Südwestfunk will sich aus Fremdsprachensendungen der ARD verabschieden
Wer beim Südwestrundfunk in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz Radio-Sendungen in anderen Sprachen sucht, wird bald vergeblich hin und her zappen. Der SWR hat im Juni seine Beteiligung an der ARD-Gemeinschaftsaufgabe, den in den 60er Jahren entwickelten Ausländer-Hörfunkprogrammen, gekündigt.
SWR International will mit Beginn des nächsten Jahres täglich zweimal am Nachmittag und frühen Abend eine halbe Stunde über das Leben der Migranten in Deutschland berichten – in deutsch, auf der (wenig attraktiven) Mittelwelle, über Digital-Radio (DAB), Satellit und – dort als einziges mehrsprachig – im Internet. Interkulturelle Themen sollen – so der im SWR Pressedienst dokumentierte Wille – ihren Platz mitten im Programm bekommen.
ARD-Gemeinschaftsaufgabe nicht gefährden
Das Ausscheren des SWR lässt in den anderen ARD-Anstalten der Öffentlich-Rechtlichen die Alarmknöpfe blinken. Der WDR-Rundfunkrat bat schon im Juli, diese Entscheidung noch einmal zu überdenken und die Gemeinschaftsaufgabe nicht zu gefährden. Fremdsprachensendungen seien als kulturelle Brücke zwischen Zugewanderten und Deutschen unverzichtbar, förderten die wünschenswerte Zweisprachigkeit in Migrantenfamilien. Gerd Nies, stellv. ver.di-Vorsitzender, sieht den publizistischen und kulturellen Grundversorgungsauftrag der ARD gefährdet und hält einen Ausstieg für unvereinbar mit der europäischen Integration. „Ausländische Mitbürger sind auch Gebührenzahler.“
„Wir stellen um, nicht ein“, verteidigt SWR-Gesamtpersonalratsvorsitzende Eva Matzerath, das in der Redaktion „von unten her“ entstandene Konzept, das auf oft angemahnte veränderte Inhalte ziele, neue Schwerpunkte setze. „Wir machen weiterhin ein Ausländerprogramm.“ Integrationspolitik bedeute auch, für Türken, Italiener, Spanier, Griechen usw. über ihre Kultur in Deutschland nicht in ihrer eigenen Sprache zu berichten, sondern in deutsch, damit auch deutsche Hörerinnen und Hörer davon erfahren. Zudem verstünden immer mehr Ausländer – vor allem die der zweiten und dritten Generation – Deutsch besser als ihre Muttersprache. Noch vor 20 Jahren hätten die fremdsprachigen Ausländerprogramme 70 Prozent der Zuwanderer, erreicht, heute gerade noch fünf.
Schub aus neuer Struktur
„Das bisherige Programmangebot war mal attraktiv“, meint Martin Kilgus, Redakteur bei SWR International. Inzwischen gäbe es kaum noch Hörerresonanz. Medienuntersuchungen hätten ergeben, dass nicht mehr Informationen aus der alten Heimat gefragt seien – die würden über Satellitenschüsseln und Printmedien empfangen – oder bundesweite Nachrichten, sondern die Berichterstattung über regional interessierende Probleme. „Unsere griechischen Kollegen fanden erst, ein Ausstieg sei schlecht. Als sie aber die Frage, ob bei ihnen einer diese Sendungen höre, mit Nein beantworten mussten, waren sie auch dafür.“ Kilgus sieht in der geplanten neuen Programmstruktur einen Schub, auch für die freien ausländischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie hätten, bestätigt Personalratsvorsitzende Mazerath, seit Bekanntwerden der SWR-Entscheidung zunehmend Schwierigkeiten, in bundesweiten Programmen des Funkhauses Europa, in München oder Köln ihre Beiträge unterzubringen. Ein italienischer Kollege hätte schon von existenzbedrohendem Verdienstausfall gesprochen. Künftig könnten aus der Gemeinschaftsaufgabe frei werdende Gelder gezielt für die neuen SWR Sendungen eingesetzt werden.
Über neue Inhalte im Gespräch bleiben
Über die vom Hörfunkausschuss des SWR Rundfunkrates im Juni einstimmig unterstützten Veränderungen sei in vielen Gremien „intensiv und gewissenhaft“ diskutiert worden. Hörfunkdirektor Bernhard Hermann ist überzeugt, „dass eine neue Zeit auch neue Angebote erfordert.“ Niemand wolle aber andere daran hindern, auch in Zukunft die „althergebrachten muttersprachlichen Programme“ auszustrahlen. „Wir wollen am Mehrsprachenkonzept festhalten – mit dem SWR oder ohne,“ bekräftigt Gualtiero Zambonini, Leiter des Mehrsprachenprogramms im Funkhaus Europa Köln. Wie, wird unter anderem die nach M-Redaktionsschluss tagende turnusmäßige Konferenz der Hörfunkdirektoren zeigen.
Im Unterschied zum SWR betreibt der WDR ein Vollprogramm, bei dem von Kürzungen bisher nicht die Rede sein soll. „Für unsere Zielgruppen gewinnen die Sendungen an Bedeutung“, stellt sich Zambonini auf den Gegenpol zum SWR. Entscheidend für die Akzeptanz sei das Umfeld, das der SWR offensichtlich so in großem Maße verloren habe. Für unbestritten notwendig hält der italienische Radioprofi, der seit 25 Jahren im Hörfunk arbeitet, die Reformierung von Inhalten. „Wir aktualisieren ständig.“
„Schlappes“ Ersatzprogramm
„Eigentlich geht es um mehr Qualität,“ sagt auch Rainer Marquardt, WDR-Personalratsmitglied und Vorsitzender des Redaktionsausschusses. Innerhalb dieses Diskussionsprozesses kam für ihn das Abspringen des SWR überraschend. Mit dem vorgestellten „schlappen Ersatzprogramm“ befürchtet Marquardt ein inhaltliches Zurückbleiben und findet es „zynisch“, muttersprachliche Angebote nur ins Internet zu stellen, das für Hörer mit schlechtem sozialem Hintergrund weitgehend unzugänglich ist. „Wir sind ein Einwanderungsland, haben große sprachliche Minderheiten. Integration funktioniert nur im Mix von Informationsangeboten in eigener und fremder Sprache.“
Diese Auffassung wird offensichtlich auch in den anderen Landesrundfunkanstalten geteilt. Auf sein Schreiben an die Intendanten, die „Programmteile für die nationalen Minderheiten in heutigem Umfang beizubehalten“, bekam ver.di Vize Nies weitgehende Zustimmung. „Der Alleingang des SWR wird von den anderen nicht mitgetragen.“ Die Kritik richte sich nicht gegen Umstrukturierungen, sondern gegen die Konsequenzen für das Gemeinschaftsprogramm. „Richtig ist, sich für Programmverbesserungen stark zu machen,“ sagt Nies. „Falsch aber, sich deshalb aus der Gemeinschaftsaufgabe zurückzuziehen.“ Ein von der SWR-Personalratsvorsitzenden Matzerath vorgeschlagenes medienpolitisches Seminar zum Thema Ausländerprogramme in der ARD hält Nies für ein gutes Signal, darüber im Gespräch zu bleiben.