Separatistische Tendenz

Der Bayerische Rundfunk ignoriert den Aufbau eines Pressearchiv-Verbundes in der ARD

Die entscheidenden Schritte zum Aufbau eines dauerhaften, dezentralen und digitalen Pressedatenbank-Verbundes innerhalb der ARD wurden bereits vor Jahresende getan. Dem Verbund gehören bislang SWF, SDR, NDR und WDR an. Fünf weitere Sender (MDR, ORB, SFB, SR und Radio Bremen) sind schon versuchsweise angeschlossen.

Der HR überlegt mittlerweile, ob er sich beteiligen soll. Der BR dagegen schottet sich konsequent von dieser Entwicklung ab: Am 15. 1. 1998 teilte der Intendant dem BR-Rundfunkrat mit, daß das BR-Zeitungsarchiv in eine GmbH eingebunden wird, die zusammen mit dem Süddeutschen Verlag (SV) gegründet wurde. Bereits am 19. 12. 1997 hatte er seine Unterschrift unter den Vertrag für diese erste größere Outsourcing-Maßnahme gesetzt.

SWF-Intendant Peter Voß hat sich Ende Oktober an seine Kollegen der anderen Landesrundfunkanstalten gewandt, um auf die kostengünstige Lösung, die ab 1998 innerhalb der ARD realisiert werden wird, aufmerksam zu machen und zur Mitarbeit einzuladen. Angestrebt wird ein dezentral-arbeitsteiliger Verbund, der dokumentarische und Recherchekompetenz vor Ort beläßt, qualifizierte Arbeitsplätze sichert und keine einseitigen Abhängigkeiten zuläßt.

Diese ausbaufähige Kooperation innerhalb der ARD soll ihrer föderalen Struktur entsprechen und ist nach Auffassung ihrer Protagonisten ein wichtiger Beitrag zur Informationsautarkie der einzelnen Rundfunkanstalten und der ARD insgesamt. Die Verbundlösung soll außerdem dazu beitragen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Bereich der Informationsversorgung und -kompetenz gegenüber vergleichbaren privaten Medienkonzernen zu stärken und konkurrenzfähig zu erhalten.

Datenbanken als Ergänzung

Nach Auffassung der Verbundanstalten stellt die Nutzung von externen, oft sehr teuren und nicht immer Qualität garantierenden Online-Datenbanken und des Internets für den umfangreichen und vor allem oft sehr anspruchsvollen journalistischen Informationsbedarf im öffentlich-rechtlichen Rundfunk heute und in absehbarer Zeit keine Alternative dar, sondern ist allenfalls eine sinnvolle Ergänzung.

Im gleichen Zeitraum, in dem innerhalb der ARD die jeweils Verantwortlichen offen über die Gestaltung des dezentralen Archiv-Verbundes korrespondieren, werden im BR vertraulich tätige Arbeitsgruppen und Arbeitskreise gebildet, um die inhaltlichen, organisatorischen und technischen Grundlagen für die ominöse GmbH-Bildung mit dem SV voranzutreiben.

Da werden alle Redakteurinnen und Redakteure des BR aufgefordert, einen umfangreichen Fragenkatalog zu ihren täglichen Arbeitserfahrungen mit dem BR-Zeitungsarchiv zu beantworten, um dann die Ergebnisse offiziell gar nicht bekanntzugeben. Dies, obwohl der Rücklauf sehr gut war und für die Auswertung sogar eine wissenschaftliche Arbeitsgruppe bemüht wurde, die dann auch eindeutige Ergebnisse vorlegte, von denen nur ein kleiner Kreis von BR-MitarbeiterInnen erfuhr: Durch die Umfrage wurde bestätigt, daß die Redakteurinnen und Redakteure die bisherige Arbeit des BR-Zeitungsarchivs außerordentlich schätzen und nicht missen möchten und daß für die Auslagerung des Archivs kein Verständnis da ist.

Unnötige Neuentwicklung

Anstatt dem Umfrageeregebnis Rechnung zu tragen, wurden – so, als ob das Rad noch einmal erfunden werden müßte – Studenten der Technischen Universität darangesetzt, die bestehenden und die zukünftigen Arbeitsabläufe im BR-Zeitungsarchiv ebenso zu ergründen wie die im „Dokumentations- und Informations-Zentrum“ (DIZ) – so soll die Tochterfirma von BR und SV heißen. Darüber hinaus ging man daran, eine „Benutzer-Oberfläche“ für die zukünftigen Redaktionsarbeitsplätze neu zu entwickeln. Dabei ist eine solche, viel besser bedienbare Oberfläche schon längst beim ARD-Pressedatenbanken-Verbund eingeführt. Wie man im übrigen hört, will der SV angesichts der baldigen Einrichtung des DIZ seinen Presse- und Bildarchivaren demnächst kündigen. Sie sollen dann von der neuen Gesellschaft beschäftigt werden und dort ohne betriebsrätlichen und tarifvertraglichen Schutz an einem zweifelhaften Projekt weiterarbeiten.

Fazit: Es gibt – das haben die neuesten Informationen über die Entwicklung des Archiv-Verbundes bestätigt – keinen vernünftigen Grund, sich in diesem Bereich aus der ARD auszuklinken. Im BR werden zur Zeit auf verschiedenen Ebenen Arbeitskraft, Geld und Zeit für ein Prestigeobjekt verschwendet, das den öffentlich-rechtlichen Verbund der ARD belastet, ihm Kräfte entzieht und einen privaten Konkurrenten (nämlich den kommerziellen Rundfunk) stärkt, der von den Archiv-Dienstleistungen des DIZ alsbald profitieren wird. Und dies genau zu einem Zeitpunkt, da der „Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation“ (VPRT), der das Sprachrohr aller privat-kommerziellen Rundfunkbetreiber in der BRD ist, ein Aktionsprogramm zur Marginalisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beschlossen hat …

Umdenken tut not, noch ist es nicht zu spät.

 

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