Fassenachtsvereine oder etwa deutsch-französische und deutsch-amerikanische Gesellschaften? Und sind die Winzer bei den Bauern mitgemeint? Und die Trachtenvereine? Und, und, und … Wo ist die Logik zugunsten der einen und zu ungunsten der anderen? Hat die Verfasser auch nicht gestört, daß Doppel- und Dreifachrepräsentanz wahrscheinlich ist (Frauenrat, Frauenarbeit, Familienrat)?
Die vorgesehene Zusammensetzung beim SWR wird so wirken wie beim ZDF. Die Buntheit täuscht, die Verbandsvertreter formieren sich doch um die Politiker. Der Intendant weiß das und spielt damit. Neu gewählte Fernsehräte haben mir vor ihrer ersten Sitzung versichert, daß sie sich nicht durch einen der beiden Partei-freundeskreise vereinnahmen lassen werden. Dann saßen sie doch auf „ihrer“ Seite des Sitzungshufeisens – und sitzen da heute noch. Man wird keine Garantie gegen diese Vereinnahmung durch die Parteien finden. Auch die Mahnung des ehemaligen Bundespräsidenten von Weizsäcker hat nicht geholfen. Aber eine Bremse ist möglich.
Basismodell
Hier eine Art Basismodell (ohne denkbare Variationen):
1. Die Landtagsfraktionen entsenden je ein Mitglied in den Rundfunkrat.
2. Die Fraktionsvertreter wählen gemeinsam eine dreifache Anzahl Einzelpersonen hinzu, die nicht Mitglied von Landesparlamenten, Bundestag, Europaparlament, Landesregierungen oder Bundesregierung sein dürfen.
3. Jedes Rundfunkratsmitglied kann nur einmal wiedergewählt werden.
Es kann und soll Einwände hageln. Aber Parteifreundeskreise zu bilden, wird hiernach ziemlich schwierig sein und Dauerplätze sind unmöglich. Und das sind schließlich die Gründübel der Gremienkontrolle.
Der Verwaltungsrat besteht nach § 20 aus 15 Mitglidern. Auch hier haben sich die Politiker ausreichend Plätze angewiesen. Es gab einmal Zeiten, da haben alle Parteien in ihren Medienpapieren die Exekutive aus den Gremien verbannt. In Stuttgart sind sie nun wieder drin. Welche bessere Einsicht ist da gekommen? Doch sicher nicht die, daß sich die Regierungsvertreter als besondere Gönner von Pluralismus in Besetzungsverfahren und Ideen erwiesen hätten. Im Verwaltungsrat geht es um die Geschäftsführung. Deshalb muß ein „Basismodell“ für dessen Besetzung etwas anders aussehen, und es muß von Haus zu Haus variieren. Zu den Vertetern der Landtagsfraktionen wie beim Rundfunkrat gehören in den Verwaltungsrat mehrere gewählte Personalvertreter, wie es sie schon lange beim WDR und HR gibt. (Der Vertragsentwurf zum SWR schließt das aus. Da tuckert wieder der alte Holzvergaser.) Diese geborenen Mitglieder wählen drei außerhörige Fachleute aus Verwaltung, Justiz und Technik hinzu.
Auch das ist kein Patentmodell, vor allem dann nicht, wenn die Dominanz einer Partei so stark ist wie im Südwesten. Aber solche Modelle können zeigen, daß man andere Kriterien der Besetzung finden kann statt Parteiinteresse und Vereinsleben.
Alte Strukturfehler
Der Entwurf enthält auch wieder einen alten Strukturfehler: Der Verwaltungsrat (!) beschließt über Anstellungsverträge für den Programmbereich. Die Verfasser scheinen geahnt zu haben, daß sie hier Aufgaben mischen. In § 15 geben sie nämlich dem Rundfunkrat die Kompetenz, der Berufung von Direktoren auch zuzustimmen. Es wäre logisch, diese Kompetenz und die Kontrolle des Programms komplett beim Rundfunkrat anzusiedeln.
Die Verfasser waren fleißig. Vor lauter Bedenken haben sie ständig in die Mottenkisten gegriffen. Neues kann man so nicht finden. Der Entwurf ist ein Sammelsurium von Halbheiten, faulen Kompromissen und Phantasielosigkeit.
Verräterisch: die den Personalvertretern zugedachte Rolle in den Gremien
Aus meiner Sicht ist ein (beim ZDF abgeschriebener Satz) im § 17 des Entwurfs besonders verräterisch: „Zwei Mitglieder des Personalrates können auf Beschluß des Rundfunkrates an dessen Sitzungen teilnehmen; ihnen wird auf Verlangen zu Angelegenheiten ihres Aufgabenbereiches das Wort erteilt.“ So etwas kann sich nur jemand ausdenken, der Personalräte mit Betriebsfesten und Kantinenpreisen beschäftigt sieht. Das ist das Niveau von „Frauen gehören an den Herd“. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Es gibt keine Programmentscheidungen ohne soziale Folgen. Ein Hörfunkangebot mehr oder weniger, Einkauf von Spielfilmen und Serien statt Eigenproduktionen, Verzicht oder Ausbau von Live-Übertragungen, alles das schlägt durch auf Quantität oder Qualität der Beschäftigung. Im SWR-Rundfunkrat werden die Personalvertreter entweder dazu schweigen oder jede Wortmeldung mit einer Rechtfertigung einleiten müssen, daß sie sich überhaupt melden. Wenn Personalvertreter etwas auf sich halten, dann verzichten sie auf eine solche Bettelrolle am Katzentisch.
Trennt man sauber die Aufben der Gremien, gibt es keine rechtlichen Probleme mit stimmberechtigten Personalvertretern im Verwaltungsrat. Dafür sind Personalvertreter meist engagierte Leute, die den Betrieb kennen. Intendanten müßten sich gut überlegen, was sie fordern. Hier wäre am ehesten ein Korrektiv gegen eine allzu mächtige Intendanz. Im Entwurf steht das Gegenteil. Nur alte Hüte. Auch Mainz bleibt Mainz.
Nach Geist und Wortlaut des Entwurfs sind die Mitarbeiter notwendiges Übel. Sie sind so etwas wie lästiges Beiwerk. Und das in Zeiten, wo gerade eine besondere Anhänglichkeit an die öffentliche Verpflichtung von ARD und ZDF nötig wäre. Mit diesem Vertrag wird sie nicht entstehen.
O.W. – langjähriger ZDF-Redakteur, Personalrats- und RFFU-Vorsitzender beim ZDF in Mainz