Schema F in der Kritik

Den Formatierungswahn bei Dokumentarfilmen subversiv unterwandern

Wo ringen Redakteure, Fernsehproduzenten und Autoren schon noch um politische Inhalte und Qualität in Fernsehsendern? Ist der Marktanteil an Zuschauern zufriedenstellend, lehnt man sich in Redaktionen bisweilen erleichtert zurück. Was allerdings die Quote nicht erfasst: Jugendliche nutzen das Fernsehen meist nur noch als Hintergrundkulisse, gefrustete Hausfrauen und Arbeitslose lassen die Glotze als Dauerbeschallung nebenher laufen, gestresste Workaholics lassen sich sanft in den Schlaf wiegen.

Die Quote ist keineswegs Qualitätsmerkmal für den Bildungs- und Informationsgehalt, gemäß öffentlich-rechtlichem Auftrag. In den Sendern gibt es zwar, wie etwa bei den „Mainzer Tagen der Fernsehkritik“ im ZDF, lebhafte Programmdebatten. Doch meist gilt dort: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Insofern gut, dass es vom Land geförderte neutrale Veranstalter wie die Dokumentarfilminitiative (dfi) im Filmbüro Nordrhein-Westfalen gibt, die auf ihren Symposien den filmpolitischen Diskurs anstrebt. Fraglich ist, wieso das Landeskabinett an dieser Stelle den Rotstift ansetzen will, schlimmstenfalls bis zu 40 Prozent könnten gestrichen werden.

Bisweilen schonungslose Kritik wurde bei der Tagung „Schema F? Dokumentarische Formate im Fernsehen“ Ende September geäußert. „Wir wollen den Dokumentarfilm ins Gespräch bringen. Redakteure sitzen hier auch schon einmal unter Rechtfertigungsdruck. Doch sie wissen, dass dies für ihre Arbeit wichtig ist“, so Petra Schmitz (dfi). In der Tat handelte es sich bei dem „Branchentreff“ mit rund 240 Teilnehmern im Mediapark Köln um keine Alibi-Veranstaltung.

Hölzern und trivial

Kritik einstecken musste etwa Peter Arens, ZDF-Redaktionsleiter Geschichte und Gesellschaft, der stolz seine von Tandram Film für rund zwei Millionen produzierte vierteilige Hochglanzdokureihe „Metropolis“ präsentierte, die am 5. Oktober um 19.30 Uhr angelaufen ist. Er musste sich sagen lassen, dass das im Film modisch verankerte „Reenactment“, eine von Schauspielern nachgestellte Inszenierung einer historisch überlieferten Szene „hölzern, trivial in der Textführung und überästhetisiert“ sei. Die künstlich aufbereitete Szene führt in kurzen Sequenzen wie ein Running Gag durch den Film. Junge Zuschauer sollen mit einer vom Römer Plinius überlieferten Anekdote über eine Medizinerin, die sich als Mann verkleidete, um studieren zu können, vor dem Fernseher gehalten werden.

Die Episode soll wohl über die staubtrockene, dröge Ausgrabungsgeschichte der antiken Metropole Alexandria hinwegtrösten: Mit langen schwarzen Wimpern blinkert den Fernsehzuschauer eine Frau an, die so gar nicht revolutionär anmutet. Mit geheimnisvollen Andeutungen aus dem Off anmoderiert, verschwindet sie stets in der Versenkung, um wenig später ebenso verheißungsvoll wie nichtssagend wieder aufzutauchen. Das Wimpernklimpern wirkt wie als Anreiz inszeniert, eine folgende Werbepause zu überstehen. „Spartakus für Arme“, wie der Produzent Christian Bauer warb? In Pausengesprächen, wo bekanntermaßen mitunter das eigentlich Wichtige zur Sprache kommt, wurde diese Darstellung sogar als „frauenfeindlich“ gewertet.

Thomas Schadt (Filmhochschule Ludwigsburg) differenzierte verschiedene Sendeplätze als „harte“ und „weiche“ Formate. Hart bedeute, dass „dem Autor alles vorgegeben wird“, weich, dass es noch Spielräume gebe. Schadt ist der Meinung, dass ein Dokumentarfilm, der die Handschrift der Autoren trägt, vom Fernsehen bald nicht mehr gebraucht werde. Als „hartes Format“ wurde im Auditorium etwa die ARD-Reihe „Legenden“ gewertet, die montags um 21.45 Uhr läuft. Auf Unmut stieß, dass Zeitzeugen im Film „Che Guevara“ im Dschungel Boliviens gleichgeschaltet vor blitzblauem Hintergrund abgebildet wurden.

Es ging jedoch auch um zunehmende Trivialisierung von Inhalten, um von Redaktionen gesetzte starre Auflagen, die Filmautoren kaum mehr Freiheiten lassen. „Je ängstlicher die Redakteure, desto formatbesessener“, so die Analyse Schadts. Die am 15. Oktober im ZDF gestartete Serie „Kinderklinik“, die ein blauangelaufenes Neugeborenes mit verkümmerter Lunge sowie blutige Schnitte eines Chirurgen an einem Kind auf dem OP-Tisch in Nahaufnahme zeigt, erntete einmütige Kollegenschelte. Bedenkt man, dass ein verantwortlich handelndes Klinikpersonal selbst enge Verwandte bei Untersuchungen aus dem Zimmer schickt, um die Patientenwürde zu wahren, so lässt diese Darstellung journalistische Sorgfaltspflicht und Ethik missen. Die Argumentation der verantwortlichen Redakteurin Ulrike Angermann, mit der Kamera Garant sein zu wollen, dass Kinder eine fairere Behandlung durch die Ärzte erführen, wurde als zynisch gewertet.

Betroffenheitsjournalismus

Im Anschluss an diese Debatte hatte es die arte-Redaktionsleiterin Kornelia Theune schwer, jene 40 Doku-Soaps zu rechtfertigen, die ab Januar nächsten Jahres um 20.15 Uhr Reportagen verdrängen. Theune beruhigte, Soaps sollten ihrer Ansicht nach auf leichte Unterhaltung setzen. „Samba für Singles“, der Nachfolger von „Abnehmen in Essen“, produziert von Carl-Ludwig Rettinger, zum Beispiel. Diesmal suchen weibliche Frohnaturen nicht die schlanke Linie, sondern einen halbwegs passablen Mann. Einige geplante sensible Themen wie „Die Totenwäscherin“ bildeten hingegen eher die Ausnahme.

Kai Henkel (Projektleiter „betrifft“, SWR) erkundigte sich trotzdem genervt, wo die Grenzen des Genres seien. Und wandte sich an Angermann: „Was machen Sie, wenn das lungenkranke Baby, das Sie in der ‚Kinderklinik‘ zeigen, stirbt? Übergeben Sie es dann Frau Theune für die Leichenwäsche auf arte?“ Mitveranstalter des Symposiums Peter Zimmermann (Haus des Dokumentarfilms Stuttgart) insistierte: Kinder würden in Sendungen wie „Kinderklinik“ benutzt, nur um „die alte Nummer der Mitleids- und Rührseligkeitsshow eines entpolitisierten Betroffenheitsjournalismus“ durchzuziehen.

Die Zuspitzung auf Boulevard- und Unterhaltungsjournalismus in neuen Doku-Formaten bedeute für Fernsehautoren zunehmend zu „bloßen Handlangern von Fremdinteressen“ degradiert zu werden, so Thomas Schadt. Er empfiehlt jungen Autoren, den Formatierungswahn mit subversivem Gedankengut zu unterwandern. Gefragt seien „systemresistente Persönlichkeiten, Freidenker und Überlebenskünstler“, die „geistige Flexibilität, unbedingten Eroberungswillen, Beharrlichkeit, Leidensfähigkeit und eine gehörige Portion Wahnsinn“ mitbrächten. Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (a.g.dok.), Thomas Frickel, will den intelligenten Dokumentarfilm fördern: „Wir werden eine Redakteurin auszeichnen, die Mut zeigt, dem uniformierten Genre auszuweichen und zu experimentieren“. Zu gewinnen sind 5000 Euro, die an eine Autorin zur Projektentwicklung weitergereicht werden sollen.

 

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