Selfies, Welpen und ein bisschen Politik

Soziale Medien für direkte und ungefilterte politische Botschaften

Wir befinden uns mitten im Wahljahr 2021 und die Corona-Pandemie beeinflusst auch den Wahlkampf der Parteien. Wer um die Gunst der Wähler*innen wirbt, tut dies momentan weder im Bierzelt noch am Bratwurststand. Die Bedeutung von digitaler Kommunikation ist im vergangenen Jahr weiter gestiegen und spielt bei den kommenden Bundestagswahlen eine größere Rolle als je zuvor. Webseiten, E-Mails und Newsletter gehören genauso zu den Werkzeugen wie Facebook, Twitter und Instagram. Doch der Einfluss sozialer Medien auf Wahlkämpfe und die damit einhergehende Personalisierung steht spätestens seit dem Erfolg von Donald Trump und Brexit unter kritischer Beobachtung.

Immer mehr Menschen nutzen Soziale Medien, um sich über Politik zu informieren. Laut dem vom Leibniz-Institut für Medienforschung und dem vom Hans-Bredow-Institut herausgegebenen Reuters Institute -Digital News Report waren es im vergangenen Jahr 37 Prozent der befragten Onliner, im Jahr davor 34 Prozent. In der Gruppe der 18- bis-24-Jährigen ist es sogar über die Hälfte (56 Prozent). Dreißig Prozent der jungen Menschen gaben an, Soziale Medien seien ihre wichtigste Nachrichtenquelle, während es bei erwachsenen Onlinern immer noch das Fernsehen ist (42 Prozent).

Soziale Medien unterscheiden sich in ihrer Funktionslogik grundlegend von den etablierten Medien. Hier treffen ganz unterschiedliche Inhalte aufeinander: Private Posts stehen neben den Inhalten etablierter Medien, Lobbygruppen oder privater Unternehmen. Manche Inhalte sind für jede*n einsehbar, andere nur innerhalb geschlossener Gruppen. Parteien und Politiker*innen können direkt und ungefiltert ihre Botschaften senden. Inhalte können passgenau an bestimmte Gruppen ausgespielt werden. Je nachdem welche Zielgruppe man ansprechen will, gibt es dazu noch verschiedene Plattformen, die alle nach ihrer eigenen Logik funktionieren.

Während Twitter vor allem dazu dient, den medialen Diskurs zu beeinflussen, weil sich hier die Meinungsführer*innen tummeln, ist die Bilderplattform Instagram bei jüngeren Wähler*innen viel beliebter als etwa Facebook. In Deutschland ist Facebook das wichtigste Netzwerk, weil es die meisten Menschen erreicht. Bei den Jüngeren stehen jedoch auch Plattformen wie YouTube, TikTok oder WhatsApp im Fokus.

Alle Parteien sind auf Facebook vertreten. Die AfD hat mit fast 514.000 digitalen Anhänger*innen fast doppelt so viele wie alle anderen Bundestagsparteien. Bis auf die FDP, die mit 150.000 etwas nach unten abfällt, sind alle anderen politischen Kräfte mit 192.000 (SPD) bis 250.000 Follower (Die Linke) in etwa gleich auf. Auch einzelne Abgeordnete erreichen zum Teil große Gruppen. Das hängt von ihren Fans ab, aber auch von der Reichweite, die sie mit ihren Konten aufbauen können. Der Social-Media-Erfolg der AfD zeigt sich in erster Linie auf Facebook. Die populistische Kommunikation der Partei und ihrer Mitglieder ist voll auf diese Plattform ausgerichtet. Dort funktionieren ihre Inhalte, ihre Sprache und ihre Empörungslogik am besten.

Die zu Facebook gehörende Bildplattform Instagram spricht vor allem junge Menschen von 20 bis Mitte 40 an. Sie ist beliebt, weil Nutzer*innen dort private Einblicke, Selfies aber auch kleine Videos zeigen können. Trotz der suggerierten persönlichen Nähe, wird Instagram auch für die Verbreitung und Vermittlung von Informationen verwendet, während Interaktionen und Diskussionen seltener stattfinden. Dass Instagram mehr bietet als ein Fotoalbum haben auch deutsche Parteien und Abgeordnete erkannt. Im Vergleich zu 2017 hat Instagram im Wahlkampf massiv an Bedeutung gewonnen. Mit Schleswig-Holsteins Landtagsvizepräsidentin Aminata Touré und dem Europaparlamentarier Erik Marquardt sind die Grünen mit zwei Politiker*innen in den Top 20 der reichweitenstärksten Accounts auf Instagram vertreten. Beide stehen in der Bundespolitik nicht in vorderster Reihe, konnten aber trotz deutlich weniger Abonnent*innen ihre Parteichefs in puncto Reichweite überflügeln.

„Anders als bei Facebook, habe ich den Eindruck, dass der Ton bei Instagram noch nicht so verhärtet ist,“ sagt Marquardt. „Alle Plattformen haben sich in den vergangenen Jahren verändert. Aber auf Facebook scheint eine sachliche Kommunikation oft gar nicht mehr möglich zu sein. Dort hat man es gerade bei Themen wie Flucht und Migration schnell mit rechten Mobs und gezielten Infokriegen zu tun.“ Die Frage, welchen Kanal man als Politiker bespiele, sei aber dennoch abzuwägen. Je nachdem welche Zielgruppe man erreichen wolle. Gerade Instagram habe sich sehr politisiert und spreche ein junges und interessiertes Publikum an, meint Marquardt.

Twitter ist ein Medium, das stark von journalistischen und politischen Nutzer*innen geprägt wird. Das zeigt sich auch in den Followerzahlen, die bei allen Parteien – außer bei der PARTEI und der AfD – viel größer sind als bei denen auf Facebook. Die Grünen zählen fast zweieinhalbmal so viele Follower auf Twitter wie Fans auf Facebook. Aber auch auf Twitter kann man sich inszenieren. Im Januar twitterte der bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) eine „schöne Nachricht in schwerer Zeit“. Er teilte dazu das Bild eines Welpen, einer „süßen jungen Hundedame“, wie er schrieb.

YouTube ist die zweitgrößte Suchmaschine in Deutschland. Die deutschen Parteien haben es dennoch bisher kaum geschafft, dort Nutzer*innen kontinuierlich an sich zu binden. Der AfD gelang dies mit 48.000 Abonnent*innen noch am ehesten. Auch Marquardt verfolgt den Erfolg der Rechtspopulisten in den sozialen Medien aufmerksam: „Es gibt auf all diesen Plattformen Mechanismen, die ihnen in die Hände spielen. Das Feedback für die Emotionen, die sie wecken, ist groß. Dabei haben sie schon früh gelernt, wie sie Hass und Hetze direkt kommunizieren, ohne dass mediale Gatekeeper sie daran hindern.“ Dass die Politik auf solchen Plattformen immer verkürzt und emotional sein muss, glaubt Marquardt allerdings nicht. „Es ist aber unsere Aufgabe, dem reichweitenstarken Rechtspopulismus in den sozialen Medien Inhalte entgegenzusetzen. Und die müssen verständlich und zugänglich sein.“

Auch die Plattformen selbst sind gezwungen, sich mit Fragen von Demokratiegefährdung und Hassbotschaften auseinanderzusetzen. Twitter hatte den ehemaligen US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump bereits Anfang Januar rund zwei Wochen vor dem Ende seiner Amtszeit gesperrt. Auslöser war die Erstürmung des US-Kapitols durch seine Anhänger*innen. Er bekundete Sympathie für sie und behauptete, der Sieg bei der Präsidentenwahl sei ihm durch Betrug gestohlen worden. Auch Facebook sperrte ihn und beauftragte ein unabhängiges Aufsichtsgremium, um zu prüfen, ob die Sperre aufrechterhalten wird. Die kürzlich gefällte Entscheidung des Oversight Board, dem Jurist*innen, Bürgerrechtler*innen und Journalist*innen angehören, ist für den Konzern laut eigenen Vorgaben bindend. Trump bleibt zunächst auch auf Facebook und Instagram gesperrt. Dass demokratisch nicht legitimierte Privatunternehmen nach eigenen Maßstäben entscheiden dürfen, ob und in welcher Form der Präsident der USA sich mit seinen Botschaften direkt an seine Follower wenden darf, stößt allerdings auf Irritation. Eine gesetzliche Vorgabe, was in Sozialen Medien gesagt oder gezeigt werden darf, fehlt noch immer.


Firewall für die Demokratie

Ein Bündnis aus 19 zivilgesellschaftlichen Organisationen, darunter auch die dju in ver.di, fordert die demokratischen Parteien auf, einen Verhaltenskodex für den digitalen Bundestagswahlkampf 2021 zu vereinbaren.

„Campaign Watch“ erwartet von Parteien und Kandidierenden: volle Transparenz, umfassenden Grundrechtsschutz, keine Desinformation und keine digitale Gewalt.

Im Interview mit M Online erklärt Julian Jaursch von der Stiftung Neue Verantwortung (SNV), weshalb es nötig ist demokratische Regeln selbst aufzustellen.

 

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