Die Ablehnung der Eilanträge von ARD, ZDF und Deutschlandradio auf Erlass von einstweiligen Anordnungen zum Rundfunkbeitrag kurz vor Weihnachten stellt die Sender vor schwierige Entscheidungen. Um die Folgen von Sachsen-Anhalts „Nein“ zur Erhöhung des Rundfunkbeitrags für die öffentlich-rechtlichen Sender ging es bei der jüngsten Videokonferenz einer Initiative des Instituts für Journalistik der TU Dortmund „Innovative Wege zur Sicherung der Qualität und Vielfalt der Medien“.
Deutschlandradio (DLR) habe sich unter anderem genötigt gesehen, den laufenden Tarifvertrag mit ver.di zu kündigen, erklärte Birgit Wentzien, Chefredakteurin des Deutschlandfunks. „Wir haben eine kameralistische Haushaltsführung“, sagte sie. So dürften etwa aus dem Personaletat keine Mittel für Investitionen abgezweigt werden und umgekehrt. Der Sender müsse daher das aktuell gültige Programm – egal ob digital oder linear – mit weniger Geld stemmen. Die Investitionsplanung werde jetzt neu geprüft. Unter anderem würden die Mittel für den DAB+-Ausbau gedrosselt. Auch die eigentlich für April vorgesehene Tariferhöhung habe man einfrieren müssen. „Das bedeutet eine ganz konkrete Folge in den Portemonnaies der Kolleginnen und Kollegen.“
Sie verwies auf Aussagen von Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue auf einer Mitarbeiterversammlung vom 19. Januar. Wenn DLR im anstehenden Hauptsacheverfahren unterliege, werde der Sender mit den eingefrorenen Rundfunkbeiträgen – Deutschlandradio erhält von den 17,50 Euro des bisherigen monatlichen Rundfunkbeitrags für seine drei Programme gerade mal 50 Cent – nicht auskommen. „Dann wird es ans Eingemachte gehen, dann wird es auch Folgen haben für Sendestrecken, für freie Mitarbeiter.“
Sollte das Bundesverfassungsgericht im Sinn der Öffentlich-Rechtlichen entscheiden, sei es nicht ausgeschlossen, dass die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) eine neue Beitragsempfehlung ausspreche. Ob das dann rückwirkend gelten werde, sei aber offen. Unklar sei auch, wann die Entscheidung falle, ob „zeitnah“ oder vielleicht erst im nächsten Jahr. Wentzien hofft auf eine positive Entscheidung der Karlsruher Richter*innen. Ihren „vorsichtigen Optimismus“ stützt sie auf den Hinweis in der Begründung, dass eine Verletzung der Rundfunkfreiheit durch das Vorgehen Sachsen-Anhalts angesichts der bisherigen Rechtsprechung durchaus möglich sei.
Ist ein neuer Finanzausgleich innerhalb der ARD nötig?
Wentzien erwartet ein solidarisches gemeinschaftliches Vorgehen der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Für kleinere Sender wie Radio Bremen und den Saarländischen Rundfunk gehe es um die „blanke Existenz“. Je nach Entscheidung aus Karlsruhe werde möglicherweise ein neuer Finanzausgleich innerhalb der ARD notwendig. Es sei insgesamt eine „komplexe Gemengelage“. Wentzien zitierte einen Slogan ihres hauseigenen Digitalkanals Deutschlandfunk Nova: „Es ist kompliziert – dazu guter Pop“. Bleibe es bei der bisherigen Beitragshöhe, ließe sich künftig nicht mehr das gesamte Angebot aufrechterhalten. „Wir müssen anders gewichten“, konstatierte Wentzien. Tendenziell laufe es darauf hinaus, „mehr Audios einzustellen und weniger Texte zu covern“.
Tobias Gostomzyk, Professor für Medienrecht an der Uni Dortmund, analysierte aus juristischer Sicht die Folgen der Nicht-Zustimmung Sachsen-Anhalts zur ersten Beitragserhöhung seit 2009. Vor dem Hintergrund der bisherigen Rundfunkurteile des Bundesverfassungsgerichts zeigte er sich „verhalten optimistisch“. Demnach müsse die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks „funktionsgerecht“ und „entwicklungsoffen“ sein. Nach seiner Auffassung sei der Rundfunkbeitrag „sowohl verfassungs- als auch europarechtskonform“.
Die „größere Entwicklungsdynamik“ verortet Gostomzyk eher in der Ausgestaltung des Rundfunkauftrags und des Beitragsfestsetzungsverfahrens durch die Politik. Es liege im Handlungsspielraum des Gesetzgebers, zum Beispiel die Beitragsfestsetzung künftig an ein Indexmodell zu knüpfen.
Soll der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks neu definiert werden? Kritiker monieren immer wieder die „ungebremste Expansion“ der Anstalten, die Vielzahl der Sender oder den hohen Umfang der Unterhaltung am Gesamtprogramm. DLF-Chefredakteurin Wentzien hatte argumentiert, im Wettbewerb zwischen öffentlich-rechtlichen und privatwirtschaftlichen Medien komme ersteren nicht zuletzt die Aufgabe zu, Defizite der Privaten auszugleichen. Ein Phänomen wie Donald Trump lasse sich schließlich auch mit dem wirtschaftlich bedingten Wegbrechen einer funktionierenden US-Lokalpresse erklären.
Gostomzyk verwies darauf, dass sich seit der Weiterentwicklung des Rundfunks zum dualen System Anfang der 80er Jahre an der Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nichts gerändert habe. „Er ist der Kern des Ganzen, er erfüllt den Funktionsauftrag, er schafft die Grundversorgung mit Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung“. Alles, was von privater Seite beigesteuert werde, sei Ergänzung. Nur aufgrund der Existenz eines funktionierenden öffentlich-rechtlichen Systems könne man die Ansprüche an die Informationsqualität der Privaten absenken. Wie im Detail die Leistungen der Öffentlich-Rechtlichen beschaffen sein sollten, sei aber politisch verhandelbar.
Mehr Informationen (22.1.2021)