Kündigungsdrohung und Tarifflucht – wie Pleitgen und Reiter die ARD auslagern
Der Outsourcing-Wahn bei MDR und WDR geht weiter: Während Intendant Reiter insgesamt etwa 390 Mitarbeiter in zahlreichen einzelnen Gesellschaften beschäftigen will, droht Fritz Pleitgen den etwa 250 betroffenen WDR-Kollegen mit Kündigung, falls sie dem beabsichtigten Betriebsübergang widersprechen.
Der MDR betreibt die Auslagerungen jetzt mit Hochdruck. „Schnellstmöglich, spätestens zum 1.1.“ lautet die Zeitvorgabe für die meisten Privatisierungsprojekte der Drei-Länder-Anstalt.
- Der Hörfunk und Fernsehbetrieb der Landesfunkhäuser in Magdeburg und Dresden soll in 100prozentige MDR-Töchter überführt werden. Die Hörfunktechnik in Weimar wird mit der MSC Erfurt zusammengeführt. Dort wird bereits das Landesfunkhaus und der Kinderkanal von der gemeinsamen Tochter von MDR und Studio Hamburg betrieben.
- Die Hörfunk und Fernsehübertragungstechnik wird (bis auf kleinere Hörfunkwagen) ebenfalls in eine hundertprozentige Tochter ausgegliedert. Die geplante Beteiligung der Bavaria-Tochter tv-mobil scheiterte am Widerstand in den Gremien und der ablehnenden Haltung des WDR (dem größten Anteilseigner der Bavaria).
- Ebenfalls zum 1.1.99 will Reiter die Meßtechnik Hörfunk und Fernsehen (Audiosystemservice und Anlagentechnik/Wartung) in die „Mitteldeutsche Service GmbH“ auslagern. Von den bisher aufgeführten Auslagerungen sind etwa 320 Mitarbeiter betroffen.
- Zum 1.7. will Reiter alle sogenannten „Gebäudemanagement Aktivitäten“ in einer „Immobilien Management GmbH“ zusammenfassen. Betroffen sind Haushandwerker, Elektrotechnik, Boten- und Postdienste, Telefonzentralen usw – etwa 70 „Mitarbeiteräquivalente“ – denn die Menschen selbst passen wohl mit ihrer Tätigkeit noch nicht so recht in die Management-Pläne hinein.
Alle diese Firmen arbeiten selbstverständlich ohne jede Tarifbindung. Allenfalls denkt man in Leipzig über die Geltung des „VTFF-Tarifvertrages Ost“ nach. Aber einstweilen wurden alle Forderungen nach Tarifverhandlungen zurückgewiesen. Der MDR hält an seiner Gestellungs-Praxis fest. Das bedeutet, den betroffenen Mitarbeitern des MDR wird der Betriebsübergang in die private Firma zwar angeboten. Widersprechen sie aber, bleiben sie Mitarbeiter des MDR und werden an die private Firma „ausgeliehen“ (gestellt).
Es droht die betriebsbedingte Kündigung…
Genau diesen Fall schließt der zweite Privatisierungsjongleur der ARD, der WDR Intendant Fritz Pleitgen, kategorisch aus. Im Gegenteil: Wer beim WDR nachfragt, was geschieht, wenn er sein Recht auf Widerspruch gegen den Betriebsübergang wahrnimmt, der erhält eine klare, kaltschnäuzige Antwort: Dann droht die Kündigung.
Zwar versicherte Pleitgen auf einer Betriebsversammlung am 8. September, er wolle „die Rechte der heute beim WDR-Beschäftigten sichern“ und versprach den Mitarbeitern „auch der Rabatt im Mausladen bleibt Ihnen erhalten“. Wer sich freilich von solcherlei Zusicherungen nicht „freiwillig“ in die GmbH locken lasse, bei dem müsse man leider die betriebsbedingte Kündigung ins Auge fassen.
Nun schließt der Manteltarifvertrag des WDR solche betriebsbedingten Kündigungen nach zehn Jahren Betriebszugehörigkeit ausdrücklich aus. Mit Recht fragten mehrere Mitarbeiter, was denn die Intendanten-Zusicherungen wohl wert seien, wenn selbst diese tarifvertraglichen Kündigungsschutzrechte bereits einfach ignoriert werden. Ein Argument, das die bedauernswerte (weil zu juristischen Bocksprüngen genötigte) WDR-Justitiarin nur mit dem Hinweis auf ein BAG-Urteil vom Frühjahr beantworten konnte – dieses relativiert den tarifvertraglichen Kündigungsschutz in Fällen, in denen das Arbeitsverhältnis „sinnentleert“ sei. Freilich hat auch das BAG noch keinen Arbeitgeber zur Kündigung von Angestellten gezwungen…
…auch wenn der Tarifvertrag dies ausschließt?
Unterdessen bemühen sich die Gewerkschaften, den vollmundigen Rechte-Sicherungserklärungen des Intendanten auch Taten folgen zu lassen. Sie haben dem WDR den Abschluß eines Rahmentarifvertrages angeboten, der die zu gründende „WDR-Gebäudemanagement“-Tochter genau wie alle weiteren an die Tarifverträge des WDR bindet. Gleichzeitig werden Regelungen zur vollständigen Gleichstellung von WDR- und WDR-Tochter-Beschäftigten vorgeschlagen. Schließlich soll auch die Zusammenarbeit von Personal- und Betriebsräten einen festen Rahmen erhalten.
Pleitgen und sein Verwaltungsdirektor Seidel verlangen dagegen von den Gewerkschaften die Unterschrift unter einen Überleitungsvertrag, den sie jetzt schamhaft in „Rechtesicherungsvertrag“ umbenannt haben wollen. Dieser soll den übergeleiteten Mitarbeitern die Fortgeltung der WDR-Tarife und Dienstvereinbarungen zusichern – als langsam abschmelzende „Inseln“ in einem nicht oder völlig anders tarifierten Umfeld. Die ersten Tarifverhandlungen am 17. September endeten ohne greifbares Ergebnis.
Noch keine gemeinsame ARD-Outsourcing-Strategie
Noch beobachten die anderen Rundfunkanstalten die ARD-Privatisierer Reiter und Pleitgen mit abwartender Neugier. Eine gemeinsame „Outsourcing-Strategie“ der ARD gebe es nicht, ließen sie verlauten. Es kann jedoch kein Zweifel bestehen, daß die tariflichen Regelungen des gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunk ins Wanken geraten, wenn die beiden Herren mit ihrer Tarifflucht Erfolg haben. Nicht zuletzt deshalb sind die Auseinandersetzungen beim WDR und beim MDR für alle Rundfunkbeschäftigten wichtig.