Selbstbewusst und vielfältig

Die „Veteranen“ im gerade heiß diskutierten Markt der Bürgermedien in Deutschland sind die Bürgerfunker. Obwohl über die meisten Erfahrungen verfügend, können sie mit der rasanten Medienentwicklung kaum Schritt halten. Von der Politik widersprüchlich gefördert oder auch eingeengt scheint es, sie haben die digitale Revolution verschlafen! Oder sind sie gerade noch rechtzeitig aufgewacht? – Eine kleine, durchaus unvollständige Bestandsaufnahme.

Das hatte es bislang noch nicht gegeben: Der passive Medienkonsument wird zum Macher. Mit Home-Videos, Blogs und Podcasts krempeln Hunderttausende von Bürgern das Mediensystem um. Leser, Hörer und Zuschauer werden selbst aktiv, unterstützen Redaktionen – mal erwünscht, mal von den Profis kritisch beäugt – mit Beiträgen, Fotos und Videos. Der „Bürgerreporter“ macht Karriere, „user generated content“ findet massenhaft Eingang ins so genannte Web 2.0. Eine echte Medienrevolution!
Doch halt! Bürger als Reporter? War da nicht etwas? Gibt es hierzulande nicht schon seit Jahrzehnten Bürgersender, die nach diesem Prinzip funktionieren? Warum also der Hype um YouTube und Myspace? Wenn in der Szene über das Verhältnis von „alten“ und „neuen“ Bürgerreportern debattiert wird, fällt die entsprechende Analyse aus Sicht des Bürgerfunks durchaus selbstkritisch aus. Aus einem Diskussionspapier von den „Medientagen Kiel“: „Was in Bürgersendern immer schon möglich war – selbst gestaltete Sendungen der Medienöffentlichkeit zu präsentieren – ist bei YouTube, um den Faktor ‚weltweit‘ multipliziert, auf einmal zu einer lohnenden Sache geworden.“ Nur: Die Bürgersender haben die digitale Revolution schlicht verschlafen.
„Die politischen, ökonomischen und technischen Realitäten in der bundesdeutschen Medienwelt ändern sich mit wachsender Geschwindigkeit“, hieß es unlängst auch in einem Positionspapier diverser Veteranen deutscher Bürgermedien. Die Bürgerrundfunk-Einrichtungen und -Sender mit ihren hauptsächlich ehrenamtlichen und semiprofessionellen Strukturen, so klagten Vertreter diverser Offener Kanäle, Hochschulradios und sonstiger Bürgerfunkinstitutionen, seien „bei der Gestaltung dieser Veränderungen oft nur passive Zuschauer“. Zur Veränderung dieses Zustands wurde Ende vergangenen Jahres der „Bundesverband Bürger- und Ausbildungsmedien“ (BV BAM) ins Leben gerufen. Auf der Gründungsversammlung am 2. November 2007 in Bremen forderte Vorstandssprecher Georg May die anwesenden Bürgerfunker auf, ihre „medienpolitische Bedeutung und regionale Verankerung auch als politisches Gewicht in die Diskussionen einzubringen“ (Interview S. 10).

Gegenöffentlichkeit

Bürgermedien? So mancher Altlinke dürfte indes bei diesem Begriff mit gemischten Gefühlen an das Konzept einer „Gegenöffentlichkeit“ denken, an die Debatte über das Für und Wider der Offenen Kanäle (OK), die Anfang der 80er Jahre die medienpolitische Debatte prägte. Damals – zu Beginn der Privatfunkära – ging es darum, zusätzlich zum dualen Rundfunksystem als „dritte Säule“ auch Elemente eines nichtkommerziellen Rundfunks zu etablieren. Dahinter steckte die idealistische Vision vom medienkompetenten, mündigen Bürger, der selbstbewusst sein Grundrecht auf Meinungsfreiheit wahrnimmt – jenseits der etablierten Rundfunk-Medien. Kritiker disqualifizierten den OK freilich als medienpolitisches Feigenblatt, als Beruhigungspille zwecks Versüßung der zeitgleich galoppierenden Kommerzialisierung des Rundfunks. So bekämpfte beispielsweise die Mediensektion der Berliner Alternativen Liste (die Vorgängerin der Grünen) noch vor 25 Jahren die OK-Befürworter als nützliche Idioten auf dem Weg zur voll verkabelten Republik: „Sämtliche Versuche alternativer Beteiligung am Kabelfernsehen“, so spotteten die Berliner Grünen, „sind entweder kleinkariert oder dienen nur dem Ziel alternativer Arbeitsplatzsicherung“.
Wie sich die Zeiten ändern: Längst gehören die Grünen zu den Befürwortern Offener Kanäle – als kleines Gegengewicht gegen fortschreitende Medienkonzentration und -kommerzialisierung. (Bericht über den Offenen Kanal Berlin S. 10).

Förderungswürdig

Die Position des Gesetzgebers in Sachen Bürgerfunk ist durchaus widersprüchlich. Laut §40 des Rundfunkänderungsstaatsvertrags können nicht nur offene Kanäle aus den Etats der Landesmedienanstalten gefördert werden. Als förderungswürdig gelten auch „Formen der nichtkommerziellen Veranstaltung von lokalem und regionalem Rundfunk und Projekte zur Förderung der Medienkompetenz“. Wobei nach dem föderalen Prinzip die jeweiligen Landesgesetzgeber das Sagen haben. Und deren Politik fällt mindestens so „vielfältig“ aus wie das Treiben der Bürgerfunkszene. Unter der Dachmarke „nichtkommerzieller Rundfunk“ tummeln sich neben den Offenen Hörfunk- und TV-Kanälen so unterschiedliche Anbieter wie Freie Radios, Hochschul- oder Campus-Radios, Aus- und Fortbildungskanäle und der so genannte Bürgerfunk in Bremen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Die Organisationsmodelle variieren beachtlich.
Offener Kanal meint einen Hörfunk oder Fernsehsender, dessen Programm von Bürgern gestaltet und verantwortet wird. Die meisten Offenen Kanäle – Ende 2006 gab es noch ca. 60 – sind eingetragene Vereine. In fünf Bundesländern – wie etwa in Berlin – sind sie auch unmittelbare Einrichtungen der Landesmedienanstalten. Nichtkommerzielle Lokalradios oder Freie Radios sind dagegen selbstorganisierte Projekte, die sich aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden und öffentlichen Geldern mischfinanzieren. Viele Freie Radios entstanden zur Hochzeit der alternativen Subkultur. Je größer die Abhängigkeit vom Tropf öffentlicher Subventionen, desto größer auch die Einflussmöglichkeiten des Staates bei politischer Widerborstigkeit (Bericht über Radio Dreyeckland S. 12).
In Bremen genießt der Begriff „Bürgerrundfunk“ seit 2005 Gesetzesstatus. Mit der Novellierung des Landesmediengesetzes wurde die Verpflichtung der beiden Bremer Bürgersender zu Verstärkung lokaler Information festgeschrieben. Niedersachsen erwartet von seinem Bürgerfunk die Erfüllung dreier Aufgaben: die Ergänzung lokaler und regionaler Berichterstattung, die Zugänglichkeit des Rundfunks für alle interessierten Bürger und die Vermittlung von Medienkompetenz. Nach einer mehrjährigen Testphase wurden 2002 die bis dahin parallel existierenden Offenen Kanäle und nichtkommerziellen Lokalradios zu insgesamt 15 Bürgerfunksendern zusammengeführt. Die ehemaligen OK müssen seitdem ein redaktionelles Programm anbieten, die nichtkommerziellen Lokalradios offene Sendeplätze. Eine sinnvolle Synthese zweier gleichartiger Typen von Bürgermedien.
Eine andere Erfahrung machen gegenwärtig verstärkt die Bürgerfunker in Nordrhein-Westfalen. Dort wurde zu Jahresbeginn mit Inkrafttreten des novellierten Landesmediengesetzes der Bürgerfunk in seiner bisherigen Form faktisch eliminiert. Seit 1990 waren die privatkommerziellen Hörfunksender von Radio NRW gesetzlich verpflichtet, bis zu 15 Prozent ihrer Sendezeit für von Bürgern produzierte Beiträge zur Verfügung zu stellen. Dieses Nebeneinander von Non-Profit-Bürgerfunk und renditeorientiertem Lokalradio wurde von beiden Seiten eher geduldet als geliebt. Die Bürgerfunker mussten – wegen der obligatorischen Kontrolle vor der Ausstrahlung – auf Live-Sendungen verzichten; auch gab es ständig Querelen über Sendeplätze, -zeiten und Formate. Bei Ablehnung einer Sendung musste diese von der verantwortlichen Bürgerfunkgruppe zur Überprüfung bei der zuständigen Landesanstalt für Medien LfM NRW eingereicht werden – Autonomie sieht anders aus. Auch die Einbettung des Bürgerfunks in ein kommerzielles Programmumfeld war vielen Nutzern ein Dorn im Auge.

Radioführerschein

Mit der gesetzlichen Neuregelung geraten sie jedoch vom Regen in die Traufe. Die Sendezeit des Bürgerfunks ist seit dem 1. Januar auf eine Stunde „im Fernsehschatten“ (nach 21 Uhr) reduziert, die erlaubten Inhalte auf strikten „lokalen Bezug“ festgelegt. Mit der Einführung eines einheitlichen – von der LfK abgenommenen – „Radioführerscheins“ dürfen künftig nur noch Gruppen Bürgerfunk senden, bzw. Beiträge beim jeweiligen Lokalsender einreichen. Seit dem 1. Januar 2008 müssen Bürgerfunker sich zudem einer drei Module und 36 Seminarstunden umfassenden Qualitätskontrolle unterziehen. Nutznießer dieser von der seit 2005 amtierenden CDU/FDP-Landesregierung vorangetriebenen „Reform“ ist vor allem Radio NRW, dessen Mantelprogramm aus Nachrichten- und Werbeblöcken ohnehin schon die einzelnen Lokalkanäle dominiert. In einer von 18.000 Bürgerfunkern unterschriebenen Protesterklärung mit dem Titel „Politik schafft den Bürgerfunk ab!“ heißt es: „Parteien, die die freie Marktwirtschaft auf ihre Fahnen geschrieben haben, entscheiden nun protektionistisch nach Maßgabe der Sicherung des wirtschaftlichen Prinzips des privaten Lokalfunks.“ Das heißt, zugunsten der Lokalradios und des landesweiten Radio NRW, die ohnehin schon Marktführer sind. „Damit verschwindet für den Bürger die einzige und letzte Teilhabe an Demokratie im lokalen Umfeld“, klagte die „Arbeitsgemeinschaft Bürgerfunk in Köln“. Jetzt soll der neu gegründete BV BAM zwischen der LfM und den Bürgerfunkern moderieren.

Links zum Blättern
www.bvbam.de
www.freie-radios.de

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