EU-Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste bald unter Dach und Fach
Neuer Regelrahmen für das Fernsehen in Europa: In Kürze verabschieden EU-Kommission und -Parlament die neue „Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste“. Sie löst die bisherige „EU-Fernsehrichtlinie“ ab. Den europäischen TV-Konsumenten droht der legalisierte Kommerz.
Mit der im Wendejahr 1989 verabschiedeten „EG-Fernsehrichtlinie“ wurden erstmals europaweite Mindeststandards für Fernsehsender in Europa und für die Weiterverbreitung der Programme in anderen Mitgliedsstaaten festgelegt. Seitdem hat sich der audiovisuelle Sektor revolutioniert. Gab es vor 18 Jahren gerade mal an die 50 Programme in den einzelnen Mitgliedsstaaten, so tummeln sich – die Digitalisierung macht‘s möglich – derzeit mehr als 1.500 Kanäle in den Netzen, verbreitet vorzugsweise via Kabel und Satellit. Längst sind die elektronischen Medien auch ein relevanter Wirtschaftsfaktor. Nach EU-Angaben erzielten die knapp 500 TV-Unternehmen im Einzugsgebiet der Europäischen Union im Jahr 2003 einen Gesamtumsatz von 65 Milliarden Euro. Aus dieser rasanten Entwicklung folgen nun auch medienpolitische und -rechtliche Konsequenzen.
Nach einer ersten Überarbeitung 1997 befindet sich die TV-Richtlinie derzeit in einem neuen Revisionsprozess. Um die Details der Ausgestaltung gab es – von einer größeren Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet – heftige Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Interessengruppen. Dabei prallten die eher wirtschaftsliberalen Auffassungen der EU-Kommission, der großen TV-Unternehmen und konservativer Parteien auf Positionen in EU-Parlament und Gesellschaft, die sich einer verstärkten Kommerzialisierung der elektronischen Medien widersetzten. Zugleich erschwerten die unterschiedlichen nationalen (Fernseh-) Kulturen eine europäische Harmonisierung der entsprechenden Regelungen. Im Kern geht es um die nicht ganz neue Frage, ob der Rundfunk und die neuen Kommunikationsdienste in erster Linie als Wirtschaftsfaktor oder als Kulturgut zu betrachten seien. Wenn – wie derzeit angepeilt – die neue Richtlinie noch vor dem Ende der deutschen EU-Ratspräsidentschaft verabschiedet wird, muss sich zeigen, welche Interessen sich beim Ringen um die einzelnen Detailbestimmungen durchgesetzt haben.
Schleichwerbung ist verboten
Erwartungsgemäß gab es ein heftiges Ringen der diversen Akteure vor allem um die Regulierung der Werbung und ihrer unterschiedlichen Erscheinungsformen. Dabei tritt neben die bislang verwendeten Begriffe „Fernsehwerbung“, „Teleshopping“ und „Sponsoring“ die neue Sprachfigur der „audiovisuellen kommerziellen Kommunikation“. Damit dehnt die EU-Kommission die bislang für TV-Werbung gültigen Standards auf alle von der Richtlinie erfassten Mediendienste aus, also auch auf audiovisuelle Abrufdienste. Gegen die Inhalte dieser Standards ist aus Verbrauchersicht wenig einzuwenden: Werbung soll klar als solche erkennbar sein, darf nicht mit subliminalen Techniken Gehirnwäsche betreiben und Schleichwerbung ist generell untersagt. Ob das Europaparlament für seine Zusatzforderung, wonach die Lautstärke der Werbung nicht über der durchschnittlichen Lautstärke des restlichen Programms liegen darf, Gehör findet, ist noch ungewiss. Zu den bisherigen inhaltlichen Restriktionen bei der Alkohol- und Tabakwerbung gesellen sich weitere Anforderungen, etwa ein Werbeverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel und medizinische Behandlungen. Das Europaparlament strebt darüber hinaus einen Verhaltenskodex für Kinderprogramme an, um die Dauerberieselung der Kleinen etwa mit Fast-Food-Verheißungen und Süßigkeitenspots zu unterbinden.
In Sachen Werbezeiten scheinen sich die Liberalisierer weitgehend durchgesetzt zu haben. Das bisher bestehende Blockwerbegebot wird für Sportprogramme künftig voraussichtlich aufgehoben. Gleichzeitig werden die bisherigen quantitativen Werbegrenzen gelockert. Die aktuell gültige Höchstgrenze von 20 Prozent der täglichen Sendezeit für Werbe- und Teleshoppingspots sowie andere Werbeformen gehört bald der Vergangenheit an. Auch die Regeln für Abstände und Platzierung von Werbung wurden weitgehend gelockert.
Die intensivsten Konflikte kreisten um die Frage der Zulässigkeit von Produktplatzierungen. Bei der nicht ganz einfachen Abgrenzung von Product Placement und Schleichwerbung kamen selbst Spezialisten gelegentlich ins Schwitzen. Gerade in Deutschland hatten in jüngster Vergangenheit die bei fast allen großen Sendern registrierten Sündenfälle die Debatte angeheizt. Erinnert sei an die von epd medien aufgedeckten Fälle beim ZDF („Sabine, Sabine“) und den ARD-„Marienhof“-Skandal. Daher war gerade hierzulade die Aufregung groß, als die für Medienpolitik zuständige EU-Kommissarin Viviane Reding Ende 2005 in ihren Entwurf der TV-Richtlinie erstmals die – von kleineren kosmetischen Einschränkungen abgesehene – grundsätzliche Zulassung von Product Placement präsentierte. Zur Begründung für diesen Coup wurde von Beginn an das Argument einer größeren Chancengleichheit der europäischen Filmindustrie bei der Erschließung neuer Finanzquellen ins Feld geführt. Offenbar nach dem Motto: Was James Bond Recht ist, muss Derrick billig sein!
Diese extrem wirtschaftsfreundliche Position stieß jedoch nicht nur bei Verbraucherschutzkommissar Markos Kyprianou, sondern auch beim Europaparlament und -rat auf Widerstand. Beide Institutionen setzten sich mit ihrem Verlangen nach einem „grundsätzlichen“ Verbot von Produktplatzierung vordergründig durch. Allerdings ebenfalls mit einigen Ausnahmen: In bestimmten Programmgenres wie Kinofilmen, Fernsehfilmen und -serien sowie bei Sportübertragungen soll Product Placement erlaubt sein, soweit im jeweiligen Mitgliedsstaat keine andere Regelung vorgesehen ist. Damit die Werbung weniger „schleichend“ daher kommt, sollen die Sender entsprechende Programme bei Sendebeginn und -ende kennzeichnen. Auch bei einer Werbeunterbrechung muss eine weitere Kennzeichnung folgen.
Punktsieg für Filmindustrie
Ob solche Kompromissformeln im Zeitalter des Zapping beim Verbraucher irgendeine Wirkung erzielen? Festzuhalten bleibt, dass die Filmindustrie in dieser Frage einen klaren Punktsieg erzielt hat. Denn Filme, Serien und Sport waren bislang schon die Genres, in denen die meisten Verstöße gegen das Verbot von Product Placement registriert wurden. Was unter den neuen Regeln das grundsätzliche Bekenntnis zur Trennung von Werbung und Programm noch wert ist, bleibt abzuwarten. Auch die Hoffnung der Sender auf zusätzliche Werbeerlöse könnte sich als trügerisch erweisen. Was für die vermeintlich effizientere Werbeform des Product Placement abgezweigt wird, geht bei stagnierendem Gesamtumsatz der Branche vermutlich bei der Spotwerbung verloren.
Mit grundsätzlich anderen Weichenstellungen ist nach dem Verlauf der bisherigen Debatte nicht zu rechnen. Nach Ansicht der meisten Beteiligten gilt es als wahrscheinlich, dass der EU-Ministerrat Ende Mai der aktuellen Fassung zustimmt und das EU-Parlament in zweiter Lesung bis zur Sommerpause Ende Juni die neue „EU-Richtlinie für audiovisuelle Medien“ beschließt. Für die Befürworter einer stärkeren Entfesselung der Werbung in ihren unterschiedlichen Facetten dürfte dies ein Feiertag werden. Allerdings sind Werbeliberalisierung und Product Placement der Preis dafür, medienspezifische Regeln auch für audiovisuelle Dienste durchzusetzen.