Plädoyer für eigenen Verbreitungsweg

Gespräch mit Willi Steul, Intendant des Deutschlandradios

M |  Die Ministerpräsidenten haben auf ihrer Konferenz Ende Oktober dem öffentlich-rechtlichen Deutschlandradio ein Drittel der Frequenzen, die für den bundesweiten digitalen Hörfunk zur Verfügung stehen, zugeordnet. Wie geht es nun aus Sicht des Deutschlandradios weiter?

WILLI STEUL |  Wir haben den Auftrag, DRadio Wissen zu machen. Wir verbreiten es über das Internet, den digitalen Satelliten und das digitale Kabel. Aber wir wollen es über alle digitalen Technologien verbreiten und dazu gehört auch DAB Plus. Wir haben den Auftrag von den Ministerpräsidenten bekommen. Das heißt, wir müssen davon ausgehen, auch das Geld dafür von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) zu erhalten. Der Ball liegt jetzt in deren Spielfeld.

M | Die KEF hat die Gelder mit der Begründung eingefroren, dass die Privaten bei DAB Plus nicht mitmachen. Ist das ein Standard, der keine Zukunft hat?

STEUL |  Ich kann Ihnen darauf keine Antwort geben. Ich weiß, dass um uns herum in Europa die Tür geöffnet wird für die DAB-Familie. Wir wissen, dass in Großbritannien kommerzielle Programme erfolgreich sind und Geld verdienen mit dieser Technologie. Wir müssen in Deutschland zu einer Entscheidung kommen. Die ist aber von uns als Deutschlandradio nicht wirklich zu beeinflussen. Ich beschimpfe auch die KEF nicht. In der Logik der KEF hat sie wohl richtig gehandelt. Es ist allerdings eine Entscheidung, die politisch getroffen werden muss. Legitimiert dafür sind einzig die Ministerpräsidenten.

M | Im Moment sind aber keine Anzeichen dafür zu sehen?

STEUL |  Ich betrachte das schon als ein Anzeichen, dass die Ministerpräsidenten gesagt haben, in der nationalen DAB-Verbreitung bekommt das Deutschlandradio drei Kanäle für seine drei Programme und für die anderen sechs werden sich private Bewerber interessieren können. Ich gehe fest davon aus, dass es auch welche sein werden. Dieser digital-terrestrische Verbreitungszug fährt nicht mehr sehr schnell. Aber er ist noch in Gang. Ich sage noch einmal: Das muss politisch entschieden werden.

M | Sind die Klagen der Privaten darüber, dass es ihnen zu teuer ist, die Infrastruktur für DAB Plus zu finanzieren, nicht berechtigt? Sie fordern öffentliche Mittel.

STEUL |  Ich habe Verständnis für die kommerziellen Radios. Sie müssen in kurzen Abständen ihre Lizenzen neu beantragen. Sie müssen sich über Werbung refinanzieren. Sie müssen am Jahresende schwarze Zahlen schreiben. Die Zahlen, die da für DAB durch den Raum geistern – Milliardenbeträge – halte ich allerdings für Unsinn. Die kleine Schweiz, die wirtschaftlich gut dasteht, aber auch nicht besser als die Bundesrepublik, die schafft die Voraussetzungen für Digitalradio. Und die Topographie in der Schweiz ist deutlich problematischer. Auch in Frankreich geht es voran. Eine Entscheidung wie die des französischen Präsidenten, dass künftig nur noch Rundfunkgeräte in Frankreich verkauft werden, die UKW und die DAB-Familie empfangen können, ist eine Voraussetzung dafür, dass überhaupt die entsprechende Infrastruktur geschaffen werden kann. Eine solche Entscheidung wünsche ich mir auch in Deutschland. Es wäre auch zu eng betrachtet, wenn wir die DAB-Thematik ausschließlich als Rundfunk sehen. Dahinter steht im Grunde genommen eine industrie- und wirtschaftspolitische Weichenstellung. Es geht um Normensetzung in Europa. Deshalb sollte darüber auch in Brüssel gesprochen werden. Um uns herum hat man sich dafür entschieden, dieser Technologie die Tür zu öffnen. Ich weiß nicht, ob wir da eine analoge Insel bleiben oder nur aufs Internet setzen können. Es gibt viele Gründe, die gegen das Internet als alleinigen Verbreitungsweg sprechen. Wir brauchen die Entwicklungsmöglichkeit für das Radio in alle neuen Verbreitungswege hinein.

M | Sollten dafür öffentliche Mittel bereitgestellt werden?

STEUL |  Im Grunde genommen bin ich dieser Meinung. Ich sehe allerdings auch die Problematik, die wir dann mit Brüssel haben: Was ist Beihilfe, was ist erlaubt und was ist nicht erlaubt. Da kommt man in schwierige Gefilde. Aber wofür haben wir eigentlich Juristen und Staatsrechtler? Sie sollten versuchen, im Rahmen der geltenden Regeln aktiv eine Lösung dafür zu finden.

M | Es gibt Stimmen, die gehen davon aus, dass es einen eigenen Übertragungsweg für das Radio in der Zukunft nicht mehr geben wird.

STEUL | Wir sind umgeben von Propheten. Die einen sagen dies, die anderen jenes. Wir sind umgeben von Technikern, die sagen, DAB ist nicht die Technologie, es gibt was Besseres. Wenn Sie sechs Techniker fragen, haben Sie acht Meinungen. Es wird tatsächlich immer noch etwas Besseres geben. Ich bin aber absolut davon überzeugt, dass der Rundfunk einen eigenständigen Verbreitungsweg haben muss. Sonst geht er unter. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll nach unserem Demokratieverständnis einen wesentlichen Beitrag zur Willensbildung und zur Entscheidungsfähigkeit der Menschen in dieser Gesellschaft leisten. Und das heißt, er muss auch überall und zu annehmbaren Kosten verbreitet sein. Es kann nicht sein, dass man uns im Internet irgendwie unter Tausenden von Angeboten suchen muss. Wenn die Gesellschaft dies allerdings anders will und sich dafür entscheidet, dann ist das so. Auch das ist Demokratie. Ich persönlich fände es mehr als bedauerlich, wir würden einen hohen Wert verlieren.

M | Theoretisch und auch praktisch wäre Deutschlandradio überall empfangbar – übers Handy, DVB-T…

STEUL |  Ich war kürzlich von Köln nach Frankfurt zu einem Termin unterwegs und musste aus dem Auto ein langes Gespräch mit unserer Verwaltungsdirektorin führen. Dieses Gespräch ist mir unterwegs sechs oder sieben Mal zusammengebrochen. Und wenn wir schon diese alte Primitivtechnologie mobiles Telefon nicht störungsfrei hinbekommen, glauben Sie, wir kriegen das hin mit dem viel aufwendigeren Audio über Internet und dann vielleicht auch noch das sehr teure DVBT? Wir werden für die nächsten zwanzig Jahre für die Fläche und mobil kein wirklich stabiles Internet hinbekommen. Also können wir auf diese Technologie nicht setzen. Hinzu kommt, für jede Nutzung, muss extra bezahlt werden. Die schöne neue Welt mit den Mobiltelefonen und den Bildern auf den Telefonen, das kostet alles Geld. Diese Geschäftsmodelle sind legitim. Nur stellen Sie sich eine sechsköpfige Familie vor, wo jeder über sein Handy das alles nutzt. Die Kosten sind wesentlich höher als heute die 17.98 Euro monatlich für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

M |  Aber wird sich das nicht weiter verändern, die Bandbreiten werden immer größer, die Übertragungsraten immer schneller, die Kosten sinken parallel?

STEUL | Ja, auch das sagen die Propheten.

M | Was wird aus der Gattung Radio werden?

STEUL |  Da ich nun kein Prophet bin, weiß ich das nicht. Ich denke, zum Beispiel Deutschlandradio wird noch sehr, sehr lange von einer zwar begrenzten, aber dennoch signifikanten Zahl von Menschen gehört werden. Wir erreichen mit unseren beiden Programmen heute täglich um die zwei Millionen Menschen. Und das sind Programme, die in einer Demokratie gebraucht werden. Das ist meine feste Überzeugung. Und sie werden ja auch nachgefragt. Aber wenn ich sie über unterschiedliche Verbreitungswege erst suchen muss, das werden die Menschen dann nicht mehr tun.

Das Gespräch führte Vera Linß 

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